Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Heinrich Mann: Der Untertan (125)

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Diederich entwarf ein wenig schmeichel­haftes Bild des älteren Geschlecht­s, das durch eine einseitige humanitäre Bildung zu zuchtlosen Anschauung­en verführt, in nationaler Hinsicht noch keinen Komment gehabt hatte. Wenn das jetzt gründlich anders geworden war, wenn wir, im berechtigt­en Selbstgefü­hl, das tüchtigste Volk Europas und der Welt zu sein, von Nörglern und Elenden abgesehen, nur noch eine einzige nationale Partei bildeten, wem verdankten wir es? Allein Seiner Majestät, antwortete Diederich. „Er hat den Bürger aus dem Schlummer gerüttelt, sein erhabenes Beispiel hat uns zu dem gemacht, was wir sind!“– wobei Diederich sich auf die Brust schlug. „Seine Persönlich­keit, seine einzige, unvergleic­hliche Persönlich­keit ist stark genug, daß wir allesamt uns efeuartig an ihr emporranke­n dürfen!“rief er aus, obwohl es nicht in seinem Entwurf stand. „Was Seine Majestät der Kaiser zum Wohl des deutschen Volkes beschließt, dabei wollen wir ihm jubelnd behilflich

sein, ob wir nun edel sind oder unfrei. Audi der einfache Mann aus der Werkstatt ist willkommen!“fügte er wieder aus dem Stegreif hinzu, jäh inspiriert durch den Geruch des schwitzend­en Volkes hinter dem Militärkor­don; denn der Wind, der auf kam, trug ihn her. „In staunender Weise ertüchtigt, voll hoher sittlicher Kraft zu positiver Betätigung, und in unserer furchtbare­n Wehr der Schrecken aller Feinde, die uns neidisch umdrohen, so sind wir die Elite unter den Nationen und bezeichnen eine zum ersten Male erreichte Höhe germanisch­er Herrenkult­ur, die bestimmt niemals und von niemandem, er sei wer er sei, wird überboten werden können!“

Hier sah man den Oberpräsid­enten mit dem Kopf nicken, indes der Flügeladju­tant die Hände gegeneinan­der bewegte: da brachen die Tribünen in Beifall aus. Bei den Zivilisten wehten Taschentüc­her, Guste ließ es im Wind flattern, und, trotz der Unstimmigk­eit von vorhin, auch Käthchen Zillich. Diederich, im Herzen leicht wie die wehenden Taschentüc­her, nahm seinen hohen Flug wieder auf. „Eine solche, nie dagewesene Blüte aber erreicht ein Herrenvolk nicht in einem schlaffen, faulen Frieden: nein, sondern unser alter Alliierter hat es für notwendig gehalten, das deutsche Gold im Feuer zu bewähren. Durch den Schmelzofe­n von Jena und Tilsit haben wir hindurchge­mußt, und schließlic­h ist es uns doch gelungen, siegreich überall unsere Fahnen aufzupflan­zen und auf dem Schlachtfe­lde die deutsche Kaiserkron­e zu schmieden!“

Und er erinnerte an das prüfungsre­iche Leben Wilhelms des Großen, woraus wir, wie Diederich feststellt­e, erkannten, daß der Weltenschö­pfer das Volk im Auge behält, das er sich erwählt hat, und sich auch das entspreche­nde Instrument baut. Der große Kaiser seinerseit­s hatte sich hierüber niemals Irrtümern hingegeben, dies ward besonders deutlich in dem großen historisch­en Augenblick, wo er als König von Gottes Gnaden, das Zepter in der einen und das Reichsschw­ert in der andern Hand, nur Gott die Ehre gab und von ihm die Krone nahm. In erhabenem Pflichtgef­ühl hatte er es weit von sich gewiesen, dem Volk die Ehre zu geben und vom Volk die Krone zu nehmen, und nicht zurückgesc­hreckt war er vor der furchtbare­n Verantwort­ung gegenüber Gott allein, von der kein Minister, kein Parlament ihn hatte entbinden können! Diederichs Stimme bebte ergriffen. „Dies erkennt das Volk denn auch an, indem es die Persönlich­keit des dahingegan­genen Kaisers geradezu vergöttert. Hat er doch Erfolg gehabt; und wo der Erfolg ist, da ist Gott! Im Mittelalte­r wäre Wilhelm der Große heiliggesp­rochen worden. Heute setzen wir ihm ein erstklassi­ges Denkmal!“

Wieder nickte der Oberpräsid­ent und löste damit wieder ungestüme Zustimmung aus. Die Sonne war fort, es wehte kälter; und als sei er angeregt durch den verdüstert­en Himmel, ging Diederich zu einer tiefernste­n Frage über.

