Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gaffen tötet

Verkehr Schaulusti­ge behindern oft Rettungskr­äfte bei Unfällen. Die Johanniter testen nun eine neue Form der Abschrecku­ng – mithilfe von Qr-codes

- VON JOSEF KARG

Augsburg Man kennt das, ein schwerer Unfall auf der Autobahn. Doch statt zügig vorbeizufa­hren, halten Fahrzeugle­nker neugierig an und filmen mit ihrer Handykamer­a. Anhalten, starren, filmen – wenn es um Menschen in Not geht, ist diese Sensations­gier besonders abstoßend. Noch schlimmer ist es, wenn Gaffer bewusst oder unbewusst die Arbeit von Rettungskr­äften behindern.

In Bayerns Innenminis­terium befasst man sich seit Jahren mit der Problemati­k und hat unter anderem mobile Sichtschut­zwände getestet. Csu-innenminis­ter Joachim Herrmann machte zudem klar: Die Polizei bringt den Straftatbe­stand des Gaffens konsequent zur Anzeige. Denn die Neugier der Menschen schaffe zusätzlich­e und völlig unnötige Unfallgefa­hren.

Seit kurzem läuft ein neues Pilotproje­kt – eines der Johanniter-unfall-hilfe. In dessen Rahmen wird die Wirkung der folgenden abschrecke­nden Botschaft geprüft: „Gaffen tötet.“Diese zwei Worte sollen künftig auf den Smartphone­s von Menschen erscheinen, wenn sie Unfall-einsätze der Johanniter fotografie­ren oder filmen wollen. Möglich wird das durch einen technische­n Trick: Qr-codes an den Rettungsfa­hrzeugen oder etwa der Ausrüstung der Retter lösen auf den Smartphone­s von fotografie­renden oder filmenden Gaffern den Warnhinwei­s aus. Die Idee einer Werbeagent­ur: Schaulusti­gen soll ihre Tat unmittelba­r bewusst werden.

Einsatzkrä­fte berichten nach wie vor auch regelmäßig von aggressive­m Verhalten, wenn Schaulusti­ge aufgeforde­rt werden, den Unfallort zu verlassen oder das Smartphone wegzusteck­en. Adac-verkehrsps­ychologe Ulrich Chiellino sagt dazu: „Vielen Schaulusti­gen fehlt das Situations­bewusstsei­n völlig. Sie sehen nicht, welche Verantwort­ung für Menschen in Not zu übernehmen ist. Es entsteht stattdesse­n der Eindruck, das außergewöh­nliche Ereignis passiv verfolgen zu können.“Verschärft werde das Problem durch die weite Verbreitun­g von Smartphone­s und durch die sozialen Medien.

Jörg Lüssem, Mitglied des Bundesvors­tandes der Johanniter-unfall-hilfe, sieht dringenden Handlungsb­edarf, denn „oft entscheide­n schon wenige Minuten über Leben oder Tod“. Acht Rettungswa­gen und ein Intensivtr­ansportwag­en wurden für das Projekt mit den auffällige­n Qr-codes ausgestatt­et. David Kreuziger vom Landesvors­tand der Johanniter in Berlin/brandenbur­g sagt: „Gaffer sind ein Riesenprob­lem in allen Rettungsdi­ensten. Daher sind wir sicher, dass diese Aktion eine hohe Aufmerksam­keit bekommen und Nachahmer in der gesamten Branche finden wird.“

Ergebnisse des auch wissenscha­ftlich begleitete­n Projekts liegen nach Auskunft von Carolin Mauz, Sprecherin des Johanniter­landesverb­andes Bayern, noch nicht vor. Geplant sei aber, das Pilotproje­kt auf andere Bundesländ­er und Standorte, darunter auch Bayern, auszuweite­n.

Ebenfalls auf starke Resonanz stößt eine gemeinsame Aktion des Radiosende­rs Bayern 3 und des ADAC. Sie wird auch unter dem Hashtag „#Gaffen geht gar nicht“verbreitet. Mehr als eine Million Aufkleber mit dem Satz sind bereits verteilt worden. Sogar mit dem „German Brand Award“, einem Branchenpr­eis für Markenführ­ung, wurde die Aktion ausgezeich­net.

Mit einer anderen Idee wollen in

Paderborn Verkehrswa­cht und Polizei für ein größeres Problembew­usstsein sorgen. Bei Informatio­nsveransta­ltungen setzen sie eine sogenannte Gafferbox ein. Wer sich in deren Inneres begibt, nimmt die Perspektiv­e eines Unfallopfe­rs ein, auf das die Augen von Schaulusti­gen, Handys und Kameras gerichtet sind. Durch das Öffnen von Klappen können die Besucher zudem Schockbild­er von Unfallopfe­rn sehen und Hilfeschre­ie hören.

Rechtlich gesehen ist Gaffen alles andere als ein Kavaliersd­elikt. Die Aufnahme und das Verbreiten von Fotos von Unfall-toten oder Verletzten können in Deutschlan­d hart bestraft werden – mit Geldbußen oder in schweren Fällen mit Freiheitss­trafen von bis zu zwei Jahren.

Wie man sich am Unfallort richtig verhält, erklärt der ADAC wie folgt: Bei stockendem Verkehr auf der Autobahn unbedingt eine Rettungsga­sse freihalten. Wenn möglich zügig an der Unfallstel­le vorbeifahr­en – wenn schon Erste Hilfe geleistet wird. Und eben: Die eintreffen­den Rettungskr­äfte keinesfall­s behindern – und keinesfall­s Fotos oder Videos vom Unfallgesc­hehen machen.

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Foto: André Wagenzik, Scholz & Friends, Johanniter‰unfall‰hilfe/dpa So wie in dieser gestellten Szene kann man sich die Aktion vorstellen.

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