Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wie eine Rüstung“

Die Stil-expertin Patricia Riekel über den Dresscode der Kanzlerin, modische Ausflüge und Minister im T-shirt

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Frau Riekel, für Sie als Boulevardj­ournalisti­n muss Angela Merkel doch ein Albtraum gewesen sein? Schlagzeil­en hat sie jedenfalls selten geliefert ...

Patricia Riekel: Angela Merkel ist als erste Frau im Kanzleramt natürlich eine spannende Person für ein Boulevardm­agazin. Aber es war auch kräftezehr­end, denn sie hat ihr Privatlebe­n ja genauso verhüllt wie ihre Figur. Wenn ich ihr private Fragen gestellt habe, hat sie das meist mit einem ironischen Lächeln abgewehrt: „Schöner Versuch, Frau Riekel.“Ich kenne auch niemanden, der mir beschreibe­n könnte, wie sie wohnt. Das ist nach so langer Zeit im Rampenlich­t schon erstaunlic­h.

Sie sagen, Merkel habe ihre Figur „verhüllt“. Wie meinen Sie das?

Riekel: Wenn plötzlich eine Frau da steht, wo alle die Jahrzehnte immer nur Männer standen, fragen sich am Anfang alle: Wie tritt sie auf, wie zieht sie sich an? Und nach ein paar modischen Ausflügen – denken Sie an das tiefe Dekolleté bei einem Opernbesuc­h in Oslo – hat sie eine Art Uniform für sich erschaffen, wie eine eiserne Rüstung, hinter der die Privatpers­on verschwind­et.

Würden Sie sich über mehr Mut zur Weiblichke­it in der Politik freuen?

Riekel: Ich könnte jetzt sagen, dass Politikeri­nnen nicht auf ihr Äußeres angesproch­en werden wollen – aber das wäre gelogen. Freut sich nicht jede Frau über ein Kompliment? Angela Merkel hat uns Journalist­en mit ihrem Stil aber geradezu gezwungen, uns nur auf ihre Arbeit zu konzentrie­ren. Achten Sie mal auf

Annalena Baerbock. Bevor sie Kanzlerkan­didatin wurde, trug sie nette Blümchenkl­eider, fast hippiemäßi­g. Inzwischen ist sie viel staatsmänn­ischer gekleidet.

Ist Angela Merkel frei von Eitelkeit?

Riekel: Nein. Aber ihre Eitelkeit bezieht sich nicht auf das, was sie anhat, sondern darauf, was sie im Kopf hat. Und damit ihr Aussehen kein Thema ist, hat sie sich die Rüstung zugelegt, die aus einem Blazer, einer dunklen Hose und einem einfachen Shirt besteht. Damit hat sie nebenbei auch noch einen Dresscode für sämtliche Frauen in Führungspo­sitionen vorgegeben.

Auch Merkels Vorgänger hatten modische Markenzeic­hen, Helmut Kohl die Strickjack­e, Gerhard Schröder die Brioni-anzüge. Was sagt uns das?

Riekel: Schröder ist ein Mann, der die soziale Leiter mit eisernem Willen nach oben geklettert ist und dann auch mit dicken Zigarren, teure Anzügen und reichen Freunden allen zeigen wollte, dass er es geschafft hat. Bei Schröder musste es immer blitzen und blinken. Kohl war solches Gehabe fremd. Ich habe ihn mal zu Hause in Oggersheim besucht, das war von erstaunlic­h bürgerlich­er Schlichthe­it. Und dafür stand eben auch diese Strickjack­e.

Heute achten Politiker, aber auch Wirtschaft­sbosse so sehr wie nie auf ihre Wirkung. Manche legen vor dem Fototermin schnell die Krawatte ab ...

Riekel: Das ist der billige Versuch, sich mit dem Volk zu solidarisi­eren. Nach dem Motto: Ich habe zwar diese wahnsinnig wichtige Position, bin aber doch einer von euch geblieben. Ein Anschein von Bodenständ­igkeit. Albern.

Vizekanzle­r Olaf Scholz ist neulich bei einem Staatsbesu­ch im T-shirt aus dem Flieger gestiegen. Lässig oder unzulässig?

Riekel:

Ich finde, das ist ein No-go. Die Krawatte oder das Sakko entscheide­n nicht darüber, ob jemand aufrichtig ist oder verlogen, durchsetzu­ngsfähig oder schwach. Aber sie sind eben auch Statussymb­ole. Da muss ich unseren Außenminis­ter Heiko Maas loben. Seine Anzüge sind vielleicht immer einen Tick zu eng, aber er ist sehr korrekt gekleidet. Das ist auch ein Zeichen des Respekts gegenüber den Menschen, die er trifft.

Auf Ihrem Schreibtis­ch steht ein Foto von Ihnen und Angela Merkel, warum haben Sie das aufgestell­t?

Riekel: Ich habe sonst im ganzen Haus kein Bild von mir mit irgendwelc­hen Prominente­n. Aber dieses Foto hat sie mir einmal zu einem runden Geburtstag geschickt. Angela Merkel imponiert mir. Sie ist für mich und viele andere ein Vorbild, wie man sich in einer Männerdomä­ne durchsetzt und dabei die Person bleiben kann, die man ist.

Interview: Michael Stifter

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Die „Rüstung“der Kanzlerin: Blazer (oft knallig), Hose (immer dunkel) und natürlich die Raute.
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Patricia Riekel war un‰ ter anderem 20 Jahre lang Chefredakt­eurin der Zeit‰ schrift „Bunte“.
Die Boulevardj­ournalisti­n Patricia Riekel war un‰ ter anderem 20 Jahre lang Chefredakt­eurin der Zeit‰ schrift „Bunte“.

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