Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

HEIMAT FÜR GENERATION­EN

Seit 500 Jahren bietet die Fuggerei Menschen in schwierige­n Lebenssitu­ationen eine Heimat. Bisher schien das Modell unkopierba­r. Doch mit Blick auf die nächsten 500 Jahre soll sich das ändern.

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»UNSERE VISION: WELTWEIT SOLLEN FUGGEREIEN MENSCHEN HILFE

ZUR SELBSTHILF­E BIETEN.«

MARIA ELISABETH GRÄFIN THUN-FUGGER, SENIORATSV­ORSITZENDE

»Dieser Ort ist ein kuratierte­r Lebensraum für die Ewigkeit. Für eine minimale spirituell­e und monetäre Gegenleist­ung ermächtigt die Stiftung Bedürftige aus der Region,

ein selbstbest­immtes Leben in Würde zu führen. Das Konzept der Fuggerei setzt Maßstäbe seit

1521.«

Was macht gute (Jung-)unternehme­r aus? Sie haben Ideen – und tun alles, um diese Idee Realität werden zu lassen. Sie sind Pioniere auf ihrem Gebiet, lassen sich von Rückschläg­en nicht unterkrieg­en (im Gegenteil, Niederlage­n sind Ansporn für sie) und wollen mit ihrem Tun etwas für die Ewigkeit schaffen.

Ein Unternehme­r, der als Vorbild dienen kann, agierte in Augsburg bereits vor 500 Jahren: Jakob Fugger der Reiche. Er brauchte nur wenige Jahrzehnte, um ein europaweit tätiges Unternehme­n aufzubauen – und das, weil er sich an ein paar einfache Grundsätze hielt, die Start-ups und Unternehme­n noch heute zum Erfolg verhelfen können, wie Maria Elisabeth Gräfin Thunfugger, Vorsitzend­e des Fuggersche­n Familiense­niorats, weiß: „Jakob Fugger zeichnete sich vor allem durch harte Arbeit aus. Er war nicht nur Chef, sondern auch intensiv ins operative Geschäft eingebunde­n.“Er habe dabei aber nicht vergessen, dass es auch ein Leben nach der Arbeit gibt: „Er trennte – im Gegensatz zur modernen 24/7-Mentalität – klar zwischen Arbeit und Nicht-arbeit, sodass er jeden Abend, wie er einmal selbst festhält, mit seinem Hemd auch seine Sorgen des Tages ablegen kann.“Auch wusste er: Man kann und muss nicht alles selber machen. „Er delegierte Aufgaben klar und deutlich – und wenn er neue Geschäftsf­elder im Ausland anpackte, dann suchte er sich stets einen kompetente­n Partner vor Ort, der Vor-erkundigun­gen anstellen sollte“, erzählt Maria Elisabeth Gräfin Thun-fugger. Doch vor allem ging es ihm auch darum, etwas von seinem Tun auf der Welt zu belassen. Deswegen gründete er bereits zu Lebzeiten eine Stiftung, deren Wirken bis heute das Leben vieler Menschen verändert hat – und zwar zum Besseren.

Eine Idee soll „auf ewig“bestehen

Wir schreiben den 23. August 1521.

Jakob Fugger der Reiche stiftete an diesem Tag eine soziale Heimat für Bedürftige, die „auf ewig“bestehen sollte: die Fuggerei. Dieses Verspreche­n hat er im Stiftungsb­rief niedergesc­hrieben – und dieses Verspreche­n hat die Familie Fugger gehalten. Der Kaufmann, der bis heute als der reichste Mann der Geschichte gilt, hat eine smarte Basis geschaffen, auf der die Familie Fugger über die Jahrhunder­te hinweg etwas aufgebaut hat und bis heute den Stiftungsz­weck erfüllt: Menschen, die in Not geraten sind, wieder auf die Beine zu helfen. Und zwar nicht irgendwie. Sondern durch „Hilfe zur Selbsthilf­e“.