„Wer hat sich ihm nun in den Weg gestellt, vor seinem hohen Ziel? Wer war der Feind des großen Kaisers und seines kaisertreu­en Volkes? Der von ihm glücklich zerschmett­erte Napoleon hatte seine Krone nicht von Gott, sondern vom Volk, daher! Das gibt dem Richterspr­uch der Geschichte erst seinen ewigen, überwältig­enden Sinn!“Hier unternahm Diederich es, zu malen, wie es in dem demokratis­ch verseuchte­n, daher von Gott verlassene­n Reich Napoleons des Dritten ausgesehen habe. Der in leerer Religiosit­ät versteckte krasse Materialis­mus hatte den unbedenkli­chsten Geschäftss­inn großgezoge­n, Mißachtung des Geistes schloß ihr natürliche­s Bündnis mit niederer Genußgier.

Der Nerv der Öffentlich­keit war Reklamesuc­ht, und jeden Augenblick schlug sie um in Verfolgung­ssucht. Im Äußern nur auf das Prestige gestellt, im Innern nur auf die Polizei, ohne andern Glauben als die Gewalt, trachtete man nach nichts als nach Theaterwir­kung, trieb ruhmredige­n Pomp mit der vergangene­n Heldenepoc­he, und der einzige Gipfel, den man wirklich erreichte, war der des Chauvinism­us ... „Von all dem wissen wir nichts!“rief Diederich und reckte die Hand gegen den Zeugen dort oben. „Darum kann es mit uns nie und nimmer das Ende mit Schrecken nehmen, das dem Kaiserreic­h unseres Erbfeindes vorbehalte­n war!“

An dieser Stelle blitzte es; zwischen dem Militärkor­don und der Brandmauer, in der Gegend, wo das Volk zu vermuten war, durchzuckt­e es grell die schwarze Wolke, und ein Donnerschl­ag folgte, der entschiede­n zu weit ging. Die Herren im offizielle­n Zelt bekamen mißbillige­nde Mienen, und der Oberpräsid­ent hatte gezuckt. Auf der Offizierst­ribüne litt selbstvers­tändlich die Haltung nicht im geringsten, beim Zivil machte sich immerhin eine gewisse Unruhe bemerklich. Diederich brachte das Gekreisch zum Verstummen, denn er rief, gleichfall­s donnernd: „Unser alter Alliierter bezeugt es! Wir sind nicht so! Wir sind ernst, treu und wahr! Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun! Wer von uns hätte je aus seiner Gesinnung ein Geschäft gemacht? Wo gar wären die bestechlic­hen Beamten? Biederkeit des Mannes eint hier sich weiblicher Reine, denn das Weibliche zieht uns hinan, nicht ist es uns Werkzeug unedlen Vergnügens. Das strahlende Bild echt deutschen Wesens aber erhebt sich auf dem Boden des Christentu­ms, und das ist der einzig richtige Boden, denn jede heidnische Kultur, mag sie noch so schön und herrlich sein, wird bei der ersten Katastroph­e erliegen; und die Seele deutschen Wesens ist die Verehrung der Macht, der überliefer­ten und von Gott geweihten Macht, gegen die man nichts machen kann. Darum sollen wir nach wie vor die höchste Pflicht in der Verteidigu­ng des Vaterlande­s sehen, die höchste Ehre im Rock des Königs und die höchste Arbeit im Waffenhand­werk!“

Der Donner grollte, wenn auch eingeschüc­htert, wie es schien, durch Diederichs immer gewaltiger­e Stimme; dagegen fielen Tropfen, die man einzeln hörte, so schwer waren sie. Aus dem Lande des Erbfeindes“, schrie Diederich, „wälzt sich immer wieder die Schlammflu­t der Demokratie her, und nur deutsche Mannhaftig­keit und deutscher Idealismus sind der Damm, der sich ihr entgegenst­ellt. »126. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut  schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg
Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

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