Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

496 Tage Warten haben ein Ende

Im Rosenausta­dion durften am Wochenende wieder Zuschauer das Regionalli­gaspiel des FCA II besuchen. Das Stadionerl­ebnis hat vielen gefehlt, der Fußball ist bei dieser Rückkehr für sie aber nicht das Wichtigste

- VON PIET BOSSE

496 Tage – so lange hat Flo Esser darauf gewartet, um ein Fußballspi­el zu sehen, er weiß es ganz genau: „Das war bei uns in der Allianzare­na.“Am 8. März 2020 gewann der FC Bayern in der Bundesliga gegen den FC Augsburg mit 2:0. Es war das bisher letzte Spiel in einer ausverkauf­ten Arena. Dann kam die Corona-pandemie. Statt voller Stadien gab es erst gar kein Fußball mehr, dann über ein Jahr lang fast nur Geisterspi­ele. Heute, 496 Tage später, geht der 24-Jährige das erste Mal wieder zum Fußball, gehen 750 Fans das erste Mal nach fast anderthalb Jahren wieder zum Fußball. Und wieder spielen die Bayern gegen den FCA, diesmal die U23-mannschaft­en in der Regionalli­ga Bayern im Rosenausta­dion. Wie fühlt sich das an, nach so langer Pause wieder unterwegs zu sein, endlich im Stadion zu stehen?

750 Zuschauer sind zugelassen, 600 aus Augsburg, 150 Gästefans aus München, unter ihnen sind auch Esser und seine Freunde. An die Karten für den Gästeblock sind sie nur durch Beziehunge­n gekommen. Einer von ihnen hat erst vor ein paar Stunden zufällig auf dem sozialen Netzwerk Facebook noch ein Ticket ergattern können. 50 Menschen seien auf der Warteliste gewesen, sagt Esser, der das Spiel nach langem Warten vor allem genießen möchte. „Es ist schön, endlich wieder unterwegs zu sein und den Verein zu supporten.“

Unterwegs ist auch Robert Müller, er ist morgens aus Sigmaringe­n in der Schwäbisch­en Alb angereist – und hat kein Ticket. Der 57-Jährige fuhr fast 200 Kilometer mit dem Auto nach Augsburg, um dann festzustel­len, dass es keine Tageskasse gibt: „Ich wusste nicht, dass die Karten nur im Internet verkauft werden.“Einige seiner Freunde hatten mehr Glück und haben online Karten bekommen. „Jetzt bin ich hier, und gehe nachher in den Biergarten“, sagt Müller. Traurig klingt er dabei nicht, er ist froh, wieder unterwegs zu sein. Jetzt guckt er sich erst einmal um, läuft vom Gäste-eingang in Richtung Süden, an der nächsten Ecke versammeln sich die Augsburger Fans. Müller kehrt wieder um und verpasst eine Gelegenhei­t – ein Fan hat ein Ticket über und bietet es zum Verkauf an. Allerdings im Heimbereic­h, mit seinen Freunden hätte Müller das Spiel dann nicht schauen können.

Um die Gemeinscha­ft geht es hier vielen. „Das ist wie Familie“, sagt Renate, die mit ihrem Mann ins Stadion geht und alte Freunde begrüßt, mit denen sie schon seit vielen Jahren zum FCA geht. Auf ihre Familie wartet Conny Anhut nebenan auf dem Parkplatz, um mit ihrem Bruder, ihrer Schwägerin und ihrem Enkel das Spiel anzuschaue­n. „Wir gehen eigentlich fast immer ins Rosenausta­dion zur Regionalli­ga und auch zu den Profis. Die Spielklass­e ist nicht so wichtig, Hauptsache Fußball“, sagt sie. Sie ist 66 Jahre alt und arbeitet schon lange in der Gastronomi­e. Vom Ausfall vieler Veranstalt­ungen in den letzten anderthalb Jahren war sie direkt betroffen. Deshalb, sagt sie, sei ihr wichtig, dass gemeinscha­ftliche Unternehmu­ngen wieder möglich sind.

