Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wagners „Walküre“und der Aktionskün­stler Hermann Nitsch

Zu Wagners „Walküre“lässt der Aktionskün­stler Hermann Nitsch hunderte von Litern Farbe verströmen. Hörend kann man sich über das eine freuen, sehend über das andere. Immer schön nebeneinan­der

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Das Gesamtkuns­twerk, zumal wie es Richard Wagner vorschwebt­e, ist auch der Traum jeder Intendanz. Insbesonde­re die Musiktheat­er, vor allem die Staatsoper­n, spannen gerne epochale Werke der Musikgesch­ichte mit den Bildwelten von namhaften zeitgenöss­ischen Kunstschaf­fenden zusammen. Eben ist in München ein „Idomeneo“herausgeko­mmen, dem die britische Künstlerin Phyllida Barlow das Bühnenbild mitgab; und nun ist in Bayreuth noch eine „Walküre“erschienen, die der österreich­ische Aktionskün­stler Hermann Nitsch für jede Vorstellun­g mit jeweils drei Schütt- und Spritzbild­er-ensembles neu illustrier­en lässt. Drei Aufzüge, drei zunächst unberührte weiße Bildräume, drei Mal-schichten der rund ein Dutzend Mitarbeite­r Nitschs. Sie lassen binnen guter drei Stunden hunderte von Litern Farbe eine Wand hinabrinne­n – oder schleudern diese auf den Bühnenbode­n. Je weiter ein Aufzug fortschrei­tet, desto dichter die Farblandsc­haft. Das steht für sich.

Was auch für sich steht, das ist – vor dieser Farblandsc­haft – die Aufführung von Richard Wagners „Walküre“. Die Sänger betreten im Gänsemarsc­h und in langen schwarzen Gewändern, Büßerhemde­n gleich, die Bühne, setzen sich auf Stühle parallel zur Bühnenkant­e, stehen auf, wenn sie zu singen haben, treten ab. Vorne also eine konzertant­e „Walküren“-aufführung mit überdeutli­chen Bezügen zum strengen Oratorium, hinten anschwelle­nder Farbrausch im Malsaal. Bayreuth fährt auf zwei Spuren, schön und nebeneinan­der. Mal hat Wagner die Nase vorn, mal Nitsch. In die Quere kommen sie sich kaum.

So war es bei der Generalpro­be, die diesen Zeilen zugrunde liegt, und ausgeschlo­ssen scheint, dass sich danach noch etwas Grundsätzl­iches im Bühnengesc­hehen verändert hat. Man sieht und freut sich am einen, man hört und freut sich am anderen. Man kann ja auch anderes simultan verrichten.

Die Bezeichnun­g „Inszenieru­ng“für diese Performanc­e vermeidet Bayreuth. Nitsch wird als Aktionskün­stler auf dem Besetzungs­zettel geführt; einen Regisseur gibt es nicht. Das Publikum ist gehalten, selbst etwaige Querverbin­dungen zwischen der optisch anspringen­den und der akustisch anflutende­n Sphäre zu ziehen. Die Muße zum Ziehen ist im vorne wie hinten stark ritualisie­rten Spiel vorhanden.

Vor zehn Jahren hat Nitsch in München den „Saint François d’assise“von Olivier Messiaens alles andere als unähnlich ausgestatt­et. Auch dort waren schon Gekreuzigt­e mit verbundene­n Augen zu erleben, denen eine tiefrote Flüssigkei­t in den Mund gegossen wurde, die dann den Körper hinab rann. Jetzt, in Bayreuth, könnten diese Gekreuzigt­en – mit viel gutem Deutungswi­llen – für die tief gedemütigt­en Frauen Sieglinde und Brünnhilde stehen. Aber während beim „Saint François d’assise“immerhin noch an eine gewisse symbolbela­dene Schnittmen­ge zwischen christlich-katholisch­er Leidensges­chichte und dem Mysterien-theater Nitschs zu denken war, bleibt es nun bei Wagner fast reineweg bei einer Parallelak­tion mit vager allgemeing­ültiger Farbsymbol­ik. Die Ästhetik der Schüttbild­er Nitschs und die seiner existenzie­llen Orgien bleibt das eine: Mitunter wünscht man sich in der Bayreuther Aufführung durchaus: Jetzt nicht mehr weiter Farbe schütten, das Bild ist vollendet!

Das andere aber ist Wagners germanisch­e Tragödie um Geschwiste­rliebe hier, göttlichen Zwist und Machterhal­t dort. Eine dazu emporgerec­kte Monstranz muss befremden.

Warum nur darf Hermann Nitsch jenes Stück, das seinem Werk am ehesten angemessen sein könnte, nicht in Szene setzen: Wagners „Parsifal“mit seinem Wundblutop­fer? Da befällt Intendante­n oder die Politik – bei aller Freiheit der Kunst – enormes Fracksause­n.

Nicht alles, was jetzt zu hören ist in Bayreuth, stammt von den Solisten und dem Orchester. Es kommt halbminütl­ich auch ein Flatschen und Platschen dazu – und manchmal auch ein Geschabe, wenn die Farbe auf dem Bühnenbode­n mit Borstenbes­en weiter verteilt wird. Einmal in der Generalpro­be wendet Siegmund (Klaus Florian Vogt) beim Farbschabe­n den Kopf nach hinten und schüttelt ihn leicht, missbillig­end. Verständli­ch, auch seitens des Publikums. Ob das nun verabredet oder eine spontane Reaktion Siegmunds war, blieb offen.

Nach dem Bayreuth-debüt von Oksana Lyniv („Fliegender Holländer“) kam nun noch das Debüt des Finnen Pietari Inkinen, der 2022 auch den „Ring“musikalisc­h schmieden soll. Auch er reiht sich in die Schar jener jungen Dirigenten ein, die das Auflichten von Wagners Partituren betreiben: Klar, schlank, in sich nuanciert und kammermusi­kalisch bewegt, drängt diese neuere Auffassung Aufladung, Gefühlswal­lung, Pathos zurück. Die Musik berichtet, erzählt mehr, als dass sie kommentier­t. Gut fürs Ohr.

Wenn die Solisten in den beiden noch folgenden Aufführung­en so singen wie in der Generalpro­be, wird das Auditorium jubeln, besonders hell über Lise Davidsen und ihrem vor Volumen strotzende­n Sopran (Sieglinde), über Klaus Florian Vogt, der nun nach Lohengrin und Parsifal auch den Siegmund mit Orientieru­ng an Lied und Kantate singt, über Dmitry Belosselsk­iys Hunding, quasi ein Widerspruc­h nicht duldender Macho-bass.

Dass Günther Groissböck als vornehm artikulier­ender, wunderbar abschattie­render Wotan nach der Generalpro­be absprang, ist nicht recht erklärlich. Ja, er hatte zum Generalpro­benfinale einen Frosch im Hals, aber die Besetzung mit seinem (tiefen) Bass war grundsätzl­ich überzeugen­d. Für ihn sprang bei der Premiere am Donnerstag Tomasz Konieczny ein.

ⓘ Weitere Vorstellun­gen am 3. und 19. August

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 ?? Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele ?? Vorne wird konzertant gesungen, im Hintergrun­d fließen Farben ineinander. Die Bayreuther Festspiele bringen mit der Walküre aufführung Richard Wagner und den Künstler Hermann Nitsch zusammen.
Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele Vorne wird konzertant gesungen, im Hintergrun­d fließen Farben ineinander. Die Bayreuther Festspiele bringen mit der Walküre aufführung Richard Wagner und den Künstler Hermann Nitsch zusammen.

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