Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich konnte zeigen, dass ich kein Statist bin“

Radprofi Georg Zimmermann aus Neusäß spricht nach seiner ersten Tour de France über das Hochgefühl nach Platz acht auf der 19. Etappe und seine Meinung zu Sieger Pogacor. Und er gibt zu, dass er kurz vor der Aufgabe stand

- Interview Robert Götz

Wie geht es Ihnen nach drei Wochen Tour de France und fast 3500 Kilometer in den Beinen?

Georg Zimmermann: Ich bin körperlich schon ein bisschen müde, aber es ist mehr so, dass ich einfach mental verbraucht bin, weil der Stress rund um das Rennen so groß war.

Hatten Sie sich so Ihre erste Tour de France vorgestell­t?

Zimmermann: Die sportliche Komponente war so, wie ich es erwartet hatte. Aber das Drumherum war Wahnsinn. Wenn man zum Start fährt, steht man im Stau, wenn man vom Ziel zum Hotel fährt, steht man im Stau. Wenn man aus dem Teambus aussteigt, wird man nur angeredet und fotografie­rt. Das Medieninte­resse ist riesig. So einen Stressleve­l über so eine lange Zeit habe ich noch nie erlebt.

Wie kommen Sie zur Ruhe? Zimmermann: Ich brauche keinen Mentaltrai­ner. Ich genieße es jetzt, einfach mal keinen Zeitplan zu haben, sondern nur in den Tag hinein zu leben, auszuschla­fen und einfach gemütlich in den Tag zu starten.

Sie sind ja mit Ihrer Freundin Katrin noch bis Mittwoch privat in Paris geblieben. Kann man da einfach so gemütlich in den Tag starten bei diesen vielen Sehenswürd­igkeiten? Zimmermann: Wir haben jetzt nicht das riesen Touri-programm, das wir abarbeiten wollen. Wir schauen einfach, was sich so ergibt und leben in den Tag hinein. Darum waren wir auch noch nicht auf dem Eiffelturm. Es ist das erste Mal, dass ich in Paris bin und es ist so schön, wie ich es mir vorgestell­t habe. Besonders begeistert war ich vom Louvre-museum. Die Architektu­r ist beeindruck­end.

Den Prachtboul­evard Champs Elysees in Paris sahen Sie ja aus einer ganz besonderen Perspektiv­e: vom Rad aus. Die letzte Etappe der Tour endet ja dort.

Georg Zimmermann: Es war ein unbeschrei­bliches Gefühl die sieben Abschlussr­unden auf der Champs Elysees bestreiten zu dürfen. Ich habe es in vollen Zügen genossen. Bei den ersten drei, vier Runden war das Tempo nicht so sehr hoch, da konnte ich schon ein wenig nach rechts und links schauen, die Aussicht genießen und die Atmosphäre mit den vielen Zuschauern aufsaugen. Die letzten zwei, drei Runden musste ich mich dann wieder auf den Sport konzentrie­ren. Direkt nach der Zielankunf­t hat das ganze Team mit den Sponsoren mit einem Gläschen Champagner angestoßen.

Was war der schlimmste Moment bei der Tour?

Zimmermann: Das war die erste Etappe, bei der ich auch in den zweiten Massenstur­z verwickelt war. Vor mir war ein Fahrer gestürzt und ich hatte mich schon gefreut, weil ich den gestürzten Fahrern ausweichen konnte, als mich ein anderer Fahrer von hinten über den Haufen gefahren hat.

Und was für Verletzung­en haben Sie davon getragen?

Zimmermann: Neben Hautabschü­rfungen habe ich mir auch das Kahnbein an der linken Hand gebrochen.

Die Schwere Ihrer Handverlet­zung haben Sie aber verschwieg­en, oder? Zimmermann: Ja, ich wollte mir nicht das Halbwissen von 100000 selbst ernannten Orthopäden anhören müssen. Deswegen habe ich da den Deckel draufgehal­ten. Ich habe mich mit unserem Teamarzt und einen Orthopäden meines Vertrauens abgesproch­en, dass es kein riskantes Manöver ist, wenn ich weiterfahr­e. Die Hand war immer bandagiert und in den nächsten Tagen lasse ich noch ein weiteres CT machen.

War das ein Moment, in dem Sie dachten, ich muss aufgeben? Zimmermann: Als nach zehn Minuten klar war, dass ich auch mit der gebrochene­n Hand weiterfahr­en kann, waren diese Gedanken weg.

Es war eine Tour der Stürze. War die Streckenfü­hrung zu gefährlich? Zimmermann: Die war nicht zu gefährlich. Das Peloton war einfach so aufgeregt und stand unter Stress. Bis auf den Sturz mit der Zuschaueri­n waren es alles Stürze, die durch Fahrfehler ausgelöst wurden. Dafür kann der Veranstalt­er nichts.

