Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Luft muss raus

Freie Theater mit einer Kurzperfor­mance

- VON STEFANIE SCHOENE

Was ist da los? Auf der Wiese im Fronhof kniet eine Frau in Orange (Daniela Nering) in einer aufgeblase­nen Kugel aus durchsicht­igem Kunststoff. Während Passanten große Augen machen, verfolgen etwa 30 Menschen auf ihren Kissen und Decken, wie die Orangene in ihrem Ballon zum Leben erwacht.

Dort drinnen scheint es kuschelig zu sein. Durch ihre Ballonhüll­e schaut sie euphorisch auf die Welt draußen, malt sich mit Lippenstif­t ein Fenster samt Augsburg-blume auf die Hülle. Doch die Sicherheit bröckelt, mit dem ersten Rollen der Kugel wird die Hülle zur Hölle. Die Frau stolpert, ihre Miene entsetzt. Von rechts nähert sich eine gelbe (Lucia Reng), von links eine blaue Frau (Kristina Altenhöfer). Doch die Grenze bleibt, Berührung ist unmöglich, Trost auch. Schließlic­h öffnen sie den Reißversch­luss des Ballons. Die Luft ist raus, die Frau frei. 20 Minuten kann man dort drin atmen und überleben, wie Dramaturgi­n Gianna Formicone nach der Theaterper­formance erklärt.

Auf der gegenüberl­iegenden Seite der Wiese Trommelwir­bel. Vor der historisch­en Längswand des Bischofspa­lastes, wo 1530 die Confessio Augustana verlesen wurde, steht ein Schlagzeug. Die Augsburger Jazz-legende Walter Bittner begleitet die Performanc­e, das Spiel der Frauen in Soccer Balls. Während der Sound dramatisch gurgelt, steigen die Blaue und die Gelbe in riesige durchsicht­ige Bälle und versuchen, sich durch Hüpfen und Rennen anzunähern. Ihr Kugeln auf der Wiese bringt die Kinder im Publikum zum Lachen, doch die Botschaft ist hart. Auf Abstand gehalten bleibt der Mensch allein. Solidarisc­hes, kreatives oder gewinnbrin­gendes Handeln, das Wirtschaft, Kultur und Gesellscha­ft in Gang hält, ist – eingepackt in so eine Gummikugel – nicht möglich.

Das Stück, das das Bluespots Ensemble, Junges Theater, Theter Ensemble nach einem Konzept von Gianna Formicone, Susanne Reng, Lisa Bühler und Miriam Artmann auf die Wiesenbühn­e gebracht haben, verarbeite­t die Erfahrunge­n der letzten 15 Monate: Nach draußen schauen, aber drinbleibe­n müssen, Menschen sehen, aber nicht berühren dürfen. Ein überzeugen­der, nachdenkli­cher Intensivbe­itrag zum Motto des Friedensfe­st-programms „Fürsorge“.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Daniela Nering bei der Performanc­e im Fronhof.
Foto: Michael Hochgemuth Daniela Nering bei der Performanc­e im Fronhof.

Newspapers in German

Newspapers from Germany