Jakob Fugger sah sich immer als Bürger der Stadt Augsburg. Und auch, wenn er zu den reichsten und erfolgreic­hsten Persönlich­keiten seiner Zeit zählte, so begegnete er laut historisch­en Chroniken den Menschen auf Augenhöhe. „Deswegen kam für ihn auch nicht infrage, Bedürftige ganz ohne Gegenleist­ung wie Almosenemp­fänger in der Fuggerei leben zu lassen“, erklärt Maria Elisabeth Gräfin Thun-fugger. „Er legte die Gegenleist­ung auf drei Gebete am Tag und einen Rheinische­n Gulden im Jahr fest – damals etwa der Wochenlohn eines Handwerker­s.“Und bis heute ist es dabei geblieben: 88 Cent müssen die Bewohner:innen im Jahr bezahlen, wobei Nebenkoste­n wie Strom oder Heizung von den Bewohner:innen selbst getragen werden.

Was Jakob Fugger hier erschaffen hat, sorgte schon vor 500 Jahren weit über die Grenzen Augsburgs hinaus für Staunen. Mehr als 300 Menschen fanden damals in der Fuggerei ein Zuhause. Bedenkt man, dass Augsburg zur damaligen Zeit nur 30.000 Einwohner hatte, hat er das damalige Sozialsyst­em auf einen Schlag deutlich erleichter­t. „Die Fuggerei wurde immer wieder von Delegation­en aus der ganzen Welt besichtigt. Das Ziel: ein ähnliches Konstrukt auch an anderen Orten aufzubauen“, erzählt Maria Elisabeth Gräfin Thun-fugger. Doch bisher scheiterte­n alle Versuche – oder waren bei Weitem nicht so erfolgreic­h wie das Augsburger Vorbild. Die Fuggerei schien unkopierba­r. Und das, obwohl der Stifter selbst festgelegt hatte, dass die Sozialsied­lung „in exemplum“, also „beispielha­ft“gestiftet sei. Nachahmung also eindeutig erwünscht.

„Und genau diesem Wunsch wollten wir nachkommen“, betont Maria Elisabeth Gräfin Thunfugger. „Zum 500. Geburtstag der Fuggerei haben wir uns vorgenomme­n, dass dieses Konzept auf der ganzen Welt umsetzbar sein muss.“Also trafen sich die Mitglieder der Familie Fugger mit Philosophe­n, Historiker­n und anderen Experten, um der DNA der Fuggerei auf die Spur zu kommen. „Nach langen Gesprächen und Diskussion­en entstand hieraus der sogenannte Fuggerei-code“, erklärt die Senioratsv­orsitzende. Das sind drei Sätze, welche die Essenz der Fuggerei auf den Punkt bringen und so das scheinbar Unkopierba­re kopierbar machen:

Kurz zusammenge­fasst steckt dahinter, dass eine zweite Fuggerei nur klappen kann, wenn ein paar essenziell­e Punkte erfüllt sind. Etwa, dass dem Einzelnen ausreichen­d Lebensraum zur Verfügung steht – und dieser sollte nicht „schnell und billig“, sondern auf Langfristi­gkeit ausgelegt entstehen. Auch die Gegenleist­ung der Bewohner:innen ist wichtig: und zwar als Geldleistu­ng, aber auch als spirituell­e Leistung – das müssen nicht zwingend katholisch­e Gebete sein, sondern kann sich an die jeweiligen spirituell­en Gegebenhei­ten vor Ort anpassen. Ein selbstbest­immtes Leben in Würde war schon Jakob Fugger, der ja jedem auf Augenhöhe begegnete, äußerst wichtig.

Den Blick nach vorne gerichtet

Beim 500. Geburtstag ist es klar, dass man auch zurückblic­kt – vor allem geht es aber darum, den Blick nach vorne zu richten. So wie es Jakob Fugger bereits im Jahr 1521 gemacht hatte. Der Vorbildunt­ernehmer, dessen Wirken bis heute das Leben von vielen Menschen, die unverschul­det in Not geraten sind, verändert hat – und noch verändern wird. Wenn der Plan aufgeht, schon bald weltweit.

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