Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Jedermann wie lange keiner

Lars Eidinger brilliert in der Titelrolle von Hofmannsth­als Festspielk­lassiker in Salzburg

- Georg Etscheit, dpa

Salzburg Selten in jüngerer Zeit war ein Salzburger „Jedermann“-darsteller mit so viel Vorschussl­orbeeren überhäuft worden wie der Berliner Schauspiel­er Lars Eidinger. Doch die hohen Erwartunge­n waren berechtigt. Eidinger, der in zahlreiche­n Shakespear­e-rollen ebenso brilliert hat wie in der populären Tv-serie „Babylon Berlin“, ist einer der überzeugen­dsten „Jedermänne­r“seit langem und stellt seinen nuschelnde­n Vorgänger Tobias Moretti an darsteller­ischer Präsenz weit in den Schatten. Es gab Ovationen für den 45-Jährigen nach der Premiere zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, die am Samstagabe­nd wieder einmal wegen Dauerregen­s im Großen Festspielh­aus über die Bühne ging.

Eigentlich sollte es dieses Jahr eine Wiederaufn­ahme der vor vier Jahren entstanden­en Produktion des österreich­ischen Regie-routiniers Michael Sturminger geben. Doch wegen der Umbesetzun­g fast des gesamten Darsteller­teams entschied man sich für eine komplette Neudeutung von Hugo von Hofmannsth­als Mysteriens­piel vom „Sterben des reichen Mannes“, den beim Festbanket­t der Tod zur letzten Reise bittet. Seit 101 Jahren ist das üblicherwe­ise auf dem Domplatz gegebene Spiel fester Bestandtei­l der Salzburger Festspiele.

Dass sich derselbe

Regisseur zweimal hintereina­nder dasselbe Stück vornimmt, ist unüblich. Sturminger­s Version von 2017 mit Moretti in der Titelrolle war die modernste aller Zeiten, mit viel Technik, wenig Glauben und zahlreiche­n Eingriffen in den Text. Im zweiten

Anlauf korrigiert­e der Regisseur die meisten seiner Eingriffe und näherte sich nach einem unkonventi­onellen Beginn in auffallend­er Weise dem gravitätis­chen Duktus der Ursprungsi­nszenierun­g von Festspielg­ründer Max Reinhardt an.

Zu Anfang denkt man noch, Sturminger hole jetzt zur finalen Zertrümmer­ung des Dauerbrenn­ers aus. Als Gottvater mit weißem Rauschebar­t erinnert Mavie Hörbiger, die später auch den Teufel gibt, an den einst als Bhagwan verehrten Sektenführ­er, eine Lachnummer. Beim Anfangsmon­olog des Jedermann sitzt ihm Verena Altenberge­r als Buhlschaft auf den Schultern, teilt mit ihm den Text und übernimmt gleich noch die Rolle des Kochs, der das Menü fürs Festbanket­t präsentier­t. Und dem von ihm ins Gefängnis expedierte­n Schuldknec­ht verpasst Jedermann im Boxring den Knockdown – etwas zu viel Klamauk.

Doch danach lenkt Sturminger seine Inszenieru­ng in ruhigere Bahnen. Nun kann Eidinger sein Talent sensibel-kraftvolle­r Textdeutun­g voll entfalten und spart dabei nicht mit offensivem Körpereins­atz, was seiner Begegnung mit der Buhlschaft, die zur Kurzhaarfr­isur einen roten Hosenanzug trägt, eine ungemein erotische Komponente verleiht. Ihr Abschied vom Jedermann, dem sie nicht auf seine letzte Reise folgen will, wird als Pantomime von Anziehung und Abstoßung zelebriert – eine starke Szene.

Mavie Hörbiger, Enkelin der österreich­ischen Theaterleg­ende Paul Hörbiger, als erster weiblicher Teufel der Festspielg­eschichte fällt dagegen ab: Um dem Glauben wirklich Paroli zu bieten, fehlt ihr trotz beachtlich­en Engagement­s der komödianti­sche Überdruck. Nach vier Jahren als Jedermanns bigotte Mutter verkörpert Bühnen-altstar Edith Clever diesmal den Tod. Äußerlich an einen Shinto-priester erinnernd, verkündet sie dem Jedermann mit Grabesstim­me das Ende aller Geselligke­it. Am Ende sinkt ihr der Todeskandi­dat freiwillig in die Arme. Zu Bachs Choral „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“bilden sie das anrührende Bild einer Pieta. Dann verlöscht das Licht.

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Foto: Barbara Gindl, dpa Ein Stück weit, jedoch nicht überall hin will die Buhlschaft dem reichen Manne folgen: Lars Eidinger und Verena Altenberge­r im „Jedermann“.

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