Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nicht nur der König dankt ab
„Idomeneo“in München: Selten sind die Protagonisten einer Mozart-oper so abgekoppelt von musikalischen Vorgängen zu erleben wie in dieser Neuinszenierung
München Ist München eine Mozartstadt, so wie Augsburg es zu sein beansprucht? Der in ewigem Neid über den Lech schielende Augsburger wird das natürlich verneinen („Die haben nicht mal Leopold“). Und doch kann München ein Pfund auf die Waage legen, und nicht das geringste. War es doch dort an der Isar, dass eine der großen Mozartopern in Auftrag gegeben, daselbst vom Komponisten vervollständigt und einstudiert und schließlich im Januar 1781 im Cuvilliéstheater uraufgeführt wurde: „Idomeneo“. Bei so viel Münchner Mozarthaltigkeit können die schwäbischen Mozartstädter wieder mal nur betreten dreinschauen.
„Idomeneo“, die Geschichte des Kreterkönigs, der aus dem Trojanischen Krieg heimkehrend in einen Seesturm gerät und gelobt, im Falle heilen Davonkommens den erstbesten Menschen zu opfern, dem er am rettenden Ufer begegnet – tragischerweise sein Sohn –, „Idomeneo“ist die von der breiten Liebhaberschaft am wenigsten geliebte der sieben „großen“Opern Mozarts. Wohl wegen ihres etwas sperrig geratenen Librettos, in das die Liebesnöte des zwischen zwei Frauen stehenden Königssohns Idamante ausgiebig hineingeflochten sind, die Seelenqualen der Damen Ilia und Elettra natürlich auch. Doch der zur Entstehungszeit 24-jährige Mozart macht das spielend wett mit einer Partitur, mit der er auf der Opernbühne einmal in aller Opulenz zeigen konnte, zu was er fähig war – man höre nur die Chorsätze, die man in dieser Vielfalt und Dramatik in keiner anderen seiner Opern findet. Vom fein gewebten Orchesterteppich ganz zu schweigen: Mozart schrieb für das damals beste Ensemble weit und breit, die Mannheimer Hofkapelle, die mit Kurfürst Karl Theodor ihren Stammsitz vom Rhein an die Isar verlegt hatte.
Gute Gründe also, dem „Idomeneo“am Ort seiner Entstehung eine Neuinszenierung zu widmen, zumal das erste Haus am Platz, die Bayerische Staatsoper, sich in der nun zu Ende gehenden Ära des Intendanten Nikolaus Bachler nicht mit allergrößter Vehemenz auf Mozart geworfen hatte. Gewiss hat es in den vergangenen zwölf Jahren die eine oder andere Neuinszenierung gegeben. Doch gerade wenn man sich die Produktionen in ihrem musikalischszenischen Gesamtwert ins Gedächtnis ruft, bleibt die Mozart-bilanz der Intendantenzeit Bachler doch eine durchwachsene. Nun also, als letzte Premiere der laufenden Spielzeit, im Prinzregententheater der „Idomeneo“.
Und der fügt sich nahtlos in die Reihe der zwar in Teilaspekten, nicht aber im Ganzen restlos überzeugenden Münchner Mozart-produktionen. Wieder einmal wird das Szenische zwar in großem Stil betrieben, im Ergebnis aber bleibt die
Inszenierung manches schuldig von dem, was man sich von staatstheaterlicher Operngestaltung erwarten darf. Die kräftig beworbene Bühnenausstattung durch die renommierte britische Künstlerin Phyllida Barlow ist zwar mit ihren assoziativ gestalteten Versatzstücken reizvoll anzusehen – ein blutroter Fels, auf hohen wackeligen Pflöcken gelagert, gemahnt etwa an das stets hereinbrechende „Ungeheuer“, das die Einlösung von Idomeneos Gelübde verlangt –, dramaturgisch freilich nur selten aufschlussreich.
Schlicht zu wenig ist jedoch, was dem Regisseur Antú Romero Nunes für die Führung des „Idomeneo“-personals auf der Bühne eingefallen ist. In den so markanten, durch das Geschehen ja auch dramatisch hinterlegten Chornummern stehen die Interpreten – zweifelsfrei packend der Staatsopernchor – immer wieder steif auf der Bühne herum. Noch größer ist das Defizit bei den Protagonisten: Bei der mimisch-gestischen Umsetzung der in Mozarts Musik so überreich vorgegebenen Gefühlsbewegungen wurden sie offensichtlich im Stich gelassen, so unbeteiligt bewegen sie sich auf das „glückliche Ende“hin.
Aber auch Dirigent Constatino Carydis lässt den Sängerinnen und Sängern in dieser Hinsicht wenig Raum, zu sehr auf flackernde Dramatik fixiert hastet er gerade im ersten Drittel durch die Partitur. In der Ouvertüre mag das angehen, dann ist solch ein Musizieren am Siedepunkt – fulminant das Bayerische Staatsorchester – gerechtfertigt;
Ein blutroter Fels schwebt über den Köpfen
nicht aber in den zahlreichen ausgefeilt komponierten Rezitativen, in denen Mozart das weite Seelenhelldunkel seiner Figuren ausbreitet, Verpflichtung für alle Ausführenden. An Stimmqualität herrscht in dieser Neuproduktion kein Mangel, die drei Frauenstimmen Idamante (Emily D’angelo in einer Hosenrolle), Ilia (Olga Kulchynska) und Elettra (Hanna-elisabeth Müller) sind vom Stimmtyp klug differenziert besetzt. Matthew Polenzani kehrt in der Tenorpartie des Idomeneo vor allem die dramatischen Facetten des schuldig gewordenen Königs hervor, mit kraftvollen Spitzen und lang gehaltenen Trillern in „Fuor del mar“, wenn auch mit etwas verwaschenen Koloraturketten in dieser fordernden Arie. Das Bierchen, das er als abgedankter König und gelassener Betrachter des menschlichen Gezappels beim finalen Ballett zischen darf (eine der wenigen überzeugenden Momente der Inszenierung), war Polenzani zu gönnen.
Von Herbst an hat mit Serge Dorny ein neues Leitungsteam das programmatische Sagen an der Bayerischen Staatsoper. Was das für Mozart heißt? Erst einmal nichts – für der Spielzeit 2021/22 ist keine Neuinszenierung vorgesehen. Mozartstadt München? Der Blick geht nach Westen, im Oktober gibt es in Augsburg einen neuen „Titus“.
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Streaming „Idomeneo“wird am 24. Juli ab 18 Uhr kostenlos auf staats oper.tv übertragen. Ab 26. Juli für 30 Tage als Videoondemand.