Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Warum sollte ich weinen?“

Gottfried Helnweins Bilder rufen häufig schockiert­e Reaktionen beim Publikum hervor. Jetzt stellt er in Venedig aus. Ein Gespräch über die Lagunensta­dt und die Malerei

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Herr Helnwein, wir sind hier in Venedig, umgeben von Kunstgesch­ichte. Welches Verhältnis haben Sie zur „alten Kunst“?

Gottfried Helnwein: Als ich jung war, habe ich mich geweigert, mich mit der Kunstgesch­ichte auseinande­rzusetzen. Auf der Kunstakade­mie arbeitete ich wie ein autistisch­es Kind, das heißt, ich habe jede traditione­lle orthodoxe Technik oder Informatio­n abgelehnt und die Vergangenh­eit der Kunst einfach ausgeblend­et. Erst nach Jahren habe ich plötzlich gemerkt, dass dieser Widerstand bei mir weggeschmo­lzen war. Ich war plötzlich interessie­rt an der alten Kunst, und ich beschloss, nach Italien zu fahren, zu den Uffizien, weil dort die meisten wichtigen Werke der Renaissanc­e zu sehen waren. Ich hatte keinerlei Ehrfurcht oder Respekt vor den alten Meistern, ich war aber auch nicht mehr dagegen, ich war tatsächlic­h vollkommen neutral. Ich hielt das für eine einmalige Chance, völlig unvoreinge­nommen zu sehen, wie diese Kunst auf mich wirken würde. Ich dachte, letzten Endes waren das ja auch nur Maler wie ich und meine Kollegen, die vor langer Zeit einmal gelebt haben. Womit ich nicht gerechnet hatte, dass nach Betreten des Museums schon die ersten Bilder einen Schock bei mir auslösen würden. Die Wucht der ästhetisch­en Qualität war vollkommen überwältig­end, ich war so zutiefst erschütter­t, dass mir die Tränen kamen.

Was macht Venedig mit Ihnen? Helnwein: Wenn ich hier durch die Straßen gehe, habe ich das Gefühl, alles fällt von mir ab, alles ist so, wie es sein soll, die Welt ist wieder im Lot. Ich bin wieder zu Hause.

Kann man Venedig malen? Helnwein: Man kann alles malen, wenn es sein muss, auch Venedig, aber das würde ich niemandem empfehlen. Canaletto hat das schon gemacht.

Es heißt, Sie seien Ende der 1960er Jahre mit Ihrem Studienkol­legen und Freund, dem verstorben­en Karikaturi­sten Manfred Deix, zu Fuß von Venedig nach Wien gelaufen. Wie sind Sie denn nach Venedig gekommen? Helnwein: Wir haben beschlosse­n, die große Welt zu sehen, und sind nach Venedig getrampt. Wir haben da allerdings nicht sehr viel gesehen, weil wir plötzlich feststellt­en, dass wir gar kein Geld hatten. Wir mussten also umkehren und uns wieder auf den Heimweg machen. Das Dumme war, dass wir mit unseren langen Haaren, verschwitz­t und mit verdreckte­r Kleidung, nicht mehr sehr vertrauens­würdig aussahen, und kein Autofahrer stehen blieb, um uns mitzunehme­n. Und da ist meinem Freund Manfred plötzlich eingefalle­n, dass seine Freundin alleine zu Hause saß, und in seiner überhitzte­n Fantasie sah er all die anderen Studenten in ihre Wohnung einsteigen. „Marietta!“, schrie er. „Ich muss nach Hause!“, und er begann zu laufen. Ich lief ihm nach und rief noch: „Bleib doch stehen. Du kannst doch nicht bis nach Wien laufen.“So dachte ich zumindest. Was ich damals nicht wusste: Man kann. Er ist jedenfalls immer weitergela­ufen, und ich bin hinter ihm her. Wir gingen und rannten immer weiter, die ganze Nacht hindurch, und den ganzen nächsten Tag und die Wahrnehmun­g von Raum und Zeit löste sich langsam auf. Bis wir tatsächlic­h in Wien ankamen.

Wir befinden uns in den geschichts­trächtigen Sale Monumental­i der Biblioteca Nazionale Marciana. Ihre Bilder treffen hier auf die Wand- und Deckengemä­lde der Renaissanc­emeister Veronese, Tizian und Tintoretto. Was entsteht hier?

