Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Durch die virtuelle Brille
Der Europapark in Rust geht mit „Yullbe“den nächsten Schritt in digitale Erlebniswelten. Was die Besucher in der Attraktion bereits erleben können. Werden Abenteuer in einer virtuellen Welt das Vergnügen der Zukunft sein?
Langsam, ganz vorsichtig balancieren zwei junge Frauen über einen schmalen Steg: nicht runterschauen, bloß nicht runter in den Abgrund fallen! Die bedächtigen Schritte auf Zehenspitzen ergeben von außen betrachtet ein gleichzeitig skurriles und doch irgendwie futuristisches Bild ab – denn sie finden in einem völlig leeren, schmucklosen Raum statt und die Balanciererinnen tragen eine Art leuchtenden Raumanzug. Die Frauen befinden sich in „Yullbe“, der neuen Attraktion des Europaparks in Rust, die die Nutzer mithilfe einer Vr-brille und vielen Elementen mit leuchtenden Punkten am ganzen Körper in eine virtuelle Welt entführt.
In ihrer bunten Animationswelt müssen die Frauen und ihre beiden Mitstreiter Snorri und die anderen Bewohner der Wasserwelt Rulantica retten, Aufgaben erledigen und Rätsel lösen. „Mission Rulantica“nennt sich das 30-minütige Erlebnis, das ähnlich wie ein Escape Room in der analogen Welt angelegt ist. Die ausgefeilte Technik bietet den Nutzern aber die Chance deutlich tiefer in die virtuelle Welt einzutauchen als bei allen anderen Vr-angeboten im Europapark: Die Spielwelt fühlt sich realer an – was dann wiederum zu den skurril anzuschauenden Balanceakten führt.
Möglich wird das durch eine Technik, die beim Film benutzt wird, um Kunstfiguren in die reale Welt zu verpflanzen und ihre Bewegungen realistisch erscheinen zu lassen. „Motion Capturing“heißt die Technik, bei der ein Schauspieler in einen Ganzkörperanzug mit dutzenden Sensoren gesteckt wird, die jede Muskelregung aufzeichnen und in den Computer übermitteln, der die Kunstfigur perfekt gestaltet. So viele Sensoren wie bei den Filmen sind es im Europark nicht, sagt Marcus Ernst, der Projektleiter von „Yullbe“: „Aber wir verwenden so viele Sensoren, dass die User im Erlebnis ein realistisches Bild von sich selbst und ihren Mitspielern sehen und interagieren können.“Das hilft nicht nur beim Lösen der Aufgaben, sondern verstärkt auch die „Immersion“, das Gefühl des Eintauchens, des Aufgehens in der Spielewelt.
Dazu werden die Spielerinnen und Spieler zu Beginn in eine Art leuchtenden Raumanzug eingekleidet. Auf den Kopf kommt ein Helm samt Vr-brille, dazu eine Weste mit Computer im Rucksack und Manschetten an Händen und Füßen. Daran befinden sich Leuchtpunkte, deren Position ständig von dutzenden Kameras erfasst wird. So kann der Computer genau berechnen, wo und in welcher Körperhaltung sich eine Person befindet. So bekommen alle nicht nur das bestmögliche Spielerlebnis, sondern laufen auch nicht Gefahr zusammenzustoßen. Bis zu 32 Individuen kann die Technik gleichzeitig bewältigen, damit ist der Europapark Marktführer, sagt Marcus Ernst.
Anders als neue Achterbahnen braucht die riesige digitale Spielwelt fast keinen Platz: Der unscheinbare Bau neben der Wasserwelt Rulantica und dem zugehörigen Hotel Kronasar wirkt von außen eher wie eine großzügige Gerätehalle. Und auch innen ist das Haus, das im vergangenen Jahr in knapp drei Wochen erstellt wurde, ein platzsparendes Heim für die virtuelle Reise. 200 Quadratmeter misst der Hauptraum, in dem der Großteil der 30-minütigen Mission stattfindet. Dazu kommen weitere 50 für einen Vorraum und ein Zimmer für den Abschluss der Mission, die mit Vorhängen abgetrennt werden.
