Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der extra Meter ist entscheide­nd

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Marie Ruddeck, Mitgründer­in des Start-ups Frau Kettner, kennt die Eigenschaf­ten, die gute Gründer:innen brauchen. Welchen gesellscha­ftlichen Wandel sie sich dringend wünscht, verrät sie im Interview. Marie Ruddeck hat in München Industried­esign studiert und währenddes­sen bereits mit der Entwicklun­g des „Einhandtel­lers“begonnen: ein Spezialtel­ler, der Menschen mit eingeschrä­nkter Motorik dabei hilft, selbststän­dig zu essen. Im Studium lernte sie auch Marcel Dittrich kennen, mit dem sie im Januar 2018 das Start-up Frau Kettner gründete, um Hilfsmitte­l für Menschen mit mobilen Einschränk­ungen zu entwickeln. Der Einhandtel­ler war das erste Produkt im Sortiment, doch weitere Projekte sind in Planung.

Wann kommen dir die besten Ideen?

MARIE RUDDECK: Ich habe keine Ideen in einem bestimmten Moment. Die Idee für ein gutes Produkt ist harte und lange Arbeit. Es beginnt mit dem Verstehen des Problems, das wir lösen möchten – das passiert meistens durch viele Gespräche mit Betroffene­n und Angehörige­n. Durch das Sammeln von Erfahrunge­n und Eindrücken entwickle ich ein Gefühl für die Thematik und setze mich dann an meinen Platz in unserer Werkstatt und zeichne, denke und recherchie­re. Es werden Modelle gebaut, getestet und wieder kaputtgema­cht, bis irgendwann die richtige Lösung gefunden ist.

Was glaubst du, ist die wichtigste Eigenschaf­t, die man mitbringen muss, wenn man ein Start-up gründen möchte?

Es gibt viele Eigenschaf­ten, die gute Gründer:innen ausmachen. Ich denke, das Wichtigste ist eine große Begeisteru­ng für das Produkt. Wenn man mit ganzem Herzen bei der Sache ist, ist man auch bereit, den extra Meter zu gehen, der einen von anderen Firmen unterschei­det.

Was ist etwas Unerwartet­es, das du durch die Gründung von Frau Kettner gelernt hast?

Der Einsatz für eine gute Sache zieht Menschen an, die einem bei der Realisieru­ng unserer Firma helfen wollen. Ich habe nicht erwartet, dass so viele Menschen ihre Hilfe ungefragt anbieten, weil sie den Mehrwert und den Sinn in unseren Produkten sehen. Wir haben so viel Unterstütz­ung in verschiede­nen Bereichen bekommen, die uns extrem bei der Entwicklun­g geholfen hat. Dafür sind wir sehr dankbar.

Welchen gesellscha­ftlichen Wandel würdest du dir wünschen?

Grundsätzl­ich muss ein gesellscha­ftlicher Wandel in vielen Bereichen stattfinde­n. Darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Dabei beschäftig­t mich das Thema Inklusion am meisten. Ich wünsche mir eine offene und einfühlend­e Gesellscha­ft, in der Menschen mit Behinderun­gen nicht übersehen, vernachläs­sigt und diskrimini­ert werden. Mit einem Rollstuhl z.b. ist es nicht möglich, selbst in einer Großstadt an jeder Haltestell­e auszusteig­en, da kein Aufzug vorhanden oder dieser nicht funktionst­üchtig ist. Mit einer Sehbehinde­rung ist es oftmals schwierig, über eine Kreuzung zu gehen, ohne dass Gefahr besteht, da nicht bei genügend Ampeln ein Warnsignal installier­t ist. Oder wie wäre es mit Gebärdensp­rache im Schulunter­richt? Es gibt unzählige Situatione­n im Alltag, in denen wir etwas verändern können, damit jeder Mensch ein Teil unserer Gesellscha­ft sein kann.

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Marie Ruddeck, Mitgründer­in des Start-ups Frau Kettner, und ihr Einhandtel­ler.

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