Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Spiel’s noch einmal, Giora Feidman!
Der berühmte Klezmer-klarinettist schlägt beim Auftritt mit den Augsburger Philharmonikern Töne an, die man bei einem Klassikkonzert eher selten vernimmt
Als die Orchestermusiker auf ihren Stühlen Platz genommen haben, ist es nicht zu übersehen. Ganz offensichtlich gibt es wieder neue Regelungen bei der Musiker-platzierung in diesen pandemiegeplagten Konzertzeiten. Nur dass man sich diesmal fast zurückversetzt meint in die gute alte Zeit, jene nämlich, in der etwa die Violinen scharf links vom Dirigenten sich nicht nur auf drei, maximal vier Pulte zu beschränken hatten, als stünde immer nur Frühklassik auf dem Programm. Nein, jetzt ist für die 1. Violinen wieder bis zur Bühnenwand im Kongress am Park bestuhlt, ist die Gruppe wieder zum Dutzend angewachsen, und in Relation mit ihr auch alle anderen Register des Orchesters. Bei ihrem letzten Sinfoniekonzert dieser Spielzeit – aufwendige Tests legen die Voraussetzungen dafür – musizieren die Augsburger Philharmoniker erstmals seit dem Lockdown wieder in gewohnter sinfonischer Stärke.
Was natürlich nicht nur zu sehen, sondern vor allem auch zu hören ist. Sinfonisches Repertoire in kammermusikalischer Besetzung dargeboten hat gewiss seine Reize; für die eigentlich zugedachte große Besetzung gilt das aber mindestens ebenso. Sergej Prokofjews Ouvertüre über hebräische Themen macht gerade am Streicherklang deutlich, was da gefehlt hat in den vergangenen Monaten, seitdem öffentliche
Konzerte überhaupt wieder möglich sind: Der satte Sound aus 40 Streichinstrumenten, der aufgrund seiner strukturellen Dichte den Hörer noch einmal ganz anders anzufassen vermag als das halbierte Klangformat, effektvoll vorgeführt in der grundtönig-dunklen, rhythmisch und melodisch geheimnisvollexotisch anmutenden Prokofjewouvertüre.
Beinahe stiehlt ein optischer Eindruck der Wiederhörensfreude die Schau. Domonkos Héja, der Dirigent des Abends, humpelt auf Krücken gestützt durch die Orchesterreihen zu seinem Pult, um auf einem Hocker Platz zu nehmen und den verletzten, dick verschalten rechten Fuß auf einem Stuhl abzulegen. Gewiss ungewohnt für Augsburgs Generalmusikdirektor, der sonst höchst bewegungsfreudig auf dem Podium agiert – die Beinarbeit bleibt diesmal auf den linken, im entsprechenden musikalischen Augenblick heftig mitwippenden Fuß beschränkt.
Aber auch ein anderer Interpret beschränkt sich an diesem Abend nicht nur auf die Herstellung von Tönen. Schon beim Hereinkommen wirft er Kusshändchen in Richtung Publikum, mit ausgreifenden Gesten unterstreicht er im Folgenden sein Spiel, und in der Freude des finalen Applauses wird sogar der Dirigent geknuddelt. Ja, Giora Feidman ist alles andere als ein ungerühter Arbeiter an den Klappen seiner
Klarinette. Dabei ist der mittlerweile 85 Jahre alte, in Israel lebende Klezmer-spezialist ein Liebhaber der leisen Töne, die er unvergleichlich zu zelebrieren versteht. Dünne, zerbrechliche Töne, die aus dem Nichts heranzuwehen und dabei Geschichtsräume zu öffnen scheinen, die dann jedoch anschwellen und Melodien freigeben wie „Yesterday“von den Beatles, Feidmans Eröffnungsstück. Typisch für diesen global geschätzten Musiker, dass er sich in einem Sinfoniekonzert nicht nur von der „klassischen“Seite her zeigt (die sehr wohl auch die seine ist). Sondern dass er keine Scheu hat, auch Populäres wie einen Beatles-song oder Cohens „Hallelujah“sowie Musikgebete diverser Herkunft hier unterzubringen, als wär’s das Selbstverständlichste von der Welt. Sinfonisch(er) dagegen, weil mit größerem Orchester-anteil, eine Suite von Piazzola-tangos und ein Arrangement bekannter Gershwin-nummern wie „Summertime“, „It ain’t necessarily so“und „Bess, you is my woman now“, vorangestellt das berühmte Glissando der Klarinette aus der „Rhapsody in Blue“– für Feidman, der als Klezmer-musik nach wie vor souverän über die Platte der verschliffenen und grell aufgackernden Töne verfügt, ein gefundener Happen.
Mit der selben entwaffnenden Leichtigkeit, mit der er über Genregrenzen hinweggeht, wechselt Feidman aber auch von der Musik zur verbalen Kommunikation mit dem Publikum, um seine eindringlich, aber leise vorgebrachte Botschaft vorzubringen, die im Kern stets lautet: Lasst uns bei aller Unterschiedlichkeit in Frieden miteinander auskommen. Auch dafür – und weil er bei „Guten Abend, gut’ Nacht“das Publikum zum Mitsummen bringt – gibt es am Montag Ovationen im Stehen.
Nicht ganz einfach für Evgeny Konnov, als Solist im zweiten Teil des Abends in die Herzen des Publikums zu finden. Doch dem Pianisten gelingt das auf seine Weise fabelhaft. In George Gershwins Konzert für Klavier und Orchester führt er einmal mehr seine Kunst der musikalischen Charakterisierung vor, die sich bei ihm auf die glücklichste Weise mit pianistischer Brillanz verbindet. Gerade das Gershwin-konzert bietet für beides vielfältig Gelegenheit, ist es doch ein kompositorischer Hybrid zwischen den Tonlagen des Jazz und der Spätromantik. Konnov gelingen die koboldhaften Kapriolen in den Ecksätzen ebenso wie die erdig-bluesige Atmosphären im langsamen Satz, nicht zu reden von den rauschhaften Aufschwüngen à la Rachmaninow über die Tastatur hinweg. Ein wunderbarer, trotz Corona-erschwernissen letztlich doch ergiebiger Abschluss seiner Künstlerresidenz bei den Philharmonikern, die, so wäre zu wünschen, Konnov auch weiterhin nicht aus den Augen verlieren mögen.