Die virtuellen Angebote sind für die Verantwortlichen des Freizeitparks ein zusätzliches Standbein, das im Gegensatz zu den normalen Attraktionen fast unbegrenzt ausgebaut werden kann. Denn der Platz für neue Attraktionen ist vor allem im Park endlich. Für 2023 ist aber eine neue Achterbahn angekündigt. Viel gebaut wird derzeit dagegen an der Wassererlebniswelt Rulantica. Während der Corona-schließzeit ist ein Außenbereich mit neuem Rutschenturm entstanden, nach eigenen Angaben „der größte Outdoorwasserspielplatz Deutschlands“. Ein weiterer Rutschenturm im Innenbereich soll bald dazukommen. Die virtuelle Welt ist auch hier mit dabei: Mit „Snorri Snorkeling“gibt es im Bad bereits eine neue Vr-attraktion unter Wasser. Und neben dem Bad entsteht ein Vr-restaurant namens „Eatrenalin“, das noch in diesem Jahr eröffnet und Medientechnik, Fahrgeschäft und hochklassiges Restaurant in einem werden soll.
Für die Macher des Europaparks sollen die virtuellen Angebote aber in Ergänzung und nicht Ersatz der Attraktionen sein. „Yullbe“ist dabei der nächste logische Schritt. Los ging es mit der Aufwertung älterer Achterbahnen durch Vr-erlebnisse: Gemeinsam mit einem Unternehmen, das Studenten aus Kaiserslautern mit Professor Thomas Wagner gegründet haben, wurde 2015 der Alpenexpress aufgewertet. Seit der Umgestaltung der Kugelachterbahn „Eurosat“gibt es dort die Vrattraktion „Valerian“. Anders als beim Alpenexpress, wo man die Brille nur während der Fahrt am Platz trägt, erstreckt sich die virtuelle Welt dort auch auf den Wartebereich, wo man sich bereits vor der eigentlichen Fahrt zehn Minuten frei bewegen kann.
Vor etwa drei Jahren begann die
Der Anzug funktioniert mit dutzenden von Sensoren
Weltall oder Ganovenjagd? Die Gäste haben die Wahl
Abteilung Mack Next auf Wunsch von Gesellschafter Thomas Mack mit den Vorarbeiten für die erste rein virtuelle Attraktion des Europaparks, sagt Marcus Ernst. Lange dauerte vor allem die Technikentwicklung: „Die Kapazität von 32 Nutzern gleichzeitig war ein wichtiger Punkt für uns. Es fand sich aber nur ein Anbieter, der eine Möglichkeit sah, seine Technik entsprechend weiterzuentwickeln.“Die Ausarbeitung und technische Umsetzung der Geschichte dauerte für das 30-Minuten-erlebnis, das unter dem Namen „Yullbe Pro“firmiert, mehr als ein Jahr. Ziel sei es, mit „Yullbe Pro“immer den neuesten Stand der Technik zu bieten, sagt Marcus Ernst. Derzeit gibt es nur eine Geschichte zu erleben, doch das soll sich bald ändern.
Mehr verschiedene Erlebnisse gibt es für die kleinere Variante namens „Yullbe Go“. In einem 80 Quadratmeter großen Raum können die Nutzer aus fünf verschiedenen Welten mit jeweils zehnminütiger Laufzeit wählen. Hierfür reichen eine Vr-brille und je nach Geschichte zwei Fernbedienungen für die Hände. Damit kann der Nutzer in die Valerian-welt eintauchen, eine Raumstation erforschen und Bösewichte zur Strecke bringen, aber auch abstrakte Kunstwerke hautnah auf sich wirken lassen.
„Artiality“nennt sich das Erlebnis, das in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Stuttgart erarbeitet und dort auch vorgestellt wurde. Damit wollen die Macher auch neue Zielgruppen erschließen, erklärt Marcus Ernst: „Bei VR denken viele zuerst an die Gaming-szene. Doch man kann damit sehr viel mehr machen und interessante Erlebnisse für deutlich mehr Menschen schaffen.“Neben der Kunst komme auch die Musik als Thema in Betracht.
Wirtschaftlich betrachtet bietet das Konzept „Yullbe Go“einen weiteren Mehrwert für den Europapark: Es ist mobil und kann fast überall aufgebaut werden – im Kunstmuseum genauso wie auf einem Rockfestival. Neben der Aktion mit dem Kunstmuseum Stuttgart hat das Miniaturwunderland in Hamburg die Technik bereits als Lizenznehmer eingekauft.