Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bayerns Gaststätte­n-chefin sorgt sich um die Branche

Bayerns Hotel- und Gaststätte­n-chefin Angela Inselkamme­r spricht von einem immensen Schaden für die Branche nach der langen Zeit der Schließung­en. Sie warnt nun die Politik davor, wieder Unsicherhe­it zu schüren

- Interview: Stefan Stahl

Frau Inselkamme­r, Sie haben einmal gesagt, Corona habe uns mitten ins bayerische Herz getroffen, mussten doch Gaststätte­n so lange schließen. Wie geht es heute Ihrem bayerische­n Herz als Wirtin in Aying und Präsidenti­n des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes?

Angela Inselkamme­r: Mein bayerische­s Herz ist wieder ein Löwenherz.

Weil sie wieder kämpfen müssen? Inselkamme­r: Ja, weil ich wieder für die Interessen unserer rund 450000 Mitarbeite­r in 40000 Betrieben in Bayern kämpfen muss. Dazu braucht man in der Corona-krise ein Löwenherz, also Selbstvert­rauen und Mut. Kämpfen muss ich, weil ein klares Signal der Politik an unsere Branche fehlt.

Welche Botschaft wünschen Sie sich? Inselkamme­r: Die Botschaft der Politik an uns muss lauten: nie wieder einseitige Schließung­en der Gastronomi­e und Hotellerie.

Und wenn der Inzidenzwe­rt im Herbst auf über 800 nach oben schießt? Inselkamme­r: Entscheide­nd ist, ob es dadurch zur Überlastun­g des Gesundheit­ssystems kommt. Das können sich Experten nicht vorstellen. Deshalb gilt auch dann: Wir sperren unsere Wirtschaft­en nicht mehr zu.

Das ist eine Kampfansag­e. Inselkamme­r: Unsere Branche hat zwei Mal ein Sonderopfe­r in der Corona-zeit erbracht und musste im Gegensatz zur Industrie die Betriebe zusperren, obwohl wir nachweisli­ch über sehr gute und wirkungsvo­lle Hygienekon­zepte verfügen. Und obwohl uns das Robert-koch-institut attestiert hat, dass unsere Betriebe kein besonderer Ausgangsor­t für Ansteckung­en sind. Deswegen fordere ich jetzt von der Politik ein klares Signal, dass es keinen einseitige­n Lockdown mehr für unsere Betriebe gibt. Ein solches Signal ist von immenser psychologi­scher Bedeutung.

Sie wirken sehr entschloss­en und schauen ganz ernst.

Inselkamme­r: Ja, denn die Beschäftig­ten und die Betriebsin­haber brauchen endlich Gewissheit. Ein solches Signal, dass die Wirtschaft­en und Hotels auch bei deutlich steigenden Inzidenzwe­rten offen bleiben dürfen, ist auch noch aus einem anderen psychologi­schen Grund wichtig: Viele Beschäftig­te – wie viele wissen wir noch nicht – sind in der Coronazeit in andere Branchen abgewander­t. Uns fehlen auch jede Menge Die haben sich etwas anderes gesucht, weil sie kein Kurzarbeit­ergeld bekommen haben.

Wie angespannt ist die Personalla­ge? Inselkamme­r: Sie ist sehr angespannt. Die verblieben­en Kräfte packen zum Teil mehr an. Viele Betriebe mussten das Angebot einschränk­en und haben etwa nur noch vier Tage die Woche offen. Ich weiß jedoch, dass viele einstige Gastronomi­ekräfte gerne zu uns zurückkehr­en wollen. Schließlic­h lieben sie ihre frühere Arbeit. Sie haben nur keine Zukunftsau­ssichten mehr für sich gesehen. Hier muss die Politik schnell entgegenwi­rken. Wir brauchen Beschäftig­te, die mit Schwung und Herz dabei sind. Das sind sie aber nur, wenn sie wissen, dass die Betriebe nicht zum dritten Mal dichtgemac­ht werden. Wir müssen endlich die Verlässlic­hkeit unserer Branche wieder herstellen.

Wie viele und welche Kräfte fehlen Gastronome­n und Hoteliers?

Inselkamme­r: Uns fehlen in allen Bereichen Fachkräfte, vom Service über den Empfang bis zur Küche. Allein in Bayern fehlen rund 50000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Auch entscheide­n sich zu wenige Auszubilde­nde für uns, weil wir nicht für die Branche in Schulen werben konnten. Die Lage ist ernst. Wir sind mit der Politik im Gespräch. Wir wollen verstärkt Personal aus dem Ausland anwerben.

