Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Das ist Verrat an der Botschaft Jesu“
Ein Priester missbraucht Kinder und darf trotzdem weiterarbeiten. Nun besuchte Kardinal Marx die Gemeinde und fand deutliche Worte – auch über sich selbst
Garching an der Alz Wenn Rosi Mittermeier an den ehemaligen Pfarrer ihrer Kirchengemeinde im oberbayerischen Garching an der Alz denkt, dann fallen ihr schöne Momente ein. „Er war ja ein gefeierter Star mit sehr viel Charme und einem großen Fankreis“, sagt sie. „Umso schlimmer, wenn dieses schöne Bild überschattet und zerstört wird von der Erkenntnis, dass das nur das eine Gesicht von ihm war. Bei dem anderen Gesicht tut sich ein Abgrund auf.“Der katholische Priester, von dem Mittermeier spricht, hat Schlagzeilen gemacht in den vergangenen Jahren. 2008 wurde er – nach rund 20 Jahren – aus der Gemeinde abberufen und erneut versetzt, dieses Mal nach Bad Tölz. Inzwischen ist er suspendiert und in sein Heimatbistum Essen zurückbeordert worden. Erst zwei Jahre nach seinem Abschied aus Garching wurde bekannt: An früheren Wirkungsstätten – zuerst in Nordrhein-westfalen, danach in Grafing nur knapp 60 Kilometer von Garching an der Alz entfernt – waren Vorwürfe laut geworden, er habe Kinder missbraucht. Er wurde sogar rechtskräftig verurteilt. Die Kirche versetzte ihn daraufhin nach Garching, in eine Pfarrgemeinde, in der man von all dem nichts wusste und wo er dann womöglich erneut rückfällig wurde.
Man wisse heute, „dass auch Missbrauch geschehen ist, dass der Pfarrer, der hier tätig war, ein Missbrauchstäter gewesen ist“, sagt der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, am Samstagabend nach einer gemeinsamen Andacht mit Gemeindevertretern. „Das ist Verrat an der Botschaft Jesu, und es ist ein Versagen der Institution, für die ich um Entschuldigung bitte.“Sein Bistum hat nach Angaben eines Sprechers „derzeit Kenntnis von drei Betroffenen sexuellen Missbrauchs in Garching/ Alz, bei denen es konkrete Hinweise auf Taten in den Achtziger- und Neunzigerjahren durch den in dieser Zeit in der Pfarrei eingesetzten Priester gibt“.
„Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich riesig, aber das kann keiner wissen“, sagt Mittermeier, die die Initiative „Sauerteig“mitgegründet hat. Es ist ein Zusammenschluss von Gemeindemitgliedern, die aufarbeiten wollen, was in ihrer Pfarrei passiert ist. Auch nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den Priester hatte es jahrelang geheißen, in Garching habe es keine weiteren Fälle mehr gegeben. Seit dem vergangenen Jahr ist klar, dass das wohl nicht stimmt. Seither habe sich auch die Stimmung bei denjenigen gedreht, die lange noch zum ehemaligen Pfarrer hielten.
Marx selbst ist erst seit 2009 Erzbischof von München und Freising. Sein Vorgänger, der emeritierte Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter hat in einer Erklärung am 23. März 2010 um Entschuldigung für den Fall gebeten. Aber auch auf Marx sind in diesen Tagen natürlich alle Augen gerichtet. Schließlich hat er sein – dann abgelehntes – Rücktrittsangebot an Papst Franziskus damit begründet, strukturelle Verantwortung für den inzwischen seit Jahren andauernden Missbrauchsskandal übernehmen zu wollen. „Das Rücktrittsgesuch war umfassend gemeint“, betont Marx in Garching. „Ich bin ja kein Roboter. Ich stehe ja als Person dafür, auch mit meinen Fehlern.“Gerade erst wurde erneut Kritik an der Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche laut, weil die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Freitag bekannt gab, dass erst ein Teil der Bistümer die vor mehr als einem Jahr vereinbarten unabhängigen Kommissionen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch eingerichtet haben.
Für diesen Herbst ist eine neue Missbrauchsstudie angekündigt, die den Fall Garching aufarbeiten soll – ebenso wie andere Fälle. Auch solche aus Marx’ Zeit als Erzbischof. „Ich habe jetzt keinen konkreten Punkt, wo ich sage, da habe ich jetzt was vertuscht“, sagt der Kardinal. Aber: Manchmal habe er womöglich nicht genau genug hingeschaut. „Hätte ich mich nicht anstrengen müssen, mehr zu wissen?“, fragt er. „Das empfinde ich als Schuld.“
Das Gutachten wird auch deshalb mit Spannung erwartet, weil Joseph Ratzinger, der spätere und inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI., dort von 1977 bis 1982 Erzbischof von München war. In diese Zeit fällt beispielsweise auch die erste Versetzung des späteren Garchinger Pfarrers von Nordrhein-westfalen nach Bayern.