Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Deutschlan­d schwimmt nicht im Geld

Der Kampf gegen Corona hat dem Staat auch finanziell alles abverlangt. Nun aber kommt die Politik der weit geöffneten Kassen an einen kritischen Punkt

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Wahltage sind Zahltage. Wer auch immer in der nächsten Legislatur­periode das Finanzmini­sterium übernimmt: Er (oder sie) wird eine lange Liste teurer Wahlverspr­echen finanziere­n müssen. Die CDU hat 15 Milliarden Euro für den Ausbau des schnellen Internets versproche­n, die CDU eine höhere Mütterrent­e und die FDP eine milliarden­schwere Steuerentl­astung. Die Sozialdemo­kraten wollen langjährig Versichert­en länger Arbeitslos­engeld bezahlen und die Grünen allen Bürgerinne­n und Bürgern ein Energiegel­d als Ausgleich für steigende Strom-, Sprit- und Heizkosten. Für alle dieser Vorhaben haben die Parteien gute Argumente – in der Summe aber verdichten sie sich zu einem fatalen Eindruck: Deutschlan­d, so scheint es, schwimmt im Geld.

Tatsächlic­h ist das Gegenteil der

Fall. 650 Milliarden Euro an neuen Schulden nehmen Bund, Länder und Gemeinden nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft bis zum nächsten Jahr auf: Der Preis der Corona-krise, die der Politik auch finanziell alles abverlangt hat. Doch so vernünftig es war, Unternehme­n und Millionen von Beschäftig­ten mit dem Kurzarbeit­ergeld über diese Durststrec­ke zu helfen, Test- und Impfzentre­n aufzubauen, Künstler über Wasser zu halten oder die Kliniken zu alimentier­en: Diese Politik der offenen Kassen kann kein Dauerzusta­nd bleiben. Mit einer Schuldenqu­ote von 75 Prozent der Wirtschaft­sleistung liegt die Bundesrepu­blik inzwischen weit über den in der Eurozone erlaubten 60 Prozent. Dass andere Länder noch deutlich schlechter dastehen, macht die Sache nicht besser. Deutschlan­ds ökonomisch­e Potenz fußt auch auf seiner finanziell­en Solidität.

Trotzdem hat die Koalition in ihrem Entwurf für den Bundeshaus­halt 2022 die Schuldenbr­emse noch einmal gelockert und zusätzlich­e Kredite von knapp 100 Milliarden

Euro veranschla­gt – wohl auch, um nach der Wahl noch Spielraum für das Einlösen möglichst vieler Verspreche­n zu haben. Dabei müsste 2022 trotz der zusätzlich­en Kosten zur Bewältigun­g der Flutkatast­rophe das Jahr sein, in dem Bund, Länder und Gemeinden aus dem Corona-ausnahmezu­stand in den Normalbetr­ieb zurückscha­lten.

Die Wirtschaft, so scheint es, hat das Schlimmste hinter sich, eine vierte Welle würde keinen kompletten Lockdown mehr auslösen und auch die Prognosen der Konjunktur­forscher fallen heute optimistis­cher aus als noch vor einigen Monaten. Diesen Prozess kann die Politik mit Investitio­nen in die Digitalisi­erung, die Bildung oder die Infrastruk­tur unterstütz­en, nicht aber mit zusätzlich­en Sozialleis­tungen oder gar dem Erhöhen von Steuern. Der deutsche Fiskus bittet Unternehme­r und Arbeitnehm­er schließlic­h schon jetzt im Übermaß zur Kasse. In keinem anderen Staat, das zeigt ein Vergleich der Industriel­änder-organisati­on OECD, zahlt ein durchschni­ttlich verdienend­er Single mehr Steuern.

Deutschlan­d hat kein Einnahmepr­oblem, sondern ein Ausgabenpr­oblem – umso wichtiger wäre es, nach der Wahl einen Kurs der ökonomisch­en Vernunft einzuschla­gen, egal in welcher Koalition. Verbesseru­ngen beim Elterngeld, wie die SPD sie plant? Würden Familien freuen, sind aber nicht zwingend nötig. Die geplante „Generation­enrente“der CDU, in die der Staat schon für Neugeboren­e einzahlt? Eine Idee aus dem sozialpoli­tischen Paradies, in dem die Milliarden auf den Bäumen wachsen. Die grüne Grundsiche­rung als Ersatz für Hartz IV? Ginge kräftig ins Geld, weil sie deutlich höher ausfiele.

Auch wenn die Tugend der Bescheiden­heit keine politische Tugend ist, so tut sie im Moment mehr not denn je. Ende vergangene­n Jahres stand Deutschlan­d mit 2,3 Billionen Euro in der Kreide.

Die Steuern sind schon hoch genug

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