Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Bayerns Gaststätten-chefin sorgt sich um die Branche
Bayerns Hotel- und Gaststätten-chefin Angela Inselkammer spricht von einem immensen Schaden für die Branche nach der langen Zeit der Schließungen. Sie warnt nun die Politik davor, wieder Unsicherheit zu schüren
Frau Inselkammer, Sie haben einmal gesagt, Corona habe uns mitten ins bayerische Herz getroffen, mussten doch Gaststätten so lange schließen. Wie geht es heute Ihrem bayerischen Herz als Wirtin in Aying und Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes?
Angela Inselkammer: Mein bayerisches Herz ist wieder ein Löwenherz.
Weil sie wieder kämpfen müssen? Inselkammer: Ja, weil ich wieder für die Interessen unserer rund 450000 Mitarbeiter in 40000 Betrieben in Bayern kämpfen muss. Dazu braucht man in der Corona-krise ein Löwenherz, also Selbstvertrauen und Mut. Kämpfen muss ich, weil ein klares Signal der Politik an unsere Branche fehlt.
Welche Botschaft wünschen Sie sich? Inselkammer: Die Botschaft der Politik an uns muss lauten: nie wieder einseitige Schließungen der Gastronomie und Hotellerie.
Und wenn der Inzidenzwert im Herbst auf über 800 nach oben schießt? Inselkammer: Entscheidend ist, ob es dadurch zur Überlastung des Gesundheitssystems kommt. Das können sich Experten nicht vorstellen. Deshalb gilt auch dann: Wir sperren unsere Wirtschaften nicht mehr zu.
Das ist eine Kampfansage. Inselkammer: Unsere Branche hat zwei Mal ein Sonderopfer in der Corona-zeit erbracht und musste im Gegensatz zur Industrie die Betriebe zusperren, obwohl wir nachweislich über sehr gute und wirkungsvolle Hygienekonzepte verfügen. Und obwohl uns das Robert-koch-institut attestiert hat, dass unsere Betriebe kein besonderer Ausgangsort für Ansteckungen sind. Deswegen fordere ich jetzt von der Politik ein klares Signal, dass es keinen einseitigen Lockdown mehr für unsere Betriebe gibt. Ein solches Signal ist von immenser psychologischer Bedeutung.
Sie wirken sehr entschlossen und schauen ganz ernst.
Inselkammer: Ja, denn die Beschäftigten und die Betriebsinhaber brauchen endlich Gewissheit. Ein solches Signal, dass die Wirtschaften und Hotels auch bei deutlich steigenden Inzidenzwerten offen bleiben dürfen, ist auch noch aus einem anderen psychologischen Grund wichtig: Viele Beschäftigte – wie viele wissen wir noch nicht – sind in der Coronazeit in andere Branchen abgewandert. Uns fehlen auch jede Menge Die haben sich etwas anderes gesucht, weil sie kein Kurzarbeitergeld bekommen haben.
Wie angespannt ist die Personallage? Inselkammer: Sie ist sehr angespannt. Die verbliebenen Kräfte packen zum Teil mehr an. Viele Betriebe mussten das Angebot einschränken und haben etwa nur noch vier Tage die Woche offen. Ich weiß jedoch, dass viele einstige Gastronomiekräfte gerne zu uns zurückkehren wollen. Schließlich lieben sie ihre frühere Arbeit. Sie haben nur keine Zukunftsaussichten mehr für sich gesehen. Hier muss die Politik schnell entgegenwirken. Wir brauchen Beschäftigte, die mit Schwung und Herz dabei sind. Das sind sie aber nur, wenn sie wissen, dass die Betriebe nicht zum dritten Mal dichtgemacht werden. Wir müssen endlich die Verlässlichkeit unserer Branche wieder herstellen.
Wie viele und welche Kräfte fehlen Gastronomen und Hoteliers?
Inselkammer: Uns fehlen in allen Bereichen Fachkräfte, vom Service über den Empfang bis zur Küche. Allein in Bayern fehlen rund 50000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch entscheiden sich zu wenige Auszubildende für uns, weil wir nicht für die Branche in Schulen werben konnten. Die Lage ist ernst. Wir sind mit der Politik im Gespräch. Wir wollen verstärkt Personal aus dem Ausland anwerben.
