Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wohin mit all dem Impfstoff?
Bei tausenden Dosen Astrazeneca in Bayern droht das Haltbarkeitsdatum abzulaufen, während in anderen Ländern noch immer ein Mangel herrscht. Wie die Politik darauf reagiert
München Noch vor zwei Monaten warteten unzählige Menschen ungeduldig auf ihren Impftermin, Drängler ließen sich gar Ausreden einfallen, um direkt dranzukommen. Jetzt kann sich jeder innerhalb weniger Tage impfen lassen. Die Mangelware Impfstoff gibt es plötzlich im Überfluss. Und mit dem Überfluss kommt in der Gesundheitsbranche die Sorge auf, dass der kostbare Stoff verfällt. Eine Verschwendung, wo er doch sonst in vielen Ecken der Welt noch fehlt.
Astrazeneca, der erst nur für unter 60-Jährige, dann nur für über 60-Jährige empfohlen wurde, will kaum jemand haben. Gleichzeitig bekommen Menschen seit zwei Wochen nach einer Erstimpfung mit Astrazeneca eine Kreuzimpfung mit Biontech oder Moderna. „Mit der neuen Empfehlung der Stiko hat sich die Nachfrage nach dem Impfstoff weiter verringert“, sagt Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes. „Wir haben keinen Überblick über Gesamtchargen, aber wenn jetzt viele Menschen von der Zweitimpfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca abspringen, werden sicher auch einzelne Impfdosen verfallen.“
Wie Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Dienstag erklärte, sind in Bayern derzeit rund 280 000 Astrazeneca-impfdosen vorrätig.
Bei 15300 davon drohe Ende Juli die Haltbarkeit abzulaufen. Der größte Teil der Dosen, rund 239000, könnten noch bis Ende Oktober verwendet werden. Holetschek plädierte dafür, Gespräche mit anderen Ländern zu suchen. Auch Kommunen
könnten gegebenenfalls ihre Kontakte ins Ausland nutzen.
Bisher hieß es vom Bayerischen Gesundheitsministerium, dass es der Planung der Impfzentren obliege, die Dosen rechtzeitig zu verwenden, beispielsweise über Sonderaktionen. „Ein Verwurf ist unbedingt zu vermeiden“, antwortet eine Ministeriumssprecherin auf Nachfrage. „Dies hat auch gut funktioniert, generell melden Impfzentren sehr geringe Verwurfsmengen.“Zumindest bisher. Bundesweit scheint das Problem noch nicht so akut zu sein. Von den im Verteilzentrum des Bundes gelagerten Impfdosen verfallen laut Bundesgesundheitsministerium im Juli 1375. Bei aktuell hunderttausenden
Impfungen pro Tag sollten sie noch rechtzeitig verwendet werden. Aber die Politik weiß bereits, dass Größeres auf sie zukommt. Bisher wurden circa 15,2 Millionen Dosen Astrazeneca geliefert, insgesamt sind 56,3 Millionen Dosen davon bestellt. Im dritten Quartal kommen außerdem etwa 15,8 Millionen Dosen Johnson&johnson, 30 Millionen Dosen Moderna, 50 Millionen Dosen Biontech. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mehrfach betont, „mehr als genug“Impfstoff sei bestellt. Damit dieser nicht verfällt, wird er zum Teil gespendet.
Die Bundesregierung will bis Ende 2021 mindestens 30 Millionen Impfdosen (Astrazeneca und Johnson&johnson) an Drittländer, insbesondere an Entwicklungsländer abgeben. Das hat sie Anfang Juli beschlossen. Voraussichtlich ab August sollen alle weiteren Astrazeneca-lieferungen an Drittländer abgegeben werden. Der Großteil soll über Covax gespendet werden. Covax ist eine Allianz, an der unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Hilfsorganisation Unicef beteiligt sind, die sich für die gerechte Verteilung von Impfstoff einsetzt und Spenden an Entwicklungsländer verteilt.
Auch das Bayerische Rote Kreuz (BRK) wäre bereit, im Rahmen der humanitären Hilfe die Logistik für solche Spenden zu stellen. Wenn es zu einem Hilfeersuchen komme, könne das BRK nicht nur den Impfstoff schicken, sondern auch dabei helfen, eine Impfstruktur aufzubauen, erzählt Sprecher Sohrab Taherisohi. „Wir hoffen natürlich, dass die Impfbereitschaft hier wieder zunimmt“, sagt er. „Aber wir besiegen die Pandemie nur, wenn wir sie überall unter Kontrolle haben.“Daher sei auch die weltweite Verfügbarkeit von Impfstoff notwendig.