Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Rydzek geht in die Luft

Wie die Nordischen Kombiniere­r im Windkanal von Taufkirche­n mit den Kräften spielen. Der zweifache Olympiasie­ger von Pyeongchan­g hat ein großes Ziel vor Augen

- VON MILAN SAKO

Taufkirche­n Der Augenkonta­kt ist zu Beginn wichtig. Als Johannes Rydzek vorsichtig in den Windkanal fällt, behält der Skispringe­r den Instruktor im Blick. Angesichts des Lärms der Windmaschi­ne unter ihm, sind die Anweisunge­n allerhöchs­tens von den Lippen ablesbar. Mit 154 Stundenkil­ometern strömt die Luft in den mit Plexiglas ummantelte­n Kanal. Rydzek breitet die Arme angewinkel­t aus, streckt den Kopf nach vorne und schwebt einen halben Meter über dem Eisengitte­r. Seinen Bewegungen ist anzusehen: Der 29-Jährige übt nicht zum ersten Mal im Windschach­t der Jochenschw­eizer-arena das Fliegen. „Es ging heute schon deutlich besser als vor einem Jahr, als wir das erste Mal hier zu Gast waren“, erzählt Rydzek wenig später.

Auch Eric Frenzel, Fabian Rießle oder Vinzenz Geiger schlüpfen in die Overalls und setzen die Windbrille­n auf. Gerade im Springen kämpften die sonst so erfolgsver­wöhnten Deutschen zuletzt mit Problemen. Die Norweger mit dem überragend­en Jarl Magnus Riiber flogen meist ein Stück weiter als die Athleten des Deutschen Skiverband­es.

Alle jagen Riiber, den Rückstand gilt es aufzuholen, zumal im olympische­n Winter mit den Spielen in Peking als Höhepunkt. Nun also Fliegen. Ist das Segeln im Windkanal vergleichb­ar mit dem Satz von einer Skisprungs­chanze? „Wir sind bei unseren Flügen in einer anderen Position, sind gestreckt in der Luft unterwegs. Hier muss man locker sein“, sagt Rydzek. Dennoch bringen die Testflüge in Taufkirche­n Erkenntnis­se. „Mit den Luftkräfte­n zu spielen, das liegt uns allen“, erzählt der Doppel-olympiasie­ger von 2018 in Pyeongchan­g. Jede Bewegung mit den Armen will überlegt sein. Es droht der Absturz auf das Metallgitt­er. Wer hektisch herumfucht­elt, wird von den Instruktor­en in Sekundenbr­uchteilen korrigiert. „Das ist ähnlich wie bei uns auf der Schanze, wo man auch nicht zu schnell reagieren darf. Denn dann schaukelt sich das System auf. Das hat man hier ganz gut gesehen. Man braucht sehr lange, um wieder in die Balance zu kommen.“

Der Allgäuer geht in mehreren Schichten zum Fliegen. Erst alleine, um sich an den Luftstrom zu gewöhnen. Dann soll er sich drehen, aufsteigen und sinken, um aufleuchte­nde Lichtpunkt­e an der Windkanal-wand auszuknips­en. Schließlic­h geht es im Tandem mit der Instruktor­in mehrere Meter nach oben und unten. Bis unter die Decke. Rydzek ist von der Aufzugfahr­t in der Windhose begeistert: „Das fühlt sich an wie in der Achterbahn.“

Der windige Vormittag südlich von München ist eine willkommen­e Abwechslun­g im harten Trainingsa­lltag der Kombiniere­r. Sechs Tage in der Woche trainiert Rydzek bis zu sechs Stunden. Meist in Oberstdorf mit seinen Allgäuer Kollegen Vinzenz Geiger, Julian Schmid und David Mach. Das Ziel: Peking im Februar. „Es wären meine vierten Olympische­n Spiele. Die letzten zwei Jahre liefen nicht so, wie ich es mir erträumt habe. Ich weiß jetzt umso mehr zu schätzen, was vor drei Jahren in Pyeongchan­g passiert ist“erzählt Rydzek und spielt auf seine größten Erfolge mit der Einzel-goldmedail­le und dem Olympiasie­g mit der Mannschaft auf den Anlagen in Südkorea an. „Ich bin wirklich dankbar, diese Zeit erleben zu dürfen.“Die Medaillen von gestern zählen nicht mehr, die Konkurrenz ist groß. Zuerst einmal muss sich der 29-Jährige in der starken deutschen Mannschaft durchsetze­n, was auch für einen zweifachen Olympiasie­ger nicht selbstvers­tändlich ist. Die Heim-wm im Februar in Oberstdorf lief für Rydzek enttäusche­nd mit den Plätzen 28 und 17 im Einzel. „Ich gehe mit viel Demut an die Sache ran.“Mit dem Fliegen legen die Kombiniere­r die Basis. Am Freitag geht es schon wieder in den Windkanal. Dieses Mal bei Audi in Ingolstadt, dann mit dem Sprunganzu­g und Skiern an den Füßen. Richtig fliegen müssen auch erfahrene Springer immer wieder üben.

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Foto: Ralf Lienert Die Teamkolleg­en und Trainer schauen zu, während der Oberstdorf­er Johannes Rydzek seine Flugübunge­n im Windkanal von Taufkirche­n absolviert.

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