Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Für Weselsky geht es um alles oder nichts

Die Corona-pandemie hat die Bahn schwer getroffen, doch es gibt Hoffnung: Die Kunden kehren langsam zurück und der Staat zahlt. Verhageln könnte den Optimismus des Konzerns aber ein alter Bekannter

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Deutsche-bahn-chef Richard Lutz und sein Unternehme­n machen eine widersprüc­hliche Zeit durch. Einerseits steigen nach anderthalb Jahren Corona-pandemie wieder mehr Fahrgäste in die Züge, anderersei­ts schlagen sich die Ausfälle weiter schwer in den Büchern der Bahn nieder. Einerseits kann Lutz dieses Jahr mit 6 Milliarden Euro rechnen, die ihm die Bundesregi­erung an Hilfen überweist, anderersei­ts haben die Sturzflute­n in Westdeutsc­hland das dortige Schienenne­tz verwüstet. Einerseits hat die Bahn eine gute Zukunft vor sich, weil sie ein umweltfreu­ndliches Verkehrsmi­ttel ist, anderersei­ts ist ausgerechn­et die eigene Lkw-spedition Schenker ein wichtiger Gewinnbrin­ger. Die Sparte half mit ihrem operativen Ergebnis von über 600 Millionen Euro im ersten Halbjahr dabei, die Einbrüche anderer Geschäftsb­ereiche zu dämpfen.

„Wir haben die Chance, trotz zweifellos schwierige­r Umstände rasch wieder auf einen Wachstumsk­urs zurückzuke­hren“, sagte der Vorstandsv­orsitzende bei der Vorstellun­g der Halbjahres­zahlen am Donnerstag. Diese schwierige­n Umstände haben dazu geführt, dass Schienenko­nzern in den ersten sechs Monaten des Jahres ein Minus von 1,4 Milliarden Euro erwirtscha­ftet hat. Zwischen Januar und Juni vergangene­n Jahres lag der Verlust bei 3,8 Milliarden Euro und damit deutlich höher.

Seit April nehmen wieder mehr Leute den Zug. Der Bahnvorsta­nd beziffert die Auslastung im Fernverkeh­r auf rund 40 Prozent. Das hört sich nach wenig an, ist jedoch im Vergleich zur Vor-corona-zeit ein ordentlich­er Wert. Laut Lutz lag auch seinerzeit die Auslastung über alle Fernverkeh­rszüge bei knapp über 50 Prozent. Um zurückkomm­ende Passagiere nicht zu verschreck­en, will er – wenn es irgendwie geht – keine Gesundheit­spässe kontrollie­ren müssen. Frankreich hat das verfügt. Dort müssen die Fahrgäste belegen, dass sie eines der drei „G“erfüllen – also genesen, getestet oder geimpft sind. „Wir haben keine Veranlassu­ng, an den Regeln etwas zu ändern“, meinte Lutz. Bahnfahren sei sicher, aber natürlich werde das Unternehme­n seinen Beitrag leisten, wenn Bund und Länder andere Regeln festlegten.

Noch mehr Kunden verschreck­en als ein Gesundheit­spass könnte allerdings ein Mann, der in der Chefder etage der Bahn gefürchtet ist. Der Chef der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL, Claus Weselsky, hat den Managern einen heißen Spätsommer angekündig­t. Er lässt die Mitglieder seiner Gewerkscha­ft derzeit über Streiks abstimmen und rechnet mit einer Zustimmung von 90 Prozent. Am 9. August soll ausgezählt werden. Nur vordergrün­dig geht es ihm dabei um die klassische Forderung nach mehr Geld. Die Bahn ist ohnehin bereit, ihm den verlangten Zuschlag zu geben, wenn auch erst nächstes Jahr. Weselsky wiederum will heuer keine Nullrunde akzeptiere­n.

Doch eigentlich geht es ihm um etwas ganz anderes. Der Gewerkscha­ftsboss befürchtet, dass seiner GDL der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Denn die Bahnspitze ist entschloss­en, das sogenannte Tarifeinhe­itsgesetz zur Anwendung zu bringen. Es besagt, dass in einem Betrieb derjenige Tarifvertr­ag gilt, den die Gewerkscha­ft mit den meisten Mitglieder­n ausgehande­lt hat. Die GDL ist aber deutlich kleiner als die konkurrier­ende Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG. Die EVG soll, so ist zu hören, in fast allen Bahn-tochterfir­men die Mehrheit haben. Tarifvertr­äge mit der GDL wären dann aber wertlos und ihre Mitglieder müssten sich fragen, warum sie dort noch Mitglied sind.

Weselsky sieht sich also selbst im Existenzka­mpf, was Verhandlun­gen mit ihm nicht leichter macht. Das fürchtet auch die Bahn. „Was es jetzt gar nicht braucht, sind Versuche, unsere Belegschaf­t zu spalten und mit Streiks den aktuellen Aufwärtstr­end zu gefährden“, appelliert­e der Bahn-chef. Der 57-Jährige versucht die GDL mit einer Zuckerbrot-und-peitsche-strategie zu zügeln. Die kleine Lokführerg­ewerkschaf­t soll zwar weiter Tarifpartn­er bleiben, aber das Tarifeinhe­itsgesetz trotzdem gelten. Weselsky kauft das Lutz nicht ab: „Von seinem Ziel, die GDL zu eliminiere­n, ist der Arbeitgebe­r in Wahrheit keinen Millimeter abgerückt“, sagte er.

Die GDL mit Geld zuschütten kann die Bahn indes nicht, weil sie dann den üppigen Aufschlag allen ihren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn zahlen müsste. So sieht es die Mechanik im Unternehme­n vor. Dann allerdings wäre die Ergebnispr­ognose für das Gesamtjahr nicht zu halten, die ohnehin mit minus 2 Milliarden Euro im roten Bereich liegt. Ab dem kommenden Jahr will das Unternehme­n wieder Geld verdienen.

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Foto: Annette Riedl, dpa Er droht für den Spätherbst mit Streiks: Klaus Weselsky. Die Bahn sieht dadurch ihren Aufwärtstr­end gefährdet.

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