Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Jedermann wie lange keiner
Lars Eidinger brilliert in der Titelrolle von Hofmannsthals Festspielklassiker in Salzburg
Salzburg Selten in jüngerer Zeit war ein Salzburger „Jedermann“-darsteller mit so viel Vorschusslorbeeren überhäuft worden wie der Berliner Schauspieler Lars Eidinger. Doch die hohen Erwartungen waren berechtigt. Eidinger, der in zahlreichen Shakespeare-rollen ebenso brilliert hat wie in der populären Tv-serie „Babylon Berlin“, ist einer der überzeugendsten „Jedermänner“seit langem und stellt seinen nuschelnden Vorgänger Tobias Moretti an darstellerischer Präsenz weit in den Schatten. Es gab Ovationen für den 45-Jährigen nach der Premiere zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, die am Samstagabend wieder einmal wegen Dauerregens im Großen Festspielhaus über die Bühne ging.
Eigentlich sollte es dieses Jahr eine Wiederaufnahme der vor vier Jahren entstandenen Produktion des österreichischen Regie-routiniers Michael Sturminger geben. Doch wegen der Umbesetzung fast des gesamten Darstellerteams entschied man sich für eine komplette Neudeutung von Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel vom „Sterben des reichen Mannes“, den beim Festbankett der Tod zur letzten Reise bittet. Seit 101 Jahren ist das üblicherweise auf dem Domplatz gegebene Spiel fester Bestandteil der Salzburger Festspiele.
Dass sich derselbe
Regisseur zweimal hintereinander dasselbe Stück vornimmt, ist unüblich. Sturmingers Version von 2017 mit Moretti in der Titelrolle war die modernste aller Zeiten, mit viel Technik, wenig Glauben und zahlreichen Eingriffen in den Text. Im zweiten
Anlauf korrigierte der Regisseur die meisten seiner Eingriffe und näherte sich nach einem unkonventionellen Beginn in auffallender Weise dem gravitätischen Duktus der Ursprungsinszenierung von Festspielgründer Max Reinhardt an.
Zu Anfang denkt man noch, Sturminger hole jetzt zur finalen Zertrümmerung des Dauerbrenners aus. Als Gottvater mit weißem Rauschebart erinnert Mavie Hörbiger, die später auch den Teufel gibt, an den einst als Bhagwan verehrten Sektenführer, eine Lachnummer. Beim Anfangsmonolog des Jedermann sitzt ihm Verena Altenberger als Buhlschaft auf den Schultern, teilt mit ihm den Text und übernimmt gleich noch die Rolle des Kochs, der das Menü fürs Festbankett präsentiert. Und dem von ihm ins Gefängnis expedierten Schuldknecht verpasst Jedermann im Boxring den Knockdown – etwas zu viel Klamauk.
Doch danach lenkt Sturminger seine Inszenierung in ruhigere Bahnen. Nun kann Eidinger sein Talent sensibel-kraftvoller Textdeutung voll entfalten und spart dabei nicht mit offensivem Körpereinsatz, was seiner Begegnung mit der Buhlschaft, die zur Kurzhaarfrisur einen roten Hosenanzug trägt, eine ungemein erotische Komponente verleiht. Ihr Abschied vom Jedermann, dem sie nicht auf seine letzte Reise folgen will, wird als Pantomime von Anziehung und Abstoßung zelebriert – eine starke Szene.
Mavie Hörbiger, Enkelin der österreichischen Theaterlegende Paul Hörbiger, als erster weiblicher Teufel der Festspielgeschichte fällt dagegen ab: Um dem Glauben wirklich Paroli zu bieten, fehlt ihr trotz beachtlichen Engagements der komödiantische Überdruck. Nach vier Jahren als Jedermanns bigotte Mutter verkörpert Bühnen-altstar Edith Clever diesmal den Tod. Äußerlich an einen Shinto-priester erinnernd, verkündet sie dem Jedermann mit Grabesstimme das Ende aller Geselligkeit. Am Ende sinkt ihr der Todeskandidat freiwillig in die Arme. Zu Bachs Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“bilden sie das anrührende Bild einer Pieta. Dann verlöscht das Licht.