Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Für Weselsky geht es um alles oder nichts
Die Corona-pandemie hat die Bahn schwer getroffen, doch es gibt Hoffnung: Die Kunden kehren langsam zurück und der Staat zahlt. Verhageln könnte den Optimismus des Konzerns aber ein alter Bekannter
Berlin Deutsche-bahn-chef Richard Lutz und sein Unternehmen machen eine widersprüchliche Zeit durch. Einerseits steigen nach anderthalb Jahren Corona-pandemie wieder mehr Fahrgäste in die Züge, andererseits schlagen sich die Ausfälle weiter schwer in den Büchern der Bahn nieder. Einerseits kann Lutz dieses Jahr mit 6 Milliarden Euro rechnen, die ihm die Bundesregierung an Hilfen überweist, andererseits haben die Sturzfluten in Westdeutschland das dortige Schienennetz verwüstet. Einerseits hat die Bahn eine gute Zukunft vor sich, weil sie ein umweltfreundliches Verkehrsmittel ist, andererseits ist ausgerechnet die eigene Lkw-spedition Schenker ein wichtiger Gewinnbringer. Die Sparte half mit ihrem operativen Ergebnis von über 600 Millionen Euro im ersten Halbjahr dabei, die Einbrüche anderer Geschäftsbereiche zu dämpfen.
„Wir haben die Chance, trotz zweifellos schwieriger Umstände rasch wieder auf einen Wachstumskurs zurückzukehren“, sagte der Vorstandsvorsitzende bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen am Donnerstag. Diese schwierigen Umstände haben dazu geführt, dass Schienenkonzern in den ersten sechs Monaten des Jahres ein Minus von 1,4 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Zwischen Januar und Juni vergangenen Jahres lag der Verlust bei 3,8 Milliarden Euro und damit deutlich höher.
Seit April nehmen wieder mehr Leute den Zug. Der Bahnvorstand beziffert die Auslastung im Fernverkehr auf rund 40 Prozent. Das hört sich nach wenig an, ist jedoch im Vergleich zur Vor-corona-zeit ein ordentlicher Wert. Laut Lutz lag auch seinerzeit die Auslastung über alle Fernverkehrszüge bei knapp über 50 Prozent. Um zurückkommende Passagiere nicht zu verschrecken, will er – wenn es irgendwie geht – keine Gesundheitspässe kontrollieren müssen. Frankreich hat das verfügt. Dort müssen die Fahrgäste belegen, dass sie eines der drei „G“erfüllen – also genesen, getestet oder geimpft sind. „Wir haben keine Veranlassung, an den Regeln etwas zu ändern“, meinte Lutz. Bahnfahren sei sicher, aber natürlich werde das Unternehmen seinen Beitrag leisten, wenn Bund und Länder andere Regeln festlegten.
Noch mehr Kunden verschrecken als ein Gesundheitspass könnte allerdings ein Mann, der in der Chefder etage der Bahn gefürchtet ist. Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat den Managern einen heißen Spätsommer angekündigt. Er lässt die Mitglieder seiner Gewerkschaft derzeit über Streiks abstimmen und rechnet mit einer Zustimmung von 90 Prozent. Am 9. August soll ausgezählt werden. Nur vordergründig geht es ihm dabei um die klassische Forderung nach mehr Geld. Die Bahn ist ohnehin bereit, ihm den verlangten Zuschlag zu geben, wenn auch erst nächstes Jahr. Weselsky wiederum will heuer keine Nullrunde akzeptieren.
Doch eigentlich geht es ihm um etwas ganz anderes. Der Gewerkschaftsboss befürchtet, dass seiner GDL der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Denn die Bahnspitze ist entschlossen, das sogenannte Tarifeinheitsgesetz zur Anwendung zu bringen. Es besagt, dass in einem Betrieb derjenige Tarifvertrag gilt, den die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern ausgehandelt hat. Die GDL ist aber deutlich kleiner als die konkurrierende Eisenbahnergewerkschaft EVG. Die EVG soll, so ist zu hören, in fast allen Bahn-tochterfirmen die Mehrheit haben. Tarifverträge mit der GDL wären dann aber wertlos und ihre Mitglieder müssten sich fragen, warum sie dort noch Mitglied sind.
Weselsky sieht sich also selbst im Existenzkampf, was Verhandlungen mit ihm nicht leichter macht. Das fürchtet auch die Bahn. „Was es jetzt gar nicht braucht, sind Versuche, unsere Belegschaft zu spalten und mit Streiks den aktuellen Aufwärtstrend zu gefährden“, appellierte der Bahn-chef. Der 57-Jährige versucht die GDL mit einer Zuckerbrot-und-peitsche-strategie zu zügeln. Die kleine Lokführergewerkschaft soll zwar weiter Tarifpartner bleiben, aber das Tarifeinheitsgesetz trotzdem gelten. Weselsky kauft das Lutz nicht ab: „Von seinem Ziel, die GDL zu eliminieren, ist der Arbeitgeber in Wahrheit keinen Millimeter abgerückt“, sagte er.
Die GDL mit Geld zuschütten kann die Bahn indes nicht, weil sie dann den üppigen Aufschlag allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zahlen müsste. So sieht es die Mechanik im Unternehmen vor. Dann allerdings wäre die Ergebnisprognose für das Gesamtjahr nicht zu halten, die ohnehin mit minus 2 Milliarden Euro im roten Bereich liegt. Ab dem kommenden Jahr will das Unternehmen wieder Geld verdienen.