Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
In der Innenstadt werden Skelette ausgegraben
Aktuell holen Fachleute beim Kesselmarkt alte Knochen aus der Erde. Sie gehören zu einem Friedhof aus dem Mittelalter. Es ist nicht das einzige Gräberfeld, das unter Augsburg liegt
Baustellen in Augsburg erregen normalerweise nicht viel Aufsehen. Anders ist es zurzeit am Kesselmarkt in der Innenstadt, hier blicken Schaulustige immer wieder interessiert über die Absperrungen in einen ausgehobenen Graben. Dort blitzen einem aus der Erde Knochen und Schädel entgegen – mehrere Hunderte Jahre alt, aber gut erhalten. Es ist nicht das erste Mal, dass am Kesselmarkt Skelette ausgegraben wurden.
Bereits im Jahr 2013 wurden bei Arbeiten der Stadtwerke dort Knochen gefunden. Sie gehörten, wie auch die jetzt gefundenen Kochen, zu einem mittelalterlichen Friedhof. Dessen Existenz ist laut Sebastian Gairhos, Leiter der Stadtarchäologie, schon länger bekannt. Gairhos kann grob skizzieren, wie groß das Gräberfeld war: „Der Friedhof geht bis zur Kreuzung Hafnerberg, und im Süden ist dann etwa an der Karlsstraße Schluss.“Der bestimmende Platz sei die damalige Kirche St. Martin gewesen, so der Stadtarchäologe, die 1070 geweiht wurde und vor dem heutigen Augusta-hotel gestanden hat. Im 13. Jahrhundert hatte sich dort zudem ein Frauenkloster entwickelt. „Mit der Reformation, als Augsburg protestantisch wurde, kam das Ende des Klosters. 1538 wurde die Martinskirche abgebrochen“, erklärt Gairhos. Der Friedhof sei somit auch nicht mehr als sakraler Ort behandelt worden, über ihm sei ein öffentlicher Platz entstanden. Diesen kennt man heute als Kesselmarkt.
Es ist nicht der einzige Friedhof, der in Augsburg unter der Erde schlummert. „Es gab im Mittelalter mehrere Friedhöfe in der Stadt, südlich der Bastion Luginsland, bei St. Ulrich oder um den Dom herum“, zählt Gairhos auf. Erst in der Neuzeit habe man begonnen, die Friedhöfe etwas außerhalb anzulegen, wie etwa den Friedhof in der Hermanstraße. Gairhos ist überzeugt, dass man etwa auch beim Domvorplatz Skelette finden würde, wenn man etwas graben würde. „Das Besondere am Kesselmarkt ist, dass die Stadtwerke dort durchmüssen mit ihren Leitungen, deshalb kommt es da häufiger zu Ausgrabungen.“
Diese Ausgrabungen hat man laut Stadtwerke-sprecher Jürgen Fergg nach den Funden 2013 dieses Mal schon eingeplant. Trotzdem werde sich die Baustelle verzögern. „Eigentlich sollte die Baustelle am 23. Juli abgeschlossen sein. Wir planen
solchen Bereichen bei der Bauzeit immer die Archäologie mit ein, das reicht hier aber mit Sicherheit nicht“, so Fergg.
Archäologe Gairhos rechnet damit, dass man mindestens zwei Dutzend Skelette aus der Erde holen werde, je nachdem, wie tief man für die Arbeiten graben müsse. Die Knochen im Boden bilden laut dem Stadtarchäologen eine „recht kompakte Schicht“. Dies habe mit der mittelalterlichen Bestattungsweise zu tun. „Heute werden ja Gräber auf dem Friedhof nach einer bestimmten Zeit aufgelöst, damals hat man alle einfach drin gelassen.“Die Folge: Viele Gräber sind dicht nebeneinander und vor allem aufeinander angelegt worden – in bis zu acht Schichten, wie es aus der Stadtarchäologie heißt.
Wie alt die Skelette genau sind, lässt sich schwer sagen. Die Skelette von Männern, Frauen und Kindern sind zwar gut erhalten, doch es fehlen – wie schon bei den letzten Ausgrabungen – Beigaben für die Verstorbenen, die man analysieren könnte. Diese Art der Bestattung sei jedoch typisch für das späte Mittelalter, so die Stadtarchäologie. Zudem,
Gairhos, habe man die Knochen, die man beim letzten Mal ausgegraben hat, mit einer Radiokarbonmethode analysiert. „Die ältesten waren aus dem 13. Jahrhundert, das wird dieses Mal nicht viel anders sein“, vermutet der Archäologe.
Er verspricht: „Die Skelette werden bei uns sorgsam verwahrt, letzten Endes sind es dann wissenschaftliche Objekte, mit denen wir aber pietätvoll umgehen.“Vor allem für Anthropologen, also Forscher, die sich mit menschlichen Überresten beschäftigen, könnten die Knochen interessant sein. „Solche Spezialisten sind in der Lage, das Geschlecht der Toten und über die Zähne auch das Sterbealter festzustellen“, weiß Gairhos. Zudem geben die Gebeine Aufschluss über die Lebensgewohnheiten, wie Ernährung, körperliche Arbeit oder Krankheiten. „Man sieht auch, wie gut oder schlecht die medizinische Versorgung war, etwa ob Brüche gut geschient wurden oder nicht“, so der Archäologe.
Die alten Knochen würden somit helfen, ein besseres Bild der Vergangenheit zu bekommen. „Durch die schriftliche Überlieferung kriegt man nur eine gefilterte Wahrnehin mung, die aus den oberen Schichten. Denn die anderen konnten ja gar nicht schreiben“, sagt Gairhos. Allerdings führt die Stadtarchäologie solche Untersuchungen an den Knochen nicht automatisch durch. „Wir sichern das als historische Quelle und wenn ein Forscher eine entsprechende Fragestellung hat, kann er das auswerten“, erklärt der Leiter der Stadtarchäologie.
Trotz ihres Potenzials für die Forso schung dürften viele Skelette weiter ungestört unter der Erde liegen. „Wir holen nur die raus, die von den Baumaßnahmen betroffen sind und die dadurch zerstört werden würden“, so Gairhos. Dafür sprechen nicht nur Pietätsgründe: „Bei einer Lebenserwartung im Mittelalter von 40 bis 50 Jahren und einer Einwohnerzahl von mehr als 10.000 kann man sich ja ausrechnen, wie viele Knochen unter der Stadt liegen.“