Doch die Politik sendet nicht die von ihnen gewünschten Signale. Kanzleramtsminister Braun hält es, falls eine hohe vierte Welle anrollt, für möglich, dass „gewisse Angebote wie Restaurantbesuche für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären“. Wie schmecken Ihnen solche Überlegungen? Inselkammer: Mich wundert, dass Herr Braun sofort wieder an die Gastronomie denkt. Warum macht er sich nicht über Büros oder Industriebetriebe Gedanken und überlegt, ob nur noch Geimpfte in Büros oder Fabrikhallen arbeiten dürfen? Wa450-euro-kräfte. rum wird schon wieder die Gastronomie nach vorne geschoben?
Warum ist das so?
Inselkammer: Weil es vielen Politikern nicht bewusst ist, dass Hotellerie und Gastronomie eine starke Wirtschaftsbranche sind. Wir laufen bei manchem Politiker immer noch unter der Abteilung „Folklore“.
Doch nirgendwo hat die Politik so viel Geld für die Gastronomie und Hotellerie springen lassen wie in Deutschland. Inselkammer: Dafür sind wir auch dankbar. Es war aber ein klarer Deal. Wir haben zwei Sonderopfer gebracht und einmal zwei und dann sieben Monate unsere Betriebe geschlossen. Dafür hat uns die Politik mit der Senkung der Mehrwertsteuer, wofür sich unser Ministerpräsident Söder sehr starkgemacht hat, und Ausgleichszahlungen, auch wenn sie mit zeitlichem Verzug ankamen, finanziell sehr gut geholfen. Doch: Mit Geld kann man aber nicht alles heilen.
Vieles schon.
Inselkammer: Doch der psychische Schaden in der Gastronomie und Hotellerie ist immens. Das Selbstbewusstsein der Branche ist angeknackst. Mein Mann, der die Brauerei in Aying führt, hat oft zu mir gesagt: Essen und trinken tun die Menschen immer. Plötzlich fiel dieses Grundvertrauen weg. Vor Corona war eines unserer stärksten Argumente, wenn es darum ging, Fachkräfte an uns zu binden, dass wir ein krisensicherer Beruf sind. Auch dieses Vertrauen hat Corona zerstört.
Und jetzt schürt Braun Unsicherheit. Inselkammer: So werden Bürger nur weiter verunsichert und schauen angespannt auf den Herbst und eine mögliche vierte Welle. Dabei haben wir in nun rund eineinhalb Jahren Corona-krise Methoden entwickelt, wie wir mit dem Virus zurechtkommen. Wir brauchen also unsere Betriebe nicht mehr zu schließen, weil wir mit Corona umgehen können. Wir werden nicht mehr zumachen. Es geht einfach nicht mehr. In der Summe befanden sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neun Monate in Kurzarbeit.
Sind sie schon vollständig geimpft? Inselkammer: Ja, natürlich.
Legen Sie Wert darauf, dass sich Ihre Belegschaft auch impfen lässt? Inselkammer: Selbstverständlich. Fast alle sind geimpft. Nur ein paar junge Mädels wollen sich nicht impfen lassen. Ich zwinge niemanden, sich impfen zu lassen. Solche Mitarbeiterinnen müssen sich dann öfter testen lassen.
Da wird sich Bayerns prominentester Impfverweigerer, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, bei Ihnen in Aying sicher wohlfühlen.
Inselkammer: Ich bin gegen einen Impfzwang, werbe aber für das Impfen und finde es schwierig, wenn Vorbilder sich nicht impfen lassen, außer wenn sie es aus gesundheitlichen Gründen nicht können.
Aber würden Sie den ungeimpften Aiwanger noch in Aying empfangen? Inselkammer: Natürlich. Ich bin eine überzeugte Bayerin. Unsere Devise heißt: Leben und leben lassen.
● Angela Inselkammer, 62, ist seit 2016 die erste Frau an der Spitze des Bayerischen Hotel und Gast stättenverbandes. Sie leitet den Brauereigasthof Hotel Aying.