Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Spiel’s noch einmal, Giora Feidman!

Der berühmte Klezmer-klarinetti­st schlägt beim Auftritt mit den Augsburger Philharmon­ikern Töne an, die man bei einem Klassikkon­zert eher selten vernimmt

- VON STEFAN DOSCH

Als die Orchesterm­usiker auf ihren Stühlen Platz genommen haben, ist es nicht zu übersehen. Ganz offensicht­lich gibt es wieder neue Regelungen bei der Musiker-platzierun­g in diesen pandemiege­plagten Konzertzei­ten. Nur dass man sich diesmal fast zurückvers­etzt meint in die gute alte Zeit, jene nämlich, in der etwa die Violinen scharf links vom Dirigenten sich nicht nur auf drei, maximal vier Pulte zu beschränke­n hatten, als stünde immer nur Frühklassi­k auf dem Programm. Nein, jetzt ist für die 1. Violinen wieder bis zur Bühnenwand im Kongress am Park bestuhlt, ist die Gruppe wieder zum Dutzend angewachse­n, und in Relation mit ihr auch alle anderen Register des Orchesters. Bei ihrem letzten Sinfonieko­nzert dieser Spielzeit – aufwendige Tests legen die Voraussetz­ungen dafür – musizieren die Augsburger Philharmon­iker erstmals seit dem Lockdown wieder in gewohnter sinfonisch­er Stärke.

Was natürlich nicht nur zu sehen, sondern vor allem auch zu hören ist. Sinfonisch­es Repertoire in kammermusi­kalischer Besetzung dargeboten hat gewiss seine Reize; für die eigentlich zugedachte große Besetzung gilt das aber mindestens ebenso. Sergej Prokofjews Ouvertüre über hebräische Themen macht gerade am Streicherk­lang deutlich, was da gefehlt hat in den vergangene­n Monaten, seitdem öffentlich­e

Konzerte überhaupt wieder möglich sind: Der satte Sound aus 40 Streichins­trumenten, der aufgrund seiner strukturel­len Dichte den Hörer noch einmal ganz anders anzufassen vermag als das halbierte Klangforma­t, effektvoll vorgeführt in der grundtönig-dunklen, rhythmisch und melodisch geheimnisv­ollexotisc­h anmutenden Prokofjewo­uvertüre.

Beinahe stiehlt ein optischer Eindruck der Wiederhöre­nsfreude die Schau. Domonkos Héja, der Dirigent des Abends, humpelt auf Krücken gestützt durch die Orchesterr­eihen zu seinem Pult, um auf einem Hocker Platz zu nehmen und den verletzten, dick verschalte­n rechten Fuß auf einem Stuhl abzulegen. Gewiss ungewohnt für Augsburgs Generalmus­ikdirektor, der sonst höchst bewegungsf­reudig auf dem Podium agiert – die Beinarbeit bleibt diesmal auf den linken, im entspreche­nden musikalisc­hen Augenblick heftig mitwippend­en Fuß beschränkt.

Aber auch ein anderer Interpret beschränkt sich an diesem Abend nicht nur auf die Herstellun­g von Tönen. Schon beim Hereinkomm­en wirft er Kusshändch­en in Richtung Publikum, mit ausgreifen­den Gesten unterstrei­cht er im Folgenden sein Spiel, und in der Freude des finalen Applauses wird sogar der Dirigent geknuddelt. Ja, Giora Feidman ist alles andere als ein ungerühter Arbeiter an den Klappen seiner

Klarinette. Dabei ist der mittlerwei­le 85 Jahre alte, in Israel lebende Klezmer-spezialist ein Liebhaber der leisen Töne, die er unvergleic­hlich zu zelebriere­n versteht. Dünne, zerbrechli­che Töne, die aus dem Nichts heranzuweh­en und dabei Geschichts­räume zu öffnen scheinen, die dann jedoch anschwelle­n und Melodien freigeben wie „Yesterday“von den Beatles, Feidmans Eröffnungs­stück. Typisch für diesen global geschätzte­n Musiker, dass er sich in einem Sinfonieko­nzert nicht nur von der „klassische­n“Seite her zeigt (die sehr wohl auch die seine ist). Sondern dass er keine Scheu hat, auch Populäres wie einen Beatles-song oder Cohens „Hallelujah“sowie Musikgebet­e diverser Herkunft hier unterzubri­ngen, als wär’s das Selbstvers­tändlichst­e von der Welt. Sinfonisch(er) dagegen, weil mit größerem Orchester-anteil, eine Suite von Piazzola-tangos und ein Arrangemen­t bekannter Gershwin-nummern wie „Summertime“, „It ain’t necessaril­y so“und „Bess, you is my woman now“, vorangeste­llt das berühmte Glissando der Klarinette aus der „Rhapsody in Blue“– für Feidman, der als Klezmer-musik nach wie vor souverän über die Platte der verschliff­enen und grell aufgackern­den Töne verfügt, ein gefundener Happen.

Mit der selben entwaffnen­den Leichtigke­it, mit der er über Genregrenz­en hinweggeht, wechselt Feidman aber auch von der Musik zur verbalen Kommunikat­ion mit dem Publikum, um seine eindringli­ch, aber leise vorgebrach­te Botschaft vorzubring­en, die im Kern stets lautet: Lasst uns bei aller Unterschie­dlichkeit in Frieden miteinande­r auskommen. Auch dafür – und weil er bei „Guten Abend, gut’ Nacht“das Publikum zum Mitsummen bringt – gibt es am Montag Ovationen im Stehen.

Nicht ganz einfach für Evgeny Konnov, als Solist im zweiten Teil des Abends in die Herzen des Publikums zu finden. Doch dem Pianisten gelingt das auf seine Weise fabelhaft. In George Gershwins Konzert für Klavier und Orchester führt er einmal mehr seine Kunst der musikalisc­hen Charakteri­sierung vor, die sich bei ihm auf die glücklichs­te Weise mit pianistisc­her Brillanz verbindet. Gerade das Gershwin-konzert bietet für beides vielfältig Gelegenhei­t, ist es doch ein kompositor­ischer Hybrid zwischen den Tonlagen des Jazz und der Spätromant­ik. Konnov gelingen die koboldhaft­en Kapriolen in den Ecksätzen ebenso wie die erdig-bluesige Atmosphäre­n im langsamen Satz, nicht zu reden von den rauschhaft­en Aufschwüng­en à la Rachmanino­w über die Tastatur hinweg. Ein wunderbare­r, trotz Corona-erschwerni­ssen letztlich doch ergiebiger Abschluss seiner Künstlerre­sidenz bei den Philharmon­ikern, die, so wäre zu wünschen, Konnov auch weiterhin nicht aus den Augen verlieren mögen.

 ?? Foto: Jan‰pieter Fuhr ?? Wenn Giora Feidmann spielt, hört auch der Dirigent gebannt hin: Der Klezmer‰spezialist (hier an der Bassklarin­ette) beim Auftritt mit den Augsburger Philharmon­ikern unter Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja.
Foto: Jan‰pieter Fuhr Wenn Giora Feidmann spielt, hört auch der Dirigent gebannt hin: Der Klezmer‰spezialist (hier an der Bassklarin­ette) beim Auftritt mit den Augsburger Philharmon­ikern unter Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja.

Newspapers in German

Newspapers from Germany