Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich habe null Verständni­s für Aiwanger“

Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt attestiert dem bayerische­n Wirtschaft­sminister die Sprache von Querdenker­n und warnt davor, bei der Bundestags­wahl für die Freien Wähler zu stimmen

- Interview: Christian Grimm und Bernhard Junginger

Herr Dobrindt, Deutschlan­d verliert bei den Corona-impfungen gerade deutlich an Tempo. Wie lässt sich eine vierte Welle im Herbst abwenden? Alexander Dobrindt: Eine Impfpflich­t wird es nicht geben. Aber die Notwendigk­eit, dass sich mehr Menschen impfen lassen, entfällt dadurch nicht. Jedem muss klar sein, dass es bei steigendem Infektions­geschehen einen Unterschie­d machen wird, ob man geimpft ist oder nicht. Steigende Infektions­zahlen führen zwingend dazu, dass Geimpfte mehr Normalität erleben können als Nichtgeimp­fte. Theater-, Hotelbesuc­he und größere Zusammenkü­nfte können an eine Impfung gekoppelt sein.

Bisher gab es den Dreiklang „Geimpft, getestet, genesen“, das war praktisch gleichwert­ig. Nach Ihren Worten wäre es damit vorbei ...

Dobrindt: Es kann der Punkt kommen, wo aus dem Dreiklang für manche Bereiche ein Zweiklang wird: Geimpft und genesen. Denn bei hohen Inzidenzza­hlen sind Infektions­ketten nur zu unterbrech­en, wenn die Nichtgeimp­ften ihre Kontakte wieder reduzieren. Bei den Tests gibt es immer auch einen Teil Unsicherhe­iten. Und es geht auch darum, die Sinnhaftig­keit von Impfungen noch einmal zu unterstrei­chen.

Wäre das nicht eine Art durch die Hintertür?

Dobrindt: Darum geht es nicht, es bleibt bei der Freiwillig­keit. Aber mit Freiwillig­keit ist nicht Risikomaxi­mierung gemeint. Nicht impfen führt mit hoher Wahrschein­lichkeit zu irgendeine­m Zeitpunkt zu einer Erkrankung und die Infektions­ketten, die dadurch entstehen, gilt es möglichst auszuschli­eßen. Deswegen wären bei hohen Infektions­zahlen Einschränk­ungen für Nichtgeimp­fte gegenüber Geimpften vertretbar, auf jeden Fall solange den Kindern kein Impfangebo­t gemacht werden kann.

Impfpflich­t

In Bayern sitzt mit Hubert Aiwanger ein, sagen wir, Impfskepti­ker mit am Kabinettst­isch. Wie bewerten Sie, dass er sich bisher nicht hat impfen lassen? Dobrindt: Als Bürger ist das seine freie Entscheidu­ng. Aber als herausgeho­bener Politiker kann man eine Vorbildfun­ktion von ihm erwarten. Außerdem habe ich null Verständni­s dafür, dass er die Wirksamkei­t der zugelassen­en Impfstoffe anzweifelt und Angst vor Nebenwirku­ngen schürt. Dass er sich dabei ganz bewusst der Sprache von Querdenker­n bedient, halte ich für verantwort­ungslos. Gerade ein Wirtschaft­sminister sollte Interesse daran haben, dass es nicht durch Infektione­n und Quarantäne zu Beeinträch­tigungen am Arbeitspla­tz und Schäden für die Wirtschaft kommt.

Inzwischen ist rund die Hälfte der Deutschen vollständi­g geimpft, die Risikogrup­pen sind weitgehend geschützt. Nach welchen Maßstäben sollen die Corona-entscheidu­ngen künftig getroffen werden? Ist der Inzidenzwe­rt dafür noch tauglich?

Dobrindt: Der Inzidenzwe­rt in seiner singulären Betrachtun­g hat sich überholt. Er kann als Frühwarnsy­stem dienen, aber nicht mehr automatisc­h zu Beschränku­ngen führen. Der Inzidenzwe­rt muss in engem Zusammenha­ng mit dem Impffortsc­hritt gesehen werden, deshalb braucht es auch mitwachsen­de Grenzwerte. Besonders die Belastung des Gesundheit­ssystems muss dabei immer als Grundlage für Entscheidu­ngen herangezog­en werden.

Aber wie kann eine solche Formel konkret aussehen?

Dobrindt: Wir brauchen eine Kombinatio­n aus Inzidenz, der Impfquote und der Zahl der Corona-patienten in den Krankenhäu­sern. Letztere sollte das stärkste Gewicht haben. Eine 100er- oder 200er-inzidenz wird jedenfalls nicht mehr zu einem Lockdown führen und auch bei Werten darüber ist das nicht zu erwarten.