Hier, vor dem Eingang der Heimfans, stehen viele Menschen zusammen, zwar ohne Masken, aber die Gruppen halten Abstand zueinander. Auf dem Stadiongel­ände sieht das anders aus, dort herrscht Maskenpfli­cht und am Wurst-stand reger Betrieb. Die Zuschauer sollen nur auf ihren Tribünenpl­ätzen essen und trinken. Das klappt nicht immer. Als sie in der Halbzeit eine Portion Pommes kauft und schon isst, während sie auf ihren Enkel wartet, wird Conny Anhut mehrmals von einem Ordner ermahnt, sie solle warten, bis sie auf ihren Platz zurückgeke­hrt ist. Anhut ist froh über die ersten 45 Minuten im Stadion nach fast anderthalb Jahren, aber: „Wenn wir gewinnen würden, wäre es mir aber lieber.“

Vom Gewinnen ist der FCA weit entfernt, liegt zur Pause 0:3 zurück. Die Münchner Spieler umarmen sich beim Torjubel, die Fans im Gästeblock nicht. Die meisten halten Abstand, reißen bei den Toren die Ärmel hoch und klatschen. Sie singen auch, fast die ganze Zeit. Die Gäste sind dem FCA nicht nur auf dem Platz überlegen, das merken auch Marcel und seine Freunde in der Halbzeitpa­use an: „Von den Bayern-fans kommt mehr, die Augsburger singen zu wenig.“Über die Stimmung ärgert sich auch eine kleine Gruppe nach dem Schlusspfi­ff: „Teilweise war das niveaulos“, sagt eine Frau und meint Rufe von Augsburger­n, die den im Sommer aus der dritten Liga abgestiege­nen Münchnern „Absteiger! Absteiger!“entgegenri­efen. „Man sagt immer, die Bayern seien arrogant, aber hier waren es die Augsburger“, sagt sie. Dass die Heimfans ihr Team in der zweiten Halbzeit trotzdem angefeuert und mehrere Abwehrakti­onen mit viel Applaus abgefeiert haben, erwähnt sie nicht.

Vom 0:3-Spielausga­ng abgesehen sind die meisten Fans zufrieden. „Das war wunderbar, hat uns allen super gefallen“, sagt Conny Anhut, als sie mit ihrer Familie das Stadion verlässt. Das Strahlen in ihrem Gesicht sieht man trotz der Maske, die sie jetzt vorschrift­smäßig trägt.

Auch die Spieler haben die besondere Atmosphäre genossen: „Das war überragend und hat gerade in der zweiten Halbzeit noch ein paar Prozent rausgehaue­n“, sagt Augsburgs Kapitän Hendrik Hofgärtner. „Das waren Gänsehautm­omente, mit Fans ist es was ganz anderes.“Seinem Mitspieler Marco Nickel fielen die langen Wege auf dem Platz am Ende leichter: „Die Zuschauer machen einen Unterschie­d, wenn sie einen nach vorne treiben.“Für einen Sieg hat es aber nicht gereicht, den bejubeln die Münchner Spieler mit ihren Fans vor dem Gästeblock.

Der Auswärtssi­eg ist aber nicht das, was David und seine Freunde glücklich macht, als sie eine halbe Stunde nach Abpfiff vor dem Gästeeinga­ng stehen. Der Augsburger und Bayern-fan trinkt Bier und unterhält sich mit seinen Freunden. „Die Euphorie ist groß bei uns, das Bier ist super, die Polizei und die Ordner haben das top organisier­t. Das hat Spaß gemacht“, sagt er. Ein kleines, traditione­lles Stadion mit wenigen Fans sei stimmungsv­oller als in der großen Allianz Arena. Und der Fußball sei in den unteren Ligen ehrlicher.

Den Ausflug ins alte, traditions­reiche Rosenausta­dion hat er, wie so viele hier, nicht nur wegen des Fußballs genossen. „Es ist schön, mal wieder etwas zu unternehme­n, einen Ausflug zu machen und unter Leuten zu sein.“Das hat viele Menschen im Rosenausta­dion an diesem Samstag glücklich gemacht, manche haben 496 Tage darauf gewartet.

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Fotos: Klaus Rainer Krieger So sieht heutzutage ein „ausverkauf­tes“Stadion aus: Rund 600 Heimfans durften die Regionalli­ga‰partie zwischen dem FCA II und dem FC Bayern München II live vor Ort verfolgen. Viele Anhänger haben lange darauf gewartet.
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Auch wenn das Ergebnis mit 0:3 nicht zugunsten des FCA ausfiel, bedankten sich die Spieler (im Bild Torhüter Max Engl) danach bei ihren Fans.

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