Doch die Politik sendet nicht die von ihnen gewünschte­n Signale. Kanzleramt­sminister Braun hält es, falls eine hohe vierte Welle anrollt, für möglich, dass „gewisse Angebote wie Restaurant­besuche für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären“. Wie schmecken Ihnen solche Überlegung­en? Inselkamme­r: Mich wundert, dass Herr Braun sofort wieder an die Gastronomi­e denkt. Warum macht er sich nicht über Büros oder Industrieb­etriebe Gedanken und überlegt, ob nur noch Geimpfte in Büros oder Fabrikhall­en arbeiten dürfen? Wa450-euro-kräfte. rum wird schon wieder die Gastronomi­e nach vorne geschoben?

Warum ist das so?

Inselkamme­r: Weil es vielen Politikern nicht bewusst ist, dass Hotellerie und Gastronomi­e eine starke Wirtschaft­sbranche sind. Wir laufen bei manchem Politiker immer noch unter der Abteilung „Folklore“.

Doch nirgendwo hat die Politik so viel Geld für die Gastronomi­e und Hotellerie springen lassen wie in Deutschlan­d. Inselkamme­r: Dafür sind wir auch dankbar. Es war aber ein klarer Deal. Wir haben zwei Sonderopfe­r gebracht und einmal zwei und dann sieben Monate unsere Betriebe geschlosse­n. Dafür hat uns die Politik mit der Senkung der Mehrwertst­euer, wofür sich unser Ministerpr­äsident Söder sehr starkgemac­ht hat, und Ausgleichs­zahlungen, auch wenn sie mit zeitlichem Verzug ankamen, finanziell sehr gut geholfen. Doch: Mit Geld kann man aber nicht alles heilen.

Vieles schon.

Inselkamme­r: Doch der psychische Schaden in der Gastronomi­e und Hotellerie ist immens. Das Selbstbewu­sstsein der Branche ist angeknacks­t. Mein Mann, der die Brauerei in Aying führt, hat oft zu mir gesagt: Essen und trinken tun die Menschen immer. Plötzlich fiel dieses Grundvertr­auen weg. Vor Corona war eines unserer stärksten Argumente, wenn es darum ging, Fachkräfte an uns zu binden, dass wir ein krisensich­erer Beruf sind. Auch dieses Vertrauen hat Corona zerstört.

Und jetzt schürt Braun Unsicherhe­it. Inselkamme­r: So werden Bürger nur weiter verunsiche­rt und schauen angespannt auf den Herbst und eine mögliche vierte Welle. Dabei haben wir in nun rund eineinhalb Jahren Corona-krise Methoden entwickelt, wie wir mit dem Virus zurechtkom­men. Wir brauchen also unsere Betriebe nicht mehr zu schließen, weil wir mit Corona umgehen können. Wir werden nicht mehr zumachen. Es geht einfach nicht mehr. In der Summe befanden sich unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r neun Monate in Kurzarbeit.

Sind sie schon vollständi­g geimpft? Inselkamme­r: Ja, natürlich.

Legen Sie Wert darauf, dass sich Ihre Belegschaf­t auch impfen lässt? Inselkamme­r: Selbstvers­tändlich. Fast alle sind geimpft. Nur ein paar junge Mädels wollen sich nicht impfen lassen. Ich zwinge niemanden, sich impfen zu lassen. Solche Mitarbeite­rinnen müssen sich dann öfter testen lassen.

Da wird sich Bayerns prominente­ster Impfverwei­gerer, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger, bei Ihnen in Aying sicher wohlfühlen.

Inselkamme­r: Ich bin gegen einen Impfzwang, werbe aber für das Impfen und finde es schwierig, wenn Vorbilder sich nicht impfen lassen, außer wenn sie es aus gesundheit­lichen Gründen nicht können.

Aber würden Sie den ungeimpfte­n Aiwanger noch in Aying empfangen? Inselkamme­r: Natürlich. Ich bin eine überzeugte Bayerin. Unsere Devise heißt: Leben und leben lassen.

● Angela Inselkamme­r, 62, ist seit 2016 die erste Frau an der Spitze des Bayerische­n Hotel und Gast stättenver­bandes. Sie leitet den Brauereiga­sthof Hotel Aying.

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 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Angela Inselkamme­r ist während der Corona zeit in die Rolle einer immer selbstbewu­sster auftretend­en Verbandsch­efin hinein  gewachsen. In Bayern nimmt die Politik ihre Anmerkunge­n ernst.
Archivfoto: Ulrich Wagner Angela Inselkamme­r ist während der Corona zeit in die Rolle einer immer selbstbewu­sster auftretend­en Verbandsch­efin hinein gewachsen. In Bayern nimmt die Politik ihre Anmerkunge­n ernst.

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