Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Olaf Scholz im Herzblatt modus
Über sein Privatleben redet der Spd-kanzlerkandidat nur selten. Jetzt machte er eine Ausnahme. Was eine Politiker-ehe ausmacht, wie er mit dem Joggen begann und welche Frage über seine Frau er „empörend“findet
Berlin Olaf Scholz legt den Herzblatt-gang ein: Im Wahlkampfendspurt verrät der nüchterne Kanzlerkandidat der SPD, was er an seiner Frau so liebt und dass er gern bis Mittag im Bett bleibt. Was er natürlich selten kann als Bundesfinanzminister und Vizekanzler. Im Live-interview der Zeitschrift Brigitte gibt sich der 63-Jährige für seine Verhältnisse ungewohnt locker – bis ihn eine ganz bestimmte Frage dann „empört“. Doch meist sitzt er entspannt im Sessel, lächelt viel, auf die Krawatte hat er verzichtet, den Hemdkragen aufgeknöpft. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei der der kühle Technokrat, der wegen seiner formelhaft-unverbindlichen Sprechweise längst den Spitznamen „Scholzomat“weg hat, Persönliches preisgibt. Ähnlich wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der er nachfolgen möchte, hält Scholz sein Privatleben normalerweise weitgehend aus der Öffentlichkeit heraus. So gleicht der Versuch, den Menschen hinter dem Politiker Scholz zu begreifen, einem Puzzlespiel. Das Gespräch mit den Brigitte-journalistinnen liefert zumindest einige neue Teilchen. Nach der Frau gefragt, die ihn am meisten geprägt hat, nennt er ohne zu zögern Britta Ernst, seine Ehefrau seit 1998. Auch sie ist Vollblutpolitikerin mit Spd-parteibuch, aktuell Bildungsministerin in Brandenburg. Scholz sagt, dass er ein ganz anderer Mensch wäre, „wenn ich nicht mit Britta Ernst verheiratet wäre“. Er sei durch sie „ein besserer Mensch, eindeutig“. Kennengelernt hat sich das Paar schon früh in Hamburg, wo beide aufwuchsen.
Scholz’ Familie, er hat zwei Brüder, lebte im Stadtteil Altona, in dem sich großbürgerliche Wohnquartiere mit Arbeitergegenden abwechseln. Beide Welten sind ihm nicht fremd. Der Großvater Eisenbahner, arbeitete sich der Vater vom Handelsvertreter zum Geschäftsführer in Textilunternehmen hoch. Am Gymnasium glänzt Scholz als exzellenter Schüler, bei den Mitschülern gilt er als Streber, wie er mal verraten hat. Gleichzeitig aber ist er auch eine Art Revoluzzer, der sich als Schülersprecher engagiert, sich den Jungsozialisten anschließt. Sein prächtiger Lockenkopf fällt auf zu jener Zeit, in der er ausgesprochen linke Positionen vertritt, von denen er sich längst distanziert hat.
Im elterlichen Haushalt verschlingt der Scholz schon als Kind den Inhalt des gut gefüllten Bücherschranks. Die Bände von Karl May liebt er, ebenso die Bücher von C. S. Forrester. In denen geht es um die Abenteuer des britischen Seehelden Horacio Hornblower, der im Kampf gegen Napoleons Flotte immer wieder über die eigenen Selbstzweifel hinauswächst und extreme Situationen besteht. Später liegt vor allem lateinamerikanische Literatur auf dem Nachttisch, zu Juso-zeiten natürlich Marx. Zum Ausgleich dann billige Science-fiction-hefte vom Bahnhofskiosk. Heute sind es vor allem aktuelle politische und soziologische Bücher, die Scholz in großer Zahl liest und aus denen er auch gern zitiert. Körperlich bringt er sich beim Joggen auf Trab, es war seine Frau, die ihm vor Jahren nahelegte, er müsse endlich was für seine Fitness tun. Schlanker ist er seither geworden, die regelmäßigen Laufrunden möchte er nicht missen, er absolviert sie ohne Musik, Pulsmesser oder Fitness-app. Und auch ohne groß nachzudenken, wie er bei Brigitte sagt. Scholz gibt sich als Mensch, der ganz mit sich im Reinen ist, auch gut und tief schläft. Aber am liebsten bis zum Mittagessen im Bett bleiben würde, während seine Ehefrau Frühaufsteherin sei. Das Politikerleben aber erlaube das meist nicht, da sei sein Leben anders verlaufen als seine innere Uhr.
Scholz hat keine Kinder, mit seiner Frau lebt er in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Ein Lebensmodell, das dem von Angela Merkel gleicht. Der Heimat Hamburg, wo Scholz Erster Bürgermeister war, bevor er 2018 Finanzminister wurde, hat das Paar den Rücken gekehrt. Gemeinsamer privater Lebens mittelpunkt ist Potsdam, wo Britta Ernst arbeitet und Scholz es nicht weit nach Berlin hat.
Über den Einrichtungsstil ist wenig bekannt, einen Hinweis geben könnteSc holz’ Büro im Bundes finanzministerium, es ist aufgeräumt minimal istis ch bestückt. Als Gegengewicht zur schwülstig-bombastischen Architektur des ehemaligen Reichs luftfahrt ministeriums von Hermann Göring hat der Hausherr Schwarzweiß-fotos aufgehängt. Sie zeigen den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel: leicht, transparent, zeitlos modern – wie ein Sinnbild für ein sich neu erfindendes, weltoffenes Deutschland. International geprägt sind die kulinarischen Vorlieben von Scholz, der nie längere Zeit im Ausland verbracht hat. Pho Bo, die vietnamesische Suppe mit Rindfleisch und Reisnudeln, kommt sogar zu Weihnachten auf den Tisch. Der letzte Urlaub führte das Paar, das gerne wandert, ins Allgäu, doch wegen des Hochwassers reiste der Finanzminister vorzeitig ab, um sich vor Ort ein Bild vom Ausmaß der Schäden zu machen. Das Privatleben, das ist klar, muss in dieser Politikerehe oft zurückstecken, und das ist für beide selbstverständlich. So ist es im Brigitte-interview diese eine Frage, die Scholz sogar „empört“. Ob seine Frau weiterarbeiten werde, sollte er ins Kanzleramt einziehen, wollte die Journalistin wissen. Britta Ernst sei eine erfolgreiche Politikerin, antwortete er, einer Frau würde umgekehrt die Frage, ob ihr Mann weiterarbeite, gar nicht gestellt werden. Andere Fragen beantwortet Scholz dagegen mit einer Gefühligkeit, die durchaus überrascht. Als es etwa darum geht, was seine Ehe charakterisiert, sagt er: „Es ist immer Liebe, und das ist doch das Entscheidende.“