Helnwein: Dieser Ort ist ja geladen mit Geschichte: Päpste gingen hier ein und aus, Galileo Galilei hat hier sein neues Weltbild erklärt, Napoleon war hier. Es ist eine der bedeutends­ten Bibliothek­en der Welt. Aber es ist ein interessan­tes Experiment, als zeitgenöss­ischer Künstler seine Arbeiten in einem Saal auszustell­en, dessen Wände und Decken mit Arbeiten von Veronese, Tintoretto und Tizian gepflaster­t sind. Es ist eine andere Sache, wenn Jeff Koons seine riesige „Pink Pudels Balloon“-skulptur im Louvre ausstellt. Das funktionie­rt schon allein durch den extremen Kontrast zur alten Kunst. In meinem Fall ist das schon etwas komplizier­ter, da sich mein Medium und meine Technik nicht wesentlich von denen der alten Meister unterschei­den. Nur durch die Thematik und Kompositio­n ist zu erkennen, dass dies Werke des 20. beziehungs­weise 21. Jahrhunder­t sind. Dadurch, finde ich, ist das ein sehr interessan­ter Dialog geworden. Wenn man meine Arbeiten direkt neben den Bildern Veroneses und Tintoretto­s sieht, erkennt man sofort, dass sie in einem anderen Jahrhunder­t entstanden sind, aber man kann auch sehen, dass es in der Lichtführu­ng, der expressive­n Haltung und Gestik der dargestell­ten Personen und auch der Theatralik der Malerei durchaus Parallelen und Berührungs­punkte gibt. Ich denke, dass dieser Dialog zwischen diesen beiden Zeitaltern der Kunst gelungen ist.

Im Gegensatz zu den alten Meistern lösen Ihre Bilder extreme Reaktionen aus, und auch hier steht am Eingang ein Warnhinwei­s für Besucher. Kommt Ihre Kunst eigentlich von „Kontern“oder von „nicht anders Können“?

Helnwein: Eher von Müssen. Kandinsky hat einmal gesagt, Kunst muss aus innerer Notwendigk­eit kommen, und diese innere Notwendigk­eit rechtferti­gt alles, die Mittel, den Stil und so weiter. Für mich war die Entscheidu­ng, Künstler zu werden, eine Notwendigk­eit, die mir keinen anderen Ausweg gelassen hat. Mit all den Themen, die mich beschäftig­en, die mich niemals losgelasse­n haben, vor allem dem Element der Grausamkei­t, der Gewalt gegen Unschuldig­e, konnte ich mich nur mehr mithilfe ästhetisch­er Mittel auseinande­rsetzen.

Wie wichtig ist die Wirkung Ihrer Bilder für Sie?

Helnwein: Ich habe schnell gemerkt, dass meine Bilder sehr emotionale Reaktionen bei den Menschen auslösen. Das war für mich auch so ein Schlüsselm­oment, wo ich plötzlich verstanden habe, was für eine Macht Bilder haben können, dass man damit in Bereiche des Unterbewus­stseins vordringen kann, wo man verbal gar nicht hinkommt. Von da an wurde meine Kunst ein Dialog mit dem Publikum. Und ich muss sagen, ich habe eigentlich am meisten von den Reaktionen der Betrachter gelernt, mehr als von allen Experten. Und das ist es ja auch, was Kandinsky gefordert hat: Die Kunst braucht nur den naiven Betrachter, das heißt, den Unvoreinge­nommenen.

In Ihrer großen Wiener Albertinaa­usstellung 2013 standen Besucher weinend vor Ihren Bildern. Helnwein: Was den Direktor der Albertina wirklich erstaunt hat. Er hat gesagt: Wir haben die ganze Moderne gezeigt und die zeitgenöss­ische Kunst von Kiefer bis Warhol, aber das haben wir noch nie erlebt, dass Leute weinen vor Bildern. Also da wusste ich, jetzt ist meine Kunst angekommen.

Weinen Sie beim Malen?

Helnwein: Warum sollte ich weinen?

Heißt das, Sie sind so nah am Pigment, dass für Gefühle kein Platz ist? Helnwein: Ja. Als Künstler muss man immer die Kontrolle behalten, man muss eine gewisse Distanz und einen kühlen Kopf haben, bei aller Leidenscha­ft. Ich kann nicht Publikum und Darsteller zugleich sein, das geht nicht. Aber ich bin mir immer in dem Moment, wo ich das mache, bewusst, dass ich mit jemandem kommunizie­re, das ist das wichtigste Element für mich. Wenn ich wüsste, der zweite Teil, die Reaktion des Betrachter­s fände nicht statt, würde ich nicht malen. Ich mache das nicht aus therapeuti­schen Gründen. Für mich ist tatsächlic­h ein Werk erst beendet, wenn der Betrachter es gesehen hat und emotional berührt ist.

Interview: Noemi Schneider

Gottfried Helnwein wurde 1948 in Wien geboren. Er setzt sich vor al‰ lem mit Themen wie Gewalt und Schmerz auseinande­r, entspre‰ chend kontrovers wird seine Kunst diskutiert. Bis zum 15. August prä‰ sentiert sie die Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig unter dem Ti‰ tel „Das stille Leuchten“(www.mar‰ ciana.venezia.sbn.it).

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Foto: Cyril Helnwein / © Geuer & Geuer Art, Düsseldorf Der Maler Gottfried Helnwein vor einer seiner Arbeiten.
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Foto: Vittorio Pavan / © Geuer & Geuer Art, Düsseldorf Blick in die Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig, wo Gottfried Helnwein aktuell seine Arbeiten zeigt.

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