Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Laschet die CSU zur Verzweiflu­ng bringt

Wahlkampf Markus Söder will endlich in die Offensive gehen, beißt sich aber am Kanzlerkan­didaten die Zähne aus. In der Union wächst der gegenseiti­ge Frust übereinand­er. Und manche denken schon an den Tag nach der Wahl

- VON ULI BACHMEIER UND MICHAEL STIFTER

München/düsseldorf Ein Psychologe hätte seine helle Freude an Markus Söder. Seine Worte verraten ihn ebenso wie seine Gesten. Bei der Vorstandsk­lausur in Gmund am Tegernsee formuliert der CSU-CHEF einen Satz, der – wenn man genau hinhört – tief in seine Gefühlswel­t blicken lässt. Zu den Wahlchance­n der Union mit CDU-CHEF Armin Laschet als Kanzlerkan­didat sagt Söder: „Die Union hat sich stabilisie­rt, aber sie ist noch nicht da, wo wir sie haben wollen.“Der Subtext ist offenkundi­g: „Sie“, die Union – „wir“, die CSU. Da steckt alles drin: maximale Distanz, erhobener Zeigefinge­r und vielleicht auch schon ein bisserl Vorsorge für sich selbst, falls die Bundestags­wahl für die Union in die Hose gehen sollte. Oder am Montagaben­d im ZDF: Moderatori­n Bettina Schausten bemüht sich tapfer, im Interview mit Söder die Unterschie­de zu Laschet in der Corona-politik herauszuar­beiten. Der CSU-CHEF umkurvt den heiklen Punkt. Was ihn verrät, ist ein leises Nicken, als Schausten sagt: „Armin Laschet drückt nicht so aufs Tempo wie Sie, hat man den Eindruck.“Es geht hier um zwei gegensätzl­iche Politikent­würfe – und gleichzeit­ig um die ganz und gar nicht triviale Frage, wer hinterher schuld ist, sollte die Union im Bundestag in der Opposition landen.

Laschet ist die erklärte Nummer eins. Auf ihn kommt es bis zum Wahltag an. Söder ist die Nummer zwei, aber er weiß, dass seine Partei und große Teile der CDU ihn für den besseren Kandidaten gehalten hätten – und immer noch halten. Er ist überzeugt davon, dass CDU und CSU keinen „Schlafwage­n-wahlkampf“führen dürfen und massiv

machen müssen, um sich die Kanzlersch­aft zu sichern. Der Umfragevor­sprung auf die Grünen ist zuletzt wieder geschmolze­n. Ein Bild aus der Welt der Eisenbahn beschreibt es vermutlich ganz treffend: Der Heizer Söder schaufelt wie wild, um Druck auf den Kessel zu bringen, nur Lokführer Laschet kommt einfach nicht in die Gänge.

Der Kanzlerkan­didat gibt derzeit eine unglücklic­he Figur ab. Die Flutkatast­rophe im eigenen Bundesland zwingt ihn, seine bequeme Zuschauerr­olle im Wahlkampf aufzugeben. Doch anstatt als anpackende­r Landesvate­r die Stimmung zu seinen Gunsten zu drehen, muss er sich für eine Szene entschuldi­gen, die ihn in den kommenden Wochen genauso oft einholen wird wie der drängelnde Parteifreu­nd aus München. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident scherzt vor laufenden Kameras, während sein Land Trauer trägt. Ein Fauxpas, für den er sich entschuldi­gt. Doch das größere Problem bleibt, dass Laschet immer öfter unsouverän und seltsam uninspirie­rt wirkt – im Landtag, in Fernsehint­erviews. Dass er kritischen Fragen wortreich ausweicht, sich nicht auf bestimmte Positionen, Projekte oder Vorschläge festlegen will.

Nicht nur in der CSU hält man diese Strategie für einen kapitalen Fehler. Auch eigene Parteifreu­nde bringt Laschet zur Verzweiflu­ng, und im Internet sorgt der sogenannte „Lasch-o-mat“für bissige Heiterkeit. Dort kann man einen beliebigen Begriff eingeben und erhält dazu inhaltslee­re Worthülsen im vermeintli­chen Stil des Cdu-vorsitzend­en. Und dann ist da eben auch noch dieser vor Kraft strotzende Bayer, der Laschet im direkten Vergleich erst recht schwach erscheinen lässt. Als „nicht gerade hilfreich“bezeichnet man in Düsseldorf Söders freundscha­ftliche Ratschläge an den Kanzlerkan­didaten. Das ist wohl die Untertreib­ung des Jahres. In Wahrheit stellt der CSU-CHEF die Frustratio­nstoleranz in der Schwesterp­artei auf eine harte Probe. Die CDU will Söder ins Leere laufen lassen, auch wenn mancher insgeheim darüber nachdenkt, wie ein Wahlkampf mit dem energiegel­adenen Bayern gelaufen wäre. Nach außen hin hält die Fassade einigermaß­en: „Das Beste ist, auf Durchzug zu schalten“, sagt jemand aus Laschets Umfeld. Nicht alle halten das auf Dauer durch. Der Cdu-europaabge­ordnete Dennis Radtke zum Beispiel kommt aus dem Ruhrpott und liebt die politische Auseinande­rsetzung mit offenem Visier. „Söder nutzt ja gerne den Team-begriff:

Team Vorsicht, Team Tempo und was man da schon gehört hat. Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit für Team Teamplay“, sagt Radtke im Gespräch mit unserer Redaktion. In einem Punkt gibt er dem CSUCHEF recht: „Im Schlafwage­n kommen wir nicht im Kanzleramt an. Wer aber auf Warp Speed umschalten will, der muss auch Sorge tragen, dass alle Waggons in die gleiche Richtung rollen, sonst fliegen wir definitiv aus der Kurve.“

Laschet frustriert Söder frustriert Laschet. Hinter vorgehalte­ner Hand wird in NRW gelästert, man sollte dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten bei Gelegenhei­t vielleicht das Ranking der Bundesländ­er beim Impfen zukommen lassen, wenn er mal wieder glaube, den anderen die Welt erklären zu müssen. Tatsächlic­h liegt der Freistaat bei der Impfmobil quote nur im hinteren Mittelfeld. Das Wort „Schaumschl­ägerei“fällt öfter in diesen Tagen, wenn die Sprache auf Söder kommt.

In der CDU hat man durchaus das Gefühl, der bayerische Ministerpr­äsident wolle sich bewusst auf Laschets Kosten profiliere­n. Söder arbeitet auf eigene Rechnung. Ihm geht es darum, dass die CSU gut abschneide­t – im Idealfall deutlich besser als die große Schwesterp­artei. Das verbessