Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Corona impfung: Eltern sind verunsichert
In Augsburger Kinderarztpraxen dominiert bei Beratungsgesprächen gerade ein Thema: Sollen Jugendliche immunisiert werden? Doch einfache Antworten haben auch die Medizinerinnen und Mediziner nicht
Täglich um die zehn Beratungsgespräche zur Corona-impfung führt Kinder- und Jugendarzt Dr. Johannes Weigel momentan in seiner Praxis in der Innenstadt. Die Nachfrage zum Thema sei groß, sagt er. Auch andere Kinder- und Jugendärzte in Augsburg und der Region sind mit dem Thema vertraut: „Die Eltern befinden sich in einem Zwiespalt zwischen der Frage nach dem Risiko durch die Krankheit und einem möglichen Risiko durch den Impfstoff“, fasst Dr. Christian Voigt aus Stadtbergen zusammen. Väter und Mütter suchten nach Orientierung, nur wenige kämen bereits mit dem festen Entschluss, ihr Kind gegen Covid impfen zu lassen. Voigt betont, dass man Eltern „offen“beraten würde. Einfach sei die Entscheidung für sie und die Jugendlichen sicher nicht.
„Die häufigste und fast einzige Frage, die ich gestellt bekomme ist: Wie stehen Sie zur Impfung?“, erzählt Weigel. Doch eine pauschale Antwort könne er nicht geben. Ob eine Impfung bei Jugendlichen ab 12 Jahren – für jüngere Kinder ist der Impfstoff nicht zugelassen – sinnvoll ist, müsse im Einzelfall entschieden werden. Auch, weil die Ständige Impfkommission (Stiko) – ein unabhängiges Expertengremium, das sich mit Schutzimpfungen befasst – derzeit keine pauschale Empfehlung für alle Kinder gibt, sondern nur für jene mit besonderen Risiken. „Die Stiko hat uns Ärzten hier den Freiraum für eine individuelle Beratung gelassen und diesen müssen wir jetzt nutzen“, so die Pferseer Kinderärztin Dr. Anke Steuerer zu den Vorgaben. Damit handle es sich nicht um eine „0815-Beratung“, wie Steuerer sagt. Ein Gespräch mit den Eltern und vor allem auch dem Jugendlichen brauche Zeit. Manchmal viel Zeit. Das mache sich auch im Praxisablauf bemerkbar.
Wichtig ist allen drei Experten, dass neben den rein medizinischen Erfahrungen auch die Jugendlichen selbst zu Wort kommen. „Viele sind durch Corona sehr belastet“, schildert Weigel seine Eindrücke aus dem Praxisalltag. Manche hätten Sorge, sich zu infizieren, andere wollen endlich wieder uneingeschränkt mit Freunden feiern. Dazu gibt es weitere indirekte Coronafolgen: „Viele Kinder haben in den Lockdowns Essstörungen entwickelt“, merkt Voigt an und Steuerer sagt: „Die psychosozialen Schäden sind enorm.“Kinder hätten während der Lockdowns ihre Freunde verloren und sich stark zurückgezogen. Andere lebten mit der ständigen Angst, der Corona-schnelltest in der Schule könnte positiv sein. „Ich habe Eltern in der Sprechstunde, die zu mir sagen, ich hätte gerne mein Kind zurück, wie es vor Corona war.“
In solchen Fällen tendiere sie dazu, die Corona-impfung zu empfehlen. Die psychosozialen Schäden seien hier aus ihrer Sicht größer, als das Risiko einer Impfung. Ähnlich bewerten die Situation auch ihre Kollegen. „Ich werbe nicht aktiv für die Impfung, weil es eben eine individuelle Abwägung braucht. Aber in diesen Fällen ist eine Impfung sicher sinnvoll“, so Voigt. Er und auch Weigel berichten, dass oft auch die Jugendlichen selbst gerne geimpft werden wollen, um sich sicherer und wieder freier zu fühlen. „Die Meinung der Jugendlichen ist aus genannten Gründen für mich daher auch sehr wichtig“, so Weigel.
Noch sei die Zahl an Beratungsgesprächen größer, als jene an Impfterminen, so die Ärzte. Die Stadt Augsburg, die im Impfzentrum und mit ihre mobilen Teams in den Stadtteilen ebenfalls Immunisierungen für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren anbietet, hat erste Zahlen aus ihrem Zuständigkeitsbereich. Bislang hätten dort 3056 Kinder und Jugendliche eine erste Spritze gegen Covid erhalten, berichtet Dominicus Sießmeir, Verwaltungsleiter bei Bäuerle Ambulanz, die das Impfzentrum betreibt. 1316 davon sind vollständig geimpft. Allerdings sei in der Datei generell die Altersgruppe „unter 20 Jahren“erfasst. Wie viele Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren unter den Geimpften seien, ließe sich nicht sagen.
Kinderarzt Voigt glaubt einen Grund zu kennen, warum die Impfzahlen in dieser Altersgruppe derzeit nur langsam steigen: „Noch haben wir eine niedrige Inzidenz, haben in der Schule getestet, und das vermittelt eine gewisse Sicherheit. Das Thema Impfen steht da bei manchen nicht an oberster Stelle.“Erst wenn im Herbst wieder erste Quarantänefälle aufkommen und die Zahlen steigen, werde das Thema verstärkt in den Mittelpunkt rücken, glaubt Voigt – und blickt mit Sorge auf das, was kommen könnte.
Er und auch die Kollegen gehen davon aus, dass die Zahl infizierter Kinder ab Herbst deutlich steigen wird, schwere Verläufe nicht ausgeschlossen. Auch die Häufigkeit von Long Covid bei Jugendlichen könnte zum Problem werden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte zuletzt angekündigt, nicht zuletzt deshalb ab September Impfangebote direkt an Schulen machen zu wollen.
Weil Kinder aus seiner Sicht ab Herbst zum Pandemiegeschehen beitragen werden, wird Voigt demnächst an einem Treffen mit Bildungsbürgermeisterin Martina Wild, dem Gesundheitsamt sowie Vertretern von Schulen, Kindergärten und Kitas teilnehmen. Dann gehe es auch um das Thema soziale Verantwortung. Alle Erwachsenen sollten sich impfen lassen. Das findet auch seine Kollegin Steuerer: „Bitte liebe Eltern, lasst Euch impfen, für Eure Kinder“, bittet auch sie. Je mehr Erwachsene geimpft seien, umso besser – vor allem für jene, die unter 12 Jahre alt sind und sich gar nicht schützen können. Es dürfe nicht sein, dass Kinder wieder „eingesperrt“werden müssten, wenn es andere Optionen gibt. „Wir haben einen unfassbar guten Impfstoff und diese scharfe Waffe sollten wir Erwachsenen nutzen“, sagt sie. Deshalb will sie in ihrer Sprechstunde weiter den Fokus nicht nur auf die Impfberatung für Jugendliche legen, sondern vor allem Erwachsene animieren, sich immunisieren zu lassen.