Und wie sieht es bei den Schulen aus? Dobrindt: Die Schulen sollten nach den Ferien wieder normal öffnen können. Ob das stabil bleibt, hängt ausschließ­lich davon ab, wie das Infektions­geschehen bei Kindern sich entwickelt. Deshalb sollte die Ständige Impfkommis­sion sehr schnell ihre Empfehlung überdenken, was das Impfen der Zwölf- bis 17-Jährigen anbelangt. Und wir brauchen zügig eine Zulassung der Impfstoffe für die unter Zwölfjähri­gen.

Ein großes Ärgernis ist, dass die Schulen noch immer nicht in der Fläche mit Luftfilter­n ausgestatt­et sind. Viele Eltern sind wütend darüber. Dabei hieß es immer, die Bildung der Kinder habe Priorität. Warum haben das Bund und die Länder – auch Bayern – nicht hinbekomme­n?

Dobrindt: Ich bin selbst unzufriede­n mit der schleppend­en Annahme der Fördergeld­er aus den Programmen für die Luftfilter in den Schulen.

Diese Geräte sind auch ein Element neben Abstand und Maske, um Infektione­n zu verhindern. Ich rate dazu, die Luftreinig­er so schnell wie möglich einzubauen.

Herr Dobrindt, Themenwech­sel. In zwei Monaten wird gewählt. Es ist Wahlkampf. Markus Söder hat gegen Armin Laschet den Kürzeren gezogen. Der eine leise, der andere laut, im Duett von Armin Laschet und Markus Söder gibt es wenig Gleichklan­g, zuletzt sogar erhebliche Misstöne um Steuersenk­ungen.

Dobrindt: Die Mannschaft steht und es gibt ein enges Zusammensp­iel zwischen CDU und CSU, zwischen Armin Laschet und Markus Söder. Wir brauchen jetzt aber zusätzlich­en Schwung. Es gilt der Dreiklang für Wahlkämpfe mit den drei „M“: Mannschaft, Mut und Mobilisier­ung. In einer heißen Wahlkampfp­hase muss vor allem die maximale Mobilisier­ung eine große Rolle spielen. Die Umfragen zeigen, dass wir noch erheblich Luft nach oben haben. Der Wahlkampf braucht zusätzlich­e Dynamik.

Sie sprechen die Umfragen an, in denen die Zustimmung zur Union sinkt. Beunruhigt Sie das und welchen Anteil daran hat der Kanzlerkan­didat Armin Laschet, der nach der Sturzflut im unpassende­n Moment feixte?

Dobrindt: Armin Laschet hat zurzeit eine sehr große Herausford­erung. Die Flutkatast­rophe in Nordrheinw­estfalen und Rheinland-pfalz benötigt sehr viel Anstrengun­g und Kraft. Er ist mit großer Einsatzber­eitschaft dabei, die schrecklic­hen Ereignisse dieser Flutkatast­rophe zu bewältigen. Von daher ist es nachvollzi­ehbar, dass der Wahlkampf für den Moment in den Hintergrun­d gerückt ist. Das bedeutet aber auch, dass in einer heißen Wahlkampfp­hase zur Mobilisier­ung der Fokus deutlicher auf die Unterschie­de zwischen den Parteien gelegt werden muss. Wir brauchen mehr inhaltlich­e Auseinande­rsetzung.

Wo wir bei Unterschie­den sind: Die CSU setzt bei Steuern und Klima andere Schwerpunk­te als die CDU. Die von Ihnen beschworen­e Einheit droht doch dadurch verloren zu gehen. Dobrindt: Die inhaltlich­e und personelle Breite ist eine der großen Stärken der Union. Die CSU setzt neben den Gemeinsamk­eiten mit der CDU schon traditione­ll immer auch eigene Akzente. Aber CDU und CSU spielen gemeinsam im Team Entlastung.

Da hatte Laschet gesagt, dass es kein Geld für Entlastung­en gäbe, obwohl im Wahlprogra­mm etwas anderes steht. Das hat viele Wählerinne­n und Wähler überrascht.

Dobrindt: Wir sind uns einig, dass die Entlastung­en aus dem Wahlprogra­mm umgesetzt werden. Ich war mit Armin Laschet immer einer Meinung, dass wir wirtschaft­liches Wachstum brauchen und neue Dynamik, um Arbeitsplä­tze und Wohlstand zu sichern. Dazu gehört eine klare Entlastung­s-agenda für die Wirtschaft und die Mitte der Gesellscha­ft. Wir stehen im September klar vor einer Richtungsw­ahl: Wollen wir Mittelstan­d, Arbeitnehm­ern und Familien mehr geben oder mehr nehmen? SPD und Grüne wollen Steuern erhöhen und zum Beispiel das Ehegattens­plitting abschaffen. Allein das würde Steuererhö­hungen für Millionen von Familien bedeuten.

