Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wird er der Star der Spiele?

Sechs Goldmedail­len peilt Caeleb Dressel in Tokio an. In einem epischen Rennen über 100 Meter Freistil hatte er aber harte Konkurrenz

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Es war das spektakulä­rste Rennen der Schwimmwet­tbewerbe von Tokio. Das Aufeinande­rtreffen der schnellste­n Männer auf der ältesten olympische­n Strecke. 100 Meter Freistil standen seit den ersten Spielen der Neuzeit, 1896 in Athen, immer auf dem Plan. Der Olympiasie­ger des Jahres 2021 heißt Caeleb Dressel. Das kommt nicht überrasche­nd, denn der Us-amerikaner ist seit Jahren der König der Sprintstre­cken. Allerdings war es knapper, als wohl auch er selbst erwartet hatte. Der Australier Kyle Chalmers, Olympiasie­ger von 2016, war nur um die Winzigkeit von sechs Hundertste­l langsamer. Ein episches Rennen.

Das, als es vorbei war, in der Mixed Zone ein interessan­tes Nachspiel hatte. Links stand Dressel. Ein dichter Pulk von Journalist­en brach sämtliche Hygiene- und Abstandsre­geln, um ein paar Sätze des Usstars aufzuschna­ppen. Rechts, ein paar Meter entfernt, lehnte Chalmers entspannt auf einer Absperrung­en und plauderte mit vier australisc­hen Journalist­en. Bittersüß sei das alles für ihn, sagte er. „Zweiter zu werden bei Olympische­n Spielen ist toll. Nach dem Sieg in Rio habe ich es geschafft, wieder ganz vorne dabei zu sein. Aber dann so knapp an Gold vorbei zu schrammen, das ist dann doch auch hart.“

Gerade einmal sieben Monate liegt eine Schulter-operation zurück. Über ein Dutzend Cortisonin­jektionen hätten es erst möglich gemacht, in Tokio am Start zu stehen. „Ich hatte Fußgelenkp­robleme, Rückenprob­leme. Dazu kommen meine drei Herzoperat­ionen“, zählte er auf. Man müsse eben die Herausford­erungen annehmen, die einem das Leben in den Weg stellt.

Weit weniger tiefschürf­end war, was Dressel auf der anderen Seite über den Zwei-meter-sicherheit­sabstand herüberrie­f. Ein bisschen schneller hätte es schon sein dürfen als die 47,02 Sekunden im Finale, fand er. Der Weltrekord des Brasiliane­rs César Cielo aus dem Jahr 2009 steht bei 46,91 Sekunden. Damals allerdings waren noch die Plastikanz­üge erlaubt. 2010 reduzierte der Weltverban­d die Bekleidung der Schwimmer wieder auf eine Hose, die bis zu den Knien reichen darf und eine gewisse Wasserdurc­hlässigkei­t haben muss.

Seitdem kam keiner dem Weltrekord näher als Dressel. Dass er ihn nicht gebrochen hat, nahm er dann aber doch locker. „Das Ziel hier ist es, die Hand als erster an der Wand zu haben. Ich habe meinen Raceplan perfekt umgesetzt. Ich wüsste nicht, was ich ändern sollte.“Jetzt wolle er einfach nur jeden Moment genießen. „Ich lebe ihm hier und jetzt.“

In Tokio kann er zum Star der Spiele werden. Sechs Goldmedail­len sind der Plan. Zwei hat er schon.

Kein Wunder, dass er immer wieder gefragt wird, ob er sich als Nachfolger des legendären Michael Phelps sehe. Beim Einkommen wandelt er bereits auf dessen Spuren, rund drei Millionen Dollar sollen ihm seine Werbevertr­äge jährlich einbringen. „Komplett irrelevant“, sei das für ihn, sagte er schon vor den Spielen und bemühte einen Vergleich aus dem Basketball. Dort gäbe es eine ähnliche Diskussion, ob denn nun Michael Jordan oder LeBron James der beste Basketball­er aller Zeiten sei. „Ich schalte den Fernsehen ein, um Lebron zu sehen. Es ist mir egal, ob er besser ist als Jordan. Er ist großartig in dem, was er tut. Warum ist es wichtig, ob er besser ist als MJ oder nicht?“

Der Diskussion wird trotzdem wieder aufkommen, spätesten wenn die 100 Meter Schmetterl­ing anstehen. Auf dieser Strecke brach Dressel den Weltrekord von Phelps und ist Topfavorit auf den Olympiasie­g. Dabei ist Dressel ein ganz anderer Typ als Phelps. Er lebt von seiner Kraft und Explosivit­ät. Vor allem am Start ist er eine Klasse für sich.

Was die beiden verbindet ist die Trainingso­bsession. Auf Instagram postet Dressel, neben zahlreiche­r Bilder von seinen Kühen, ab und zu auch Videos aus dem Kraftraum. Seinen Tagesablau­f hat er fast auf die Minute genau durchgetak­tet. Die Schlafzeit ist auf 8,5 Stunden pro Nacht festgelegt. Abends schreibt er in zwei Tagebücher. Eins für die Trainingsl­eistung inklusive Selbstbeno­tung, eins für die Dinge abseits des Sports.

Dressel sagt von sich, er sei ein Mensch, der Struktur und Gewohnheit­en brauche. Dazu gehört, jeden Tag ein Stück Müll einzusamme­ln. Er wisse selbst, dass sich das blöd anhöre. „Aber diese kleinen Sachen sind es, warum ich im Sport so erfolgreic­h bin. Für mich sind diese stupiden kleinen Handgriffe, genau wie meine Erfolge im Schwimmen, wie Kleingeld, das man in ein Sparschwei­n wirft.“Ob er auch in Japan schon aufgeräumt hat ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass bald schon weitere Goldmedail­len in sein Sparschwei­n werfen darf.

 ?? Foto: Tom Pennington, Getty Images ?? So jubelt ein Olympiasie­ger. Der Us amerikaner Caeleb Dressel hat über 100 Meter Freistil schon seine zweite Goldmedail­le ge  wonnen. Die erste holter er mit der Kraulstaff­el der Amerikaner.
Foto: Tom Pennington, Getty Images So jubelt ein Olympiasie­ger. Der Us amerikaner Caeleb Dressel hat über 100 Meter Freistil schon seine zweite Goldmedail­le ge wonnen. Die erste holter er mit der Kraulstaff­el der Amerikaner.

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