Woher kommen diese Nervosität und diese riskante Fahrweise? Zimmermann: Unser Teamleiter hat gesagt, dass 70 Prozent der medialen Aufmerksam­keit, die wir das ganze Jahr bekommen, in den drei Wochen der Tour generiert wird. Das ist bei allen Teams so. Deswegen steht man extrem unter Druck, wird extrem gepusht. Und deswegen gehen manche Fahrer riskante Manöver ein.

Hatte es noch andere Momente gegeben, in dem Sie gedacht haben, es reicht?

Zimmermann: Das war die letzte Etappe vor dem ersten Ruhetag in den französisc­hen Alpen rauf nach Tignes. Die Hand tat mir weh, es hat nur geregnet, es war kalt, ich konnte mir alleine die Regenjacke nicht mehr zumachen und als ich dann da alleine am Ende hinter dem Feld ins Ziel gefahren bin, habe ich mir schon gedacht, was mache ich hier. Ich habe hier nichts verloren. Ich war k.-o, kaputt und vor allem war ja noch kein Ziel in Sicht. Es war gerade die erste Woche vorbei.

Was hat Sie weitermach­en lassen? Zimmermann: Mein Team hat immer gesagt, nach dem ersten Ruhetag wird es leichter, was zwar nicht stimmte, aber was mir geholfen hat.

Waren die körperlich­en Ansprüche an das Fahrerfeld von Haus aus zu groß? Zimmermann: Nein, eigentlich nicht. Aus meiner Sicht war die Streckenfü­hrung ausgeglich­en. Sie war nicht überdurchs­chnittlich schwer. Es gab genügend Etappen für die Sprinter und Bergfahrer, es gab zwei Zeitfahrer, darüber kann man sich nicht groß beschweren.

Und dann kam die drittletzt­e Etappe mit Platz acht. Was war das für ein Gefühl nach den ganzen Strapazen? Zimmermann: Ich habe die ganzen drei Wochen immer alles gegeben und schon gefühlt, dass ich etwas drauf habe. Aber an diesem Tag hat alles gepasst. Es war die allerletzt­e Möglichkei­t, es war wie in einem romantisch­en Film.

Was bedeutet der Platz acht für Sie? Zimmermann: Es ist nicht so wichtig, ob ich Siebter oder Achter geworden bin. Für mein Selbstvert­rauen war es wichtig, dass ich zeigen konnte, dass ich beim größten Radrennen der Welt konkurrenz­fähig bin, dass ich kein Statist bin. Ich hatte das Gefühl, ich kann richtig gegenhalte­n.

Sie sind im Gesamtklas­sement 80. geworden. Doch vorne fährt ein Tadej Pogacar, der ein Jahr jünger ist als Sie, in einer anderen Liga und nimmt Ihnen 3:05:48 Stunden ab. Zimmermann: Ich hatte sicher keine optimale Vorbereitu­ng und kann sicher noch mehr. Aber ich habe größten Respekt vor seiner Leistung, wie er das durchzieht. Er hat sich keinen schlechten Tag erlaubt, er ist der verdiente Sieger der 108. Tour de France.

„Ich habe aufgehört, darüber nachzudenk­en und mich zu stressen, weil ich es sowieso nicht ändern kann.“

Georg Zimmermann über die Doping‰speku‰

lationen um Tour‰sieger Pogacar

Aber denkt man sich da nicht, geht da alles mit rechten Dingen zu? Zimmermann: Diese Frage ist sicherlich gerechtfer­tigt. Ich kann sie aber nicht beantworte­n. Ich weiß es nicht. Ich vertraue da der Antidoping-agentur NADA. Es ist ihr Job, das zu kontrollie­ren. Ich habe aufgehört, darüber nachzudenk­en und mich zu stressen, weil ich es sowieso nicht ändern kann. Ich weiß nur, dass ich nicht dope und dass ich dreimal kontrollie­rt wurde.

Was ist Ihr nächstes sportliche­s Ziel? Zimmermann: Die Deutschlan­drundfahrt vom 26. bis 29. August vor heimischem Publikum. Da will ich mich von meiner besten Seite zeigen. Ich versuche alles, um dort so fit wie möglich an den Start zu gehen.

Ihr Vertrag bei Intermarch­é läuft noch bis...

Zimmermann: … bis Ende 2022. Das heißt, ich werde auch nächste Saison für Intermarch­é fahren. Ich fühle mich hier wohl, es passt für mich. Ich müsste nur noch ein wenig mehr Französisc­h lernen, weil das die Teamsprach­e ist. Aber das gehe ich dann im Winter an.

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Foto: Getty Images Der größte Erfolg von Georg Zimmermann in seiner bisherigen Radprofi‰karriere: Der 23‰Jährige belegt bei der 19. Etappe hinter Michael Valgren (rechts) Platz acht.
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G. Zimmermann

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