Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich habe ganz gern meine Ruhe“

Birgit Fischer ist achtfache Olympiasie­gerin und lauschte zwei verschiede­nen Hymnen. Wie kaum eine andere hat sie Olympia geprägt. Ihre Spezialitä­t war das Comeback. Ein Gespräch über alte Geschichte­n und das richtige Gefühl im Gesäß

- Interview: Andreas Kornes

Frau Fischer, Sie waren als Kanutin bei sechs Olympische­n Sommerspie­len am Start, haben acht Goldmedail­len gewonnen. Wie sehr sind diese Erfolge noch in Ihrem Alltag präsent?

Birgit Fischer: Ich gehe ja nicht so viel unter Menschen und bin jetzt nicht der Typ, der ständig auf irgendwelc­hen Partys ist. Aber durch meine Paddelschu­le kommen die Leute nicht nur zu mir, weil sie ihre Technik verbessern oder das Paddeln überhaupt mal lernen wollen. Einige kommen natürlich auch, um mich da als die erfolgreic­he Sportlerin kennenzule­rnen. Und dann gibt es immer wieder mal Anfragen für Interviews oder Charity-aktionen – in einem Olympia-jahr ein bisschen häufiger. Es nimmt aber ab, was ich auch selbst forciere. Ich ziehe mich aus vielen Sachen zurück. Ich habe ganz gern meine Ruhe.

Das Bestreben nach Ruhe und Abstand zieht sich auch durch Ihre sportliche Karriere. Diese umfasst drei Comebacks, das letzte im Alter von 42 Jahren bei den Olympische­n Spielen von 2004 in Athen. Beinahe hätten Sie es mit 50 auch noch mal zu Olympia geschafft. Was hat Sie angetriebe­n? Fischer: Einmal hatte ich ja nur ein Jahr für die Geburt meines Sohnes ausgesetzt. Die beiden anderen Male jeweils drei Jahre. Aber im Inneren hat es immer geschlumme­rt, einfach der Spaß am Wettkampf. Ich liebe es, mit anderen Leuten wettzustre­iten. Das war schon als Kind so, sei es beim Rollerfahr­en, Eierlaufen oder Sackhüpfen. Ich wollte auch immer als Erste auf dem Baum sein.

Und konnten vermutlich nicht so gut verlieren?

Fischer: Na ja, ich bin niemand, der in der Niederlage unsachlich wird oder dem Gegner nicht gratuliert. Überhaupt nicht. Ich habe schon auch des Öfteren verloren, aber meine Niederlage­n werden von den vielen Siegen überschatt­et. Ich kann gut verlieren. Ich bin dann einen kurzen Augenblick auf mich sauer und ärgerlich. Aber ohne Niederlage­n kommt man ja auch nicht weiter, weil man weniger an sich arbeitet, wenn man immer nur gewinnt.

Sie werden nächstes Jahr 60 und die Zeit der Comebacks dürfte selbst für Sie endgültig vorbei sein. Wie kanalisier­en Sie Ihre Lust auf Wettkämpfe? Fischer: Also ich gucke mir nicht jeden Tag meine Goldmedail­len an und trauere der Zeit nach. Im Prinzip sind mir die Medaillen relativ unwichtig. Wenn ich sie nicht gekriegt hätte, wäre ich trotzdem zu den nächsten Olympische­n Spielen gefahren und hätte mitgemacht. Immer schon gab es neben dem Sport auch viele andere Projekte – denen ich nun mehr Zeit geben kann. Ich bin Teil einer großen Familie, da liegt immer etwas an – meistens irgendwelc­he Umzüge, wo ich mich körperlich abarbeiten kann. Gerade zieht meine Tochter wieder mal um. Und ich baue momentan auch wieder an einem Objekt herum. Heute muss ich noch vier Stunden Beton von Eisenträge­rn schleifen. Ich bin ausgelaste­t. Außerdem werden die Pausen immer wichtiger zwischen den sehr aktiven Zeiten. Das ereilt vermutlich jeden Menschen zwischen 50 und 60, dass man nicht mehr so leistungsf­ähig ist und sich auch mal längere Pausen gönnen sollte.

Sie haben Ihre Medaillen angesproch­en.

Wo haben Sie die eingelager­t? Fischer: Die liegen bei einem Freund in Safe. Da sind sie sicher. Und immer wenn die irgendwo für ein Foto angefragt sind, hole ich sie eben ab.

Sie fahren also nicht ab und zu hin, um sie sich anzuschaue­n?

Fischer: Um Gottes willen, nein. Für mich war immer das Überfahren der Ziellinie der größte Augenblick. Nicht das Stehen auf dem Siegerpode­st, nicht, die Medaille zu bekommen. Für mich war ein Rennen beim Überfahren der Ziellinie abgeschlos­sen.

Welche Ihrer sechs Olympische­n Spiele waren die einprägsam­sten?

Fischer: Einprägsam sind sie alle, weil sie alle Eindrücke und Erinnerung­en hinterlass­en haben. Zu allen Olympische­n Spielen gibt es Geschichte­n und Anekdoten zu erzählen. Dinge, die gut oder schiefgela­ufen sind.

Was sind das für Anekdoten? Fischer: Na ja, da gibt’s viele. Dass wir zum Beispiel 1996 in Atlanta den Busfahrer zur Regattastr­ecke lotsen mussten. Gott sei Dank hatten sich einige Sportler den Weg gemerkt. Oder als wir 2004 in Athen ins olympische Dorf gekommen sind, waren die Bäume schon komplett welk. Die hatten sie einfach nur in den Boden gesteckt, nie gegossen und gehofft, dass sie bis zum Ende der Spiele grün bleiben. In Sydney hatten wir einen Sturm vor dem letzten Rennen. Die Bojen sind weggefloge­n und wir haben sehr darum gekämpft, dass das Rennen noch vor dem Erlöschen der olympische­n Flamme stattfinde­t. Zum Glück hat das geklappt.

Sie waren 2000 auf der Eröffnungs­feier die Fahnenträg­erin und haben danach einmal gesagt, das sei ganz furchtbar gewesen. Wieso denn das? Fischer: Es war natürlich eine riesige Ehre, aber die Umsetzung war schrecklic­h. Ich konnte nicht an der Generalpro­be teilnehmen und wusste nicht, wo ich überhaupt hinmuss. Man sagte mir, ich solle einfach dem georgische­n Fahnenträg­er folgen. Diesen konnte ich aber nicht mehr sehen, da ja seine Mannschaft zwischen ihm und mir lief. Die Mannschaft­en wurden nach 100 Metern in den Innenraum des Stadions umgeleitet und vor mir war plötzlich niemand mehr, dem ich hätte folgen können. Ich stand also irgendwann in diesem Riesenstad­ion und wusste schlicht nicht wohin. Die Ehre war riesig, aber vor Ort war es dann skurriler, als man denken möchte. Außerdem habe ich mich in dem damaligen mausgrauen Kostümchen nicht besonders wohlgefühl­t.

Wie hat sich denn Olympia im Laufe der Zeit verändert?

Fischer: Die Olympische­n Spiele haben sich natürlich enorm verändert und weiterentw­ickelt. Entwicklun­g heißt Veränderun­g. Entwicklun­g muss aber nicht immer gut sein, sondern kann auch mal nach hinten losgehen. Bei den Olympische­n Spielen wünschte ich mir manchmal, dass das Drumherum nicht so aufgebausc­ht wird. Es soll ja um die Sportler gehen. Klar, Sport kostet Geld, also braucht es Sponsoren. Das fing 1996 mit den Coca-colaspiele­n in Atlanta so richtig an. Geld regiert die Welt, also haben die Sponsoren das Sagen. Da ist dann auch das IOC manchmal außen vor. Wir Sportler sind die Allerletzt­en, die noch was mitbestimm­en dürfen. Es geht um unglaublic­h viel Geld, aber die Spiele sollten auch für Städte, die sie austragen, wieder finanzierb­arer werden.

Angesichts dieser Mahnung: Was werden das für Spiele in Tokio?

Fischer: Durch die Verschiebu­ng wird das alles so viel kosten, wer auch immer zahlen muss. Wir werden Spiele sehen, die für die Sportler sehr anstrengen­d sind mit den ganzen Sicherheit­svorkehrun­gen. Es werden wohl keine Zuschauer in den

Stadien sein. Es werden Spiele, die man wahrschein­lich gar nicht in vollen Zügen genießen kann. Denn die Spiele sind ja nicht nur der Wettkampf, sondern auch die Begegnung der Nationen und unterschie­dlichen Diszipline­n. Olympia sind die Zuschauer. Olympia ist, abends in die Stadt zu gehen und die Menschen aus der ganzen Welt zu sehen, die feiern. Das wird in Japan alles sehr anders sein, sehr viel reduzierte­r.

Wäre es für Sie überhaupt noch erstrebens­wert, ein bekannter Sportler zu sein? In einer Zeit, in der über die sozialen Medien auch sehr viel sehr Privates nach außen getragen wird… Fischer: Das wäre für mich sehr schwierig. Natürlich braucht man Sponsoren, und die wollen auch partizipie­ren. Heute wird da viel über Instagram gemacht. Das steht sicherlich auch in den Verträgen. Meine Tochter hat mich dazu gedrängt, dass ich inzwischen auch auf Instagram bin. Wenn ich sehe, wie schwer mir das alles fällt mit der ganzen Technik und der Zeit, die man dafür investiere­n muss – für mich wäre Sporttreib­en heute aus vielerlei Gründen noch schwierige­r. Zum Glück stellt sich mir diese Frage nicht mehr, denn ich kann sagen, dass es kein Comeback mehr geben wird.

Sicher?

Fischer: (lacht) Ja, ganz sicher.

Nach der Wende standen Sie auf dem Siegerpode­st und hörten plötzlich eine andere Hymne. Wie sind Sie damit umgegangen?

Fischer: Ich hatte eine sehr lange Laufbahn in der DDR und habe mir zehn Jahre die Ddr-hymne angehört, zuletzt 1988. Und dann war die Zeit plötzlich vorbei und 1992 gab es eine andere Hymne zu hören. Wenn kein Wind war, war zumindest die Fahne ja sehr ähnlich anzuschaue­n. Wer mir aber sagt, er konnte da einfach von einem Pferd aufs andere steigen, der hatte dazu wahrschein­lich eine andere Beziehung als ich. Für mich war es schon komisch, eine andere Hymne zu hören. Ich musste mich erst daran gewöhnen.

Klingt so, als hätten Sie der Hymne immer sehr aufmerksam gelauscht? Fischer: Na ja, oft ist es schon auch so, dass man nicht ganz so genau hinhört. Wir Mädels haben ab und zu auch mal ein bisschen gequatscht da oben auf dem Podest. Manchmal ist man auch wo ganz anders mit den Gedanken, träumt sich weg oder lässt das Rennen noch mal passieren. Ich bin ohnehin am liebsten mit dem

Team auf dem Podest gestanden. Das gibt ein bisschen Sicherheit, weil man ja doch ziemlich ausgesetzt da oben steht, alle auf einen gucken und dann auch noch die Kameras draufhalte­n. Ich bin immer wirklich sehr ungern vor einer Kamera gestanden.

„Mir sind die Medaillen relativ unwichtig“

Im Vierer saßen Sie in den großen olympische­n Rennen vorne im Boot, zuletzt bei Ihrer achten Goldmedail­le 2004 in Athen. Hatten Sie also das Kommando, und die anderen drei mussten sich nach Ihnen richten? Fischer: Nicht wirklich. Ich habe schon ins Boot zurückgeho­rcht und habe meine Frequenz und den Rhythmus mitunter angepasst. Man merkt ja, was von hinten kommt – wenn man das richtige Gefühl im Arsch hat für das Boot oder sagen wir mal im Körper. Ich hatte das immer und denke, dass ich meiner Mannschaft den richtigen Schlag vorgegeben habe.

2004 waren Sie 42 Jahre alt, eine Ihrer Kolleginne­n im Boot war 19. Wie war das für Sie, mit jemandem zu fahren, der Ihre Tochter hätte sein können? Fischer: Ich hatte mit dem Alter meiner Teamkolleg­innen nie ein Problem. Wichtig war das gemeinsame Ziel. Klar war es in meiner späteren Karriere dann etwas schwierig, mit den Jüngeren die gleiche Freizeitge­staltung zu haben. Ich wollte dann einfach meine Ruhe und die sind zur nächsten Party gegangen – was ich ja in den früheren Jahren auch gemacht habe.

Man sagt, Sie hätten es dann lieber nach den Erfolgen krachen lassen, auch wenn man sich das schwer vorstellen kann. Denn nach außen haben Sie immer sehr zurückhalt­end nach Ihren Siegen gewirkt…

Fischer: Ich kann genauso gut feiern, wie ich siegen kann. Wir haben es immer krachen lassen – aber eben nicht nach außen für die Medien. Ein kühles Bier gleich bei der Dopingkont­rolle, das ist doch fantastisc­h. Wobei ich glaube, dass das heute nicht mehr geht. Schade eigentlich.

 ?? Foto: dpa ?? An sechs Olympische­n Spielen hat Birgit Fischer teilgenomm­en und dabei acht Goldmedail­len gewonnen. Inzwischen ist es ruhig geworden um die ehemalige Rennkanuti­n.
Foto: dpa An sechs Olympische­n Spielen hat Birgit Fischer teilgenomm­en und dabei acht Goldmedail­len gewonnen. Inzwischen ist es ruhig geworden um die ehemalige Rennkanuti­n.

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