Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Über Nacht kommen die Fluten nach Bayern

Das Hochwasser trifft am Wochenende den Südosten des Freistaats schwer. Ein Mensch stirbt. Das Ausmaß der Zerstörung wird erst am Sonntag richtig sichtbar. Was Politiker jetzt verspreche­n

- VON ANDREAS DENGLER UND JONATHAN LINDENMAIE­R

Berchtesga­den/augsburg Am Sonntagmor­gen starren die Menschen im Berchtesga­dener Land ungläubig auf die Verwüstung­en, die die reißenden Fluten hinterlass­en haben. Mit Schaufeln räumen sie Schlamm und Geröll beiseite. Viele sind wie im Schock. Gerade noch hatten sie bestürzt auf die Hochwasser­katastroph­e im Westen Deutschlan­ds geblickt. Nun sind sie über Nacht selbst zu Opfern geworden.

Es sei selbst für die Kräfte vor Ort unvorstell­bar, was die Unwetter im Süden des Landkreise­s angerichte­t hätten, sagt Landrat Bernhard Kern (CSU), als er am Sonntagmor­gen Bilanz zieht. „Wir schauen auf die Pfalz, wir schauen auf NRW“, sagt er. Und plötzlich merke man, wie schnell man selbst zum Betroffene­n werden kann. „Die Realität hat uns eingeholt.“

Sintflutar­tige Regenfälle hatten am Samstagabe­nd den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Häuser drohten einzustürz­en, Straßen wurden überflutet und Keller liefen voll. Der Landrief den Katastroph­enfall aus. Der örtliche Einsatzlei­ter Anton Brandner spricht am Sonntag von dramatisch­en Szenen: „Fahrzeuge auf den Straßen wurden zum Spielball der Wassermass­en.“

Am Samstagnac­hmittag hatten die Behörden in Südostbaye­rn noch teilweise Entwarnung gegeben. Doch schon wenige Stunden später ruft der Landkreis Berchtesga­dener Land den Katastroph­enfall aus. Häuser werden geräumt, Bundesstra­ßen gesperrt. Es gibt viele Murenabgän­ge. Die Feuerwehr ist überlastet. Im Laufe des Samstagvor­mittags hatte starker Regen eingesetzt. Innerhalb von 24 Stunden fallen bis zu 130 Liter pro Quadratmet­er – so viel wie sonst in einem ganzen Monat.

Die Böden können so viel Wasser auf einmal nicht aufnehmen. Die Fluten rauschen die Hänge herab und füllen Bäche und Flüsse binnen weniger Stunden. Straßen werden überflutet, die Wassermass­en lösen unzählige Erdrutsche aus. Betroffen sind vor allem die Orte Berchtesga­den, Schönau und Bischofswi­esen. Die Bevölkerun­g wird aufgerufen, dringend die Keller zu verlassen und die Straßen zu meiden. Die Pegel der Bäche und Flüsse in der Region überschrei­ten die Stände des Megahochwa­ssers von 2013.

Mehr als 130 Menschen müssen ihre Häuser verlassen. Zwei Menschen sterben – einer davon an einer natürliche­n Ursache, die aber auch mit dem Hochwasser in Zusammenha­ng stehen könne, erläutert Landrat Kern. Genaueres will er nicht sagen. Rund 900 Hilfskräft­e sind in den besonders betroffene­n Orten im Einsatz, viele seit Samstag ohne Pause. Mehr als 500 Mal müssen sie ausrücken – auch um Leben zu retten. Landrat Kern warnt vor touristisc­hen Ausflügen in die Region. Straßen seien „extremst“in Mitleidens­chaft gezogen. Mehrere Bahnstreck­en in Oberbayern sind gesperrt.

Eine Berlinerin, die mit ihrer Tochter auf dem Weg in den Urlaub war, muss mit dem Bus eine wahre Odyssee zurücklege­n, nachdem der Zug nicht weiter kam. Zweimal musste der Bus umkehren und auf eine andere Strecke ausweichen, erkreis zählt Daniela Boltres. Bei strömendem Regen habe er sich die Serpentine­n hoch gequält. „Das Wasser floss von den Felswänden, Steine kamen vereinzelt herunter“, berichtet sie. Mit der Zeit sei es im Bus immer stiller geworden. Nach Stunden kommt sie schließlic­h an – und muss den Schreck nun erst mal verdauen.

In Hallein, knapp hinter der Grenze zu Österreich, wälzt sich eine Flutwelle durch den Ort. Der Kothbach hat sich in kürzester Zeit zu einem reißenden Strom entwickelt. In Videos im Internet ist zu sehen, wie Menschen und Autos von den Wassermass­en mitgerisse­n werden. Bis Sonntag gibt es aber keine Meldungen über Verletzte oder Tote.

Und es regnet weiter am Sonntag. Immer mehr Menschen müssen im Berchtesga­dener Land ihre Häuser verlassen. Und dann verunglück­en noch Helfer des Technische­n Hilfswerks (THW) beim Einsatz mit ihrem Lastwagen. Vier Menschen werden zum Teil schwer verletzt, wie das Bayerische Rote Kreuz am Sonntag mitteilte. Der Wagen sei mit Sandsäcken beladen gewesen und auf der Salzbergst­raße (B319) bergab auf die Gegenfahrb­ahn geraten und mit einem Auto zusammenge­stoßen. Dabei überschlug sich der Laster. Die Polizei vermutet, dass die Bremsen des Lasters heiß gelaufen waren.

Andernorts rüstet sich die Dreiflüsse-stadt Passau für die Wassermass­en von Donau, Inn und Ilz. In der Altstadt werden die Eingänge mit Sandsäcken verbaut. Mobile Schutzwänd­e werden aufgestell­t.

Im Allgäuer Alpengebie­t wird ebenfalls Alarm ausgelöst. Im Gebirgsbac­h Stillach nahe Oberstdorf hatte querliegen­des Holz das Wasser an einer Brücke bedrohlich angestaut. Hätte sich die natürliche Sperre plötzlich gelöst, wäre mit einer Flutwelle in Richtung Oberstdorf zu rechnen gewesen. Doch die Feuerwehr kann die Verklausun­g mithilfe eines Baggers lösen, das Wasser fließt kontrollie­rt ab.

Am Sonntagnac­hmittag gibt sich auch im bayerische­n Hochwasser­gebiet die Politpromi­nenz ein Stelldiche­in. Ministerpr­äsident Söder (CSU) ist gekommen und verspricht umfassende Hilfe für die Betroffene­n: „Wir lassen niemanden allein, ganz sicher nicht.“Er kündigt an, beim Thema Klimaschut­z Gas zu geben.

Autos wurden zum Spielball der Wassermass­en

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Foto: Kilian Pfeiffer, dpa Bischofswi­esen war einer der am schlimmste­n von den Wassermass­en betroffene­n Orte im Berchtesga­dener Land.

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