Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wo die Pandemie wütet

Experten schlagen in einer neuen Studie Alarm. Für die Wirtschaft vieler Industriel­änder verschwind­et die Pandemie im Rückspiege­l. Ganz anders sieht es für die Schwellen- und Entwicklun­gsländer aus

- VON MARGIT HUFNAGEL

Während die Krise für viele Industriel­änder fast vergessen scheint, kämpfen Entwicklun­gsländer umso härter gegen die Folgen.

Kapstadt/augsburg Es ist ein Marathon, den die Weltwirtsc­haft in dieser Corona-pandemie zu absolviere­n hat. Kräftezehr­end. Vor allem, weil der Zieleinlau­f noch längst nicht in Sichtweite ist. Doch die Verpflegun­g an der Strecke ist gut: Milliarden­summen wurden in die Betriebe gepumpt, ökonomisch­es Staatsdopi­ng wenn man so will, das seine Wirkung nicht verfehlt. Vor allem die globalen Kraftprotz­e legen inzwischen einen regelrecht­en Sprint hin: Chinas Wirtschaft boomt. Die Weltbank schätzte zuletzt, dass die chinesisch­e Wirtschaft im Gesamtjahr um 8,5 Prozent zulegen könnte. Auch Geschäfte in den USA werden in diesem Jahr nach Ansicht des Internatio­nalen Währungsfo­nds um rund sieben Prozent wachsen. Das entspräche der stärksten Wachstumsr­ate seit fast 40 Jahren. Für Deutschlan­d rechnet das Münchner Ifo-institut für Wirtschaft­sforschung für 2021 mit einer Steigerung von immerhin 3,3 Prozent und für 2022 mit noch mal 4,3 Prozent. „Einer konjunktur­ellen Erholung beim Handel und in den kontaktint­ensiven Dienstleis­tungsberei­chen bis Ende 2021 steht nichts mehr im Wege“, schreibt das Ifoinstitu­t.

Abgehängt werden jene, die schon vorher geschwächt waren: Entwicklun­gs- und ärmere Schwellenl­änder. Ihre Wachstumsa­ussichten haben sich nachhaltig eingetrübt – ausgehend von einem ohnehin niedrigere­n Ausgangsni­veau ihrer Volkswirts­chaften bräuchten sie eigentlich deutlich höhere Zuwächse, um den Corona-rückschlag zu überwinden. Der Internatio­nale Währungsfo­nds stellt jetzt klar: Es gibt einen direkten Zusammenha­ng zwischen dem Zugang zu Impfstoffe­n und den wirtschaft­lichen Aussichten eines Landes. Die Logik ist so schlicht wie bestechend: Je schneller sich das Leben normalisie­rt, umso besser sind auch die Aussichten für die Firmen. Bei der Verteilung der Impfstoffe geht es damit um Geld und Leben gleicherma­ßen. Und die Corona-krise wird das weltweite Wohlstands­gefälle also noch steiler machen.

„Schneller als erwartete Impfkampag­nen und die Rückkehr zur Normalität haben zu Hochstufun­geführt, während der mangelnde Zugang zu Impfstoffe­n und wiederholt­e Covid-19-wellen in manchen Ländern, insbesonde­re in Indien, zu Herabstufu­ngen geführt haben“, sagte in dieser Woche Iwfchefvol­kswirtin Gita Gopinath. „Die weltweite Erholung der Wirtschaft setzt sich fort, aber mit einer größeren Lücke zwischen entwickelt­en Volkswirts­chaften und vielen Schwellen- und Entwicklun­gsländern“, sagte sie. Zu den Verlierern gehören afrikanisc­he Länder, aber auch asiatische, die zuletzt mit einer neuen Corona-welle zu ringen hatten. Neben Indien zählt der IWF auch Malaysia, Thailand, Vietnam, die Philippine­n und Indonesien zu dieser Kategorie.

Gopinath schätzt, dass die Pandemie das Pro-kopf-einkommen in den entwickelt­en Volkswirts­chaften um 2,8 Prozent pro Jahr reduziert hat – verglichen mit einem jährlichen Pro-kopf-verlust von 6,3 Prozent pro Jahr für Schwellen- und Entwicklun­gsländer (ohne China). Das hat langfristi­ge Folgen: Nach einer Weltbank-studie dürfte die afrikanisc­he Generation, die heute pandemiebe­dingt Unterricht verpasst, in ihrem Leben 10 Billionen Dollar (8,5 Billionen Euro) weniger verdienen als sie es mit Schulbildu­ng täte. Mit jedem Jahr sei das Verdienstp­otenzial zehn Prozent höher.

Unterschie­de bei der politische­n Unterstütz­ung seien eine zweite Quelle der sich vertiefend­en Kluft. „Wir sehen weiterhin beträchtli­che staatliche Unterstütz­ung in den entwickelt­en Volkswirts­chaften mit angekündig­ten pandemiebe­zogenen Maßnahmen in Höhe von 4,6 Billionen Us-dollar, die im Jahr 2021 und darüber hinaus verfügbar sind“, so Gopinath. „Auf der anderen Seite sind in Schwellen- und Entwicklun­gsländern die meisten Maßnahmen im Jahr 2020 ausgelaufe­n und die Regierunge­n dort versugen chen, die Haushaltsp­uffer wieder aufzubauen.“Nötig sei eine internatio­nale Kraftanstr­engung bei der Bewältigun­g der Corona-pandemie – etwa die Bereitstel­lung von Impfstoffe­n. „Dies würde unzählige Leben retten, das Entstehen neuer Varianten verhindern und Billionen Dollar zum globalen Wirtschaft­swachstum beitragen“, sagt sie. Impfstoffh­ersteller sollten anfangen, arme Länder zu bevorzugen; reiche Länder sollten ihre Impfstoff-überschüss­e abgeben.

Tatsächlic­h sind in Afrika aktuell erst 1,6 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g gegen Corona geimpft. Zum Vergleich: In Deutschlan­d sind es 50,9 Prozent, in den USA 48,9 Prozent, in Frankreich 45,3 Prozent. Immerhin eine gute Nachricht gibt es: Die Zahl der Corona-fälle beginnt leicht zu sinken. Im Wochenverg­leich gingen die Neuinfekti­onen laut der Gesundheit­sorganisat­ion der Afrikanisc­hen Union (Africa CDC) um 15 Prozent auf insgesamt 239000 Fälle zurück. Doch selbst wenn die Welle gebrochen wird – gegen ein erneutes Aufflammen der Pandemie sind die Menschen schlecht gewappnet. Das ursprüngli­ch für dieses Jahr anvisierte Ziel einer Impfung von 60 Prozent der Bevölkerun­g ist laut CDC kaum vor Ende 2022 zu erreichen. Marokko ist mit 21,3 Millionen Dosen der kontinenta­le Spitzenrei­ter vor Südafrika mit 5,6 Millionen verabreich­ten Dosen. Die Länder Burundi, Eritrea und Tansania hätten nicht mal mit Impfungen begonnen. Im Gegensatz dazu entsteht in Europa aufgrund der wachsenden Impfmüdigk­eit inzwischen ein Überschuss an Impfdosen, teilweise müssen mangels Nachfrage Vakzine vernichtet werden. Das kritisiert die Organisati­on „Ärzte ohne Grenzen“scharf. Dass die

In Europa werden Impfdosen weggeworfe­n

Kühlschrän­ke der Arztpraxen voll sind und Astrazenec­a fast keine Abnehmer findet, sei ein Skandal, sagte Tankred Stöbe, Intensivme­diziner und Vorstandsm­itglied von „Ärzte ohne Grenzen“, dem rbb. „Das macht mich wirklich wütend.“

Bisher hat ganz Afrika laut CDC erst 82,7 Millionen Impfdosen beschafft. Allein Deutschlan­d hat bereits 91 Millionen Dosen verimpft – bis 25. Juli wurden 106013664 Dosen geliefert. Nun will das Mainzer Unternehme­n Biontech die Versorgung von Afrika beschleuni­gen, indem es seinen Impfstoff künftig auch bei einem Partner in Südafrika abfüllen lässt. Biovac werde den letzten Herstellun­gsschritt, das Abfüllen und Verpacken des Impfstoffs, übernehmen und die Verteilung in den 55 Ländern der Afrikanisc­hen Union unterstütz­en, teilte Biontech in der vergangene­n Woche mit. „Unser Ziel ist es, Menschen auf allen Kontinente­n die Herstellun­g und Auslieferu­ng unseres Impfstoffs zu ermögliche­n und gleichzeit­ig die Qualität der Produktion sowie die der Impfdosen sicherzust­ellen“, sagte Biontech-vorstandsc­hef Ugur Sahin. Die Frage ist, ob das ausreicht, damit den Staaten nicht doch noch die Puste ausgeht.

 ?? Foto: Joseph Mizere, dpa ?? Einer Frau wird in Malawi Impfstoff verabreich­t. Bislang hinkt Afrika bei der Verteilung des Impfstoffe­s massiv hinterher. Das hat Folgen auch für die Entwicklun­g der Wirtschaft der Länder.
Foto: Joseph Mizere, dpa Einer Frau wird in Malawi Impfstoff verabreich­t. Bislang hinkt Afrika bei der Verteilung des Impfstoffe­s massiv hinterher. Das hat Folgen auch für die Entwicklun­g der Wirtschaft der Länder.

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