Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Corona impfung: Eltern sind verunsiche­rt

In Augsburger Kinderarzt­praxen dominiert bei Beratungsg­esprächen gerade ein Thema: Sollen Jugendlich­e immunisier­t werden? Doch einfache Antworten haben auch die Medizineri­nnen und Mediziner nicht

- VON ANDREA WENZEL

Täglich um die zehn Beratungsg­espräche zur Corona-impfung führt Kinder- und Jugendarzt Dr. Johannes Weigel momentan in seiner Praxis in der Innenstadt. Die Nachfrage zum Thema sei groß, sagt er. Auch andere Kinder- und Jugendärzt­e in Augsburg und der Region sind mit dem Thema vertraut: „Die Eltern befinden sich in einem Zwiespalt zwischen der Frage nach dem Risiko durch die Krankheit und einem möglichen Risiko durch den Impfstoff“, fasst Dr. Christian Voigt aus Stadtberge­n zusammen. Väter und Mütter suchten nach Orientieru­ng, nur wenige kämen bereits mit dem festen Entschluss, ihr Kind gegen Covid impfen zu lassen. Voigt betont, dass man Eltern „offen“beraten würde. Einfach sei die Entscheidu­ng für sie und die Jugendlich­en sicher nicht.

„Die häufigste und fast einzige Frage, die ich gestellt bekomme ist: Wie stehen Sie zur Impfung?“, erzählt Weigel. Doch eine pauschale Antwort könne er nicht geben. Ob eine Impfung bei Jugendlich­en ab 12 Jahren – für jüngere Kinder ist der Impfstoff nicht zugelassen – sinnvoll ist, müsse im Einzelfall entschiede­n werden. Auch, weil die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) – ein unabhängig­es Expertengr­emium, das sich mit Schutzimpf­ungen befasst – derzeit keine pauschale Empfehlung für alle Kinder gibt, sondern nur für jene mit besonderen Risiken. „Die Stiko hat uns Ärzten hier den Freiraum für eine individuel­le Beratung gelassen und diesen müssen wir jetzt nutzen“, so die Pferseer Kinderärzt­in Dr. Anke Steuerer zu den Vorgaben. Damit handle es sich nicht um eine „0815-Beratung“, wie Steuerer sagt. Ein Gespräch mit den Eltern und vor allem auch dem Jugendlich­en brauche Zeit. Manchmal viel Zeit. Das mache sich auch im Praxisabla­uf bemerkbar.

Wichtig ist allen drei Experten, dass neben den rein medizinisc­hen Erfahrunge­n auch die Jugendlich­en selbst zu Wort kommen. „Viele sind durch Corona sehr belastet“, schildert Weigel seine Eindrücke aus dem Praxisallt­ag. Manche hätten Sorge, sich zu infizieren, andere wollen endlich wieder uneingesch­ränkt mit Freunden feiern. Dazu gibt es weitere indirekte Coronafolg­en: „Viele Kinder haben in den Lockdowns Essstörung­en entwickelt“, merkt Voigt an und Steuerer sagt: „Die psychosozi­alen Schäden sind enorm.“Kinder hätten während der Lockdowns ihre Freunde verloren und sich stark zurückgezo­gen. Andere lebten mit der ständigen Angst, der Corona-schnelltes­t in der Schule könnte positiv sein. „Ich habe Eltern in der Sprechstun­de, die zu mir sagen, ich hätte gerne mein Kind zurück, wie es vor Corona war.“

In solchen Fällen tendiere sie dazu, die Corona-impfung zu empfehlen. Die psychosozi­alen Schäden seien hier aus ihrer Sicht größer, als das Risiko einer Impfung. Ähnlich bewerten die Situation auch ihre Kollegen. „Ich werbe nicht aktiv für die Impfung, weil es eben eine individuel­le Abwägung braucht. Aber in diesen Fällen ist eine Impfung sicher sinnvoll“, so Voigt. Er und auch Weigel berichten, dass oft auch die Jugendlich­en selbst gerne geimpft werden wollen, um sich sicherer und wieder freier zu fühlen. „Die Meinung der Jugendlich­en ist aus genannten Gründen für mich daher auch sehr wichtig“, so Weigel.

Noch sei die Zahl an Beratungsg­esprächen größer, als jene an Impftermin­en, so die Ärzte. Die Stadt Augsburg, die im Impfzentru­m und mit ihre mobilen Teams in den Stadtteile­n ebenfalls Immunisier­ungen für Kinder und Jugendlich­e ab 12 Jahren anbietet, hat erste Zahlen aus ihrem Zuständigk­eitsbereic­h. Bislang hätten dort 3056 Kinder und Jugendlich­e eine erste Spritze gegen Covid erhalten, berichtet Dominicus Sießmeir, Verwaltung­sleiter bei Bäuerle Ambulanz, die das Impfzentru­m betreibt. 1316 davon sind vollständi­g geimpft. Allerdings sei in der Datei generell die Altersgrup­pe „unter 20 Jahren“erfasst. Wie viele Jugendlich­e zwischen 12 und 17 Jahren unter den Geimpften seien, ließe sich nicht sagen.

Kinderarzt Voigt glaubt einen Grund zu kennen, warum die Impfzahlen in dieser Altersgrup­pe derzeit nur langsam steigen: „Noch haben wir eine niedrige Inzidenz, haben in der Schule getestet, und das vermittelt eine gewisse Sicherheit. Das Thema Impfen steht da bei manchen nicht an oberster Stelle.“Erst wenn im Herbst wieder erste Quarantäne­fälle aufkommen und die Zahlen steigen, werde das Thema verstärkt in den Mittelpunk­t rücken, glaubt Voigt – und blickt mit Sorge auf das, was kommen könnte.

Er und auch die Kollegen gehen davon aus, dass die Zahl infizierte­r Kinder ab Herbst deutlich steigen wird, schwere Verläufe nicht ausgeschlo­ssen. Auch die Häufigkeit von Long Covid bei Jugendlich­en könnte zum Problem werden. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hatte zuletzt angekündig­t, nicht zuletzt deshalb ab September Impfangebo­te direkt an Schulen machen zu wollen.

Weil Kinder aus seiner Sicht ab Herbst zum Pandemiege­schehen beitragen werden, wird Voigt demnächst an einem Treffen mit Bildungsbü­rgermeiste­rin Martina Wild, dem Gesundheit­samt sowie Vertretern von Schulen, Kindergärt­en und Kitas teilnehmen. Dann gehe es auch um das Thema soziale Verantwort­ung. Alle Erwachsene­n sollten sich impfen lassen. Das findet auch seine Kollegin Steuerer: „Bitte liebe Eltern, lasst Euch impfen, für Eure Kinder“, bittet auch sie. Je mehr Erwachsene geimpft seien, umso besser – vor allem für jene, die unter 12 Jahre alt sind und sich gar nicht schützen können. Es dürfe nicht sein, dass Kinder wieder „eingesperr­t“werden müssten, wenn es andere Optionen gibt. „Wir haben einen unfassbar guten Impfstoff und diese scharfe Waffe sollten wir Erwachsene­n nutzen“, sagt sie. Deshalb will sie in ihrer Sprechstun­de weiter den Fokus nicht nur auf die Impfberatu­ng für Jugendlich­e legen, sondern vor allem Erwachsene animieren, sich immunisier­en zu lassen.

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Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild) Eltern sind verunsiche­rt, ob sie ihre jugendlich­en Kinder gegen das Coronaviru­s impfen lassen sollen oder nicht. In den Augsbur ger Kinderarzt­praxen ist das gerade ein heißes Thema.

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