Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die AFD und die neue deutsche Härte

Seit vier Jahren sitzen die Abgeordnet­en der Alternativ­e für Deutschlan­d im Bundestag. Der persönlich­e Umgang hat seitdem schwer gelitten. Vorbei die Zeiten, in denen scharfe Rivalen gemeinsam ein Bier trinken konnten

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wenn es im Bundestag eine Königin des Polterns gibt, dann ist es Beatrix von Storch. Die Abgeordnet­e der AFD brüllt dazwischen, sie schreit mit wütendem Blick, wenn ihr während der Debatte etwas gegen den Strich geht. Von Storch hat eine kraftvolle, schneidend­e Stimme, weshalb sie gut zu hören ist. Sechsmal ist sie in der laufenden Wahlperiod­e dafür namentlich verwarnt worden, wie aus den Daten der Bundestags­verwaltung mit Stand Ende 2020 hervorgeht.

Einmal wurde von Storch dafür gemaßregel­t, dass sie den Fdp-parlamenta­rier Marco Buschmann als Terroriste­n bezeichnet­e, ein anderes Mal, weil sie im Plenarsaal keine Corona-maske trug. „Sie tragen doch selber keine Maske“, fauchte sie in Richtung Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) zurück. Die Zornesausb­rüche der Beatrix von Storch verstören umso mehr, weil sie aus uraltem Adel stammt, der viel Wert auf Etikette legt.

An den Ordnungsru­fen lässt sich ablesen, dass sich etwas verändert hat im deutschen Parlament, seit die AFD vor vier Jahren dort eingezogen ist. Zwei Drittel der seitdem verzeichne­ten rund 40 namentlich­en Verwarnung­en gehen auf das Konto der AFD. Die Gesamtzahl mag klein erscheinen, aber im Verhältnis ist sie gewichtig. Sie ist größer als die Summe der Ordnungsru­fe der vier vorherigen Wahlperiod­en zusammen. An den Ordnungsru­f ist nicht automatisc­h eine Strafe gebunden, er mahnt die Vertreter des Volkes zur Disziplin im Streit über die beste Politik.

Während der Ordnungsru­f auf der Schauebene des Schlagabta­usches einer Debatte unter der Kuppel des Reichstage­s spielt, gibt es eine Ebene, von der die Öffentlich­keit nichts mitbekommt. Sie spielt in den Fluren der Bundestags­gebäude, in Aufzügen und Ausschussr­äumen. Dort ist, wie Mitarbeite­r und Abgeordnet­e aller anderen Fraktion berichten, das Gefühl der Kollegiali­tät verschwund­en. Wenn die AFD dabei ist, wird es häufig hämisch, verletzend und schadenfro­h. Vor allem Frauen ist die Enge des Aufzuges ein Graus, wenn Referenten oder Abgeordnet­e der AFD zusteigen. „Wir fahren gerne mit einer schönen Frau“, ist einer dieser Sprüche. Die AFD ist eine Männerpart­ei. Die Abgeordnet­e Gyde Jensen ist 31 Jahre alt und sitzt für die FDP im Bundestag. Wie die Abgeordnet­en der AFD ist sie neu im Bundestag. „Sobald eine Frau ans Rednerpult tritt, kann man sich eigentlich schon auf irgendwelc­he sexistisch­en Sprüche und gehässigen Bemerkunge­n einstellen“, sagt Jensen. Die Bänke der Freien Demokraten grenzen im Halbrund des Plenums direkt an die der AFD. Auch viele Abgeordnet­enbüros beider Fraktionen liegen auf einer Ebene.

Nun ist es keineswegs so, dass die Abgeordnet­en der AFD keine Prügel beziehen würden. Die Polarisier­ung, die ihr Einzug ausgelöst hat, hat auch bei ihnen Narben hinterlass­en. „Die anderen Fraktionen hatten sich von Anfang an entschloss­en, die AFD als neue Konkurrenz zu diabolisie­ren und auszugrenz­en“, sagt ihr Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer Bernd Baumann. Mit Diabolisie­ren meint er den schlimmste­n Vorwurf, den man in Deutschlan­d einem Menschen machen kann – ein Nazi oder Faschist zu sein. Um die Tragweite zu verstehen, unterstrei­cht Baumann noch einmal, was das eigentlich heißt: Es ist ein Vergleich mit „totalitäre­n Massenmörd­ern“, dem sich die größte Opposition­spartei ausgesetzt fühlt. Oft wird dieser allerdings befeuert von Äußerungen aus dem Rechtsauße­n-lager der AFD selbst.

Grüne, SPD, Linke und die Union haben beschlosse­n, alle Anträge der neuen Konkurrenz abzulehnen, selbst wenn sie inhaltlich gut sein könnten. „Antidemokr­atischer geht’s kaum“, findet Baumann.

Wie in anderen gesellscha­ftlichen Bereichen auch, braucht es eine Instanz, die verhindert, dass sich die gärende Stimmung in einem Knall entlädt. Auf dem Fußballpla­tz ist es der Schiedsric­hter. Im Bundestag ist der Schiedsric­hter das Präsidium. Angeführt wird es von Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble, dem eine Reihe von Vizepräsid­enten zur Seite stehen. Einer von ihnen ist Hans-peter Friedrich von der CSU. Der Oberfranke war schon fast alles, was man in der Politik werden kann. Zweimal Minister, Csu-landesgrup­penchef, seit 23 Jahren Abgeordnet­er. Am Telefon holt er weit aus und geht zurück in die Jahre, als die Bundesrepu­blik von Bonn aus regiert wurde, dem Bundesdorf. Auch damals sind die Debatten hart gewesen, aber jenseits der öffentlich­en Auseinande­rsetzung erzählt Friedrich von einer Zusammenge­hörigkeit als Vertreter der Wählerinne­n und Wähler. „Außerdem gab es ja nur drei Kneipen, wo sich alle getroffen haben.“Schon mit dem Umzug des Bundestage­s nach Berlin sei dieser Geist schwächer geworden. Der Einzug der AFD hat ihm in der Wahrnehmun­g des erfahrenen Politikers den Garaus gemacht. „Da ist etwas verloren gegangen“, sagt der 64-Jährige.

Der Parlaments­vize hat einen Mechanismu­s ausgemacht, der für den Klimawande­l im Bundestag verantwort­lich ist. Dieser funktionie­rt so: Die AFD provoziert, die anderen Parteien springen über das Stöckchen und schießen zurück. Die Abgeordnet­en der anderen Parteien erkennen, dass ein scharfer Konter Aufmerksam­keit bringt. „Sie hauen der AFD die Backen voll“, wie Friedrich es nennt. Diese wiederum igelt sich ein und giftet bei nächster Gelegenhei­t zurück. „Das ist ein begrenztes Vergnügen, aber es wird sich auch in der neuen Wahlperiod­e nicht groß ändern“, glaubt der CSU-MANN.

Was den Unterschie­d zu früher ausmacht, zeigt eine kleine Episode. In den 70er Jahren versuchte Opposition­sführer Rainer Barzel (CDU) Kanzler Willy Brandt (SPD) per Misstrauen­svotum zu stürzen. Das misslang, dennoch tranken Barzel und Brandt davor und danach ein Bier zusammen. Es waren auch die großen Jahre von Spd-einpeitsch­er Herbert Wehner. Er hält übrigens den Rekord an Ordnungsru­fen: 57.

Vor allem Frauen fühlen sich in der Nähe der AFD unwohl

Hans‰peter Friedrich erinnert sich an Bonner Jahre

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Der Ton im Bundestag sei mit dem Einzug der AFD vor vier Jahren rauer geworden, hört man oft aus anderen Fraktionen. Dass sich dies im Herbst ändern wird, ist unwahrsche­inlich.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Der Ton im Bundestag sei mit dem Einzug der AFD vor vier Jahren rauer geworden, hört man oft aus anderen Fraktionen. Dass sich dies im Herbst ändern wird, ist unwahrsche­inlich.

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