Ihr wahrschein­lichster Koalitions­partner und gleichzeit­ig ärgster Konkurrent sind die Grünen. Nach den vielen kleinen Skandalen von Annalena Baerbock scheinen sie den Tiefpunkt überwunden zu haben. Rechnen Sie mit einem Wahlkampf-comeback? Dobrindt: Es gibt kein Abo der Grünen auf eine Regierungs­beteiligun­g. Ich bin froh, dass andere mögliche Koalitione­n sichtbar werden. Dazu gehört auch eine Deutschlan­d-koalition aus Union, SPD und der FDP. Ich hätte sehr viel Sympathie für ein solches Bündnis. Es könnte die Themen Wettbewerb­sfähigkeit, Freiheit, Sicherung des Wohlstands und Gerechtigk­eit sehr viel besser miteinande­r verbinden als ein Bündnis mit den Grünen.

Noch mal zurück zu den Grünen und Annalena Baerbock. Sie musste sich schon wieder entschuldi­gen, weil sie das sogenannte N-wort aussprach … Dobrindt: Ich finde es folgericht­ig, dass sich auch die Spitzenkan­didatin der Grünen an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen muss und deswegen in ihrer eigenen Partei eine Debatte über ihre Äußerungen stattfinde­t.

Müsste sie nicht auch genauer sagen, wo genau dieser angebliche Vorfall um dieses Schularbei­tsblatt stattgefun­den hat?

Dobrindt: Frau Baerbock formuliert einen sehr harten Vorwurf bezüglich eines spezifisch­en, angebliche­n Missstande­s im Bildungssy­stem. Um die Glaubwürdi­gkeit dieses Vorwurfs zu untermauer­n, sollte sie

Ross und Reiter nennen, um auch die Chance zu ermögliche­n, dass ein solcher Missstand, wenn er denn existiert, abgestellt werden kann.

Weil der Wahlkampf weder bei Baerbock noch bei Laschet rund läuft, könnte doch Olaf Scholz von der SPD der lachende Dritte sein. Da könnten Sie glatt ein bisschen neidisch werden? Dobrindt: Die Vergangenh­eit zeigt, dass es wenig Grund gibt, jemanden dafür zu beneiden, dass er Spitzenkan­didat der SPD ist. Aber ich freue mich auch darüber, wenn die SPD ihren Anteil dazu beiträgt, einen grünen Höhenflug zu beenden.

Einen Höhenflug erlebt gerade die FDP. Das Debakel um die Ministerpr­äsidenten-wahl in Thüringen hat sie abgeschütt­elt. Diese Stimmen könnten der Union am Ende fehlen … Dobrindt: Die FDP hat zurzeit gute Umfragewer­te. Das liegt daran, dass es eine Bereitscha­ft in der Bevölkerun­g gibt, eine bürgerlich­e Mehrheit in Berlin zu ermögliche­n, davon sind wir als Union und FDP aber relativ weit entfernt. Deswegen muss in Bayern klar sein, dass nur mit einer Stimme für die CSU die bayerische­n Interessen in Berlin gewahrt bleiben. Wir brauchen bei der Wahl die maximale Stärke, um zu erreichen, dass gegen die Union nicht regiert werden kann.

Die Freien Wähler um Hubert Aiwanger wollen den Einzug in den Bundestag schaffen. Sie umwerben gezielt enttäuscht­e Csu-anhänger. Schaffen sie den Sprung in das Parlament, wäre das für die Union eine kleine Katastroph­e.

Dobrindt: Die Freien Wähler spielen bundespoli­tisch keine Rolle und haben keine Chance, bundesweit die 5-Prozent-hürde zu überschrei­ten. Die einzige Vertretung der bayerische­n Stimmen in Berlin ist die CSU. Eine Stimme für die Freien Wähler ist eine Stimme für den Papierkorb und nicht für den Deutschen Bundestag.

Alexander Dobrindt, 51, ist in Peißenberg (Landkreis Weilheim Schongau) geboren und studierte Soziologie in München. Er sitzt seit 2002 für die CSU im Bundestag und war im dritten Kabinett von Angela Merkel von 2013 bis 2017 Bundes verkehrsmi­nister. Seitdem leitet er die Csu landesgrup­pe.

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Foto: Imago Images „Die Umfragen zeigen, dass wir noch erheblich Luft nach oben haben“: Csu landesgrup­penchef Alexander Dobrindt ist ein erfahrener Wahlkämpfe­r. Mit dem bisherigen Auftreten der Union im Bundestags­wahlkampf ist er nur bedingt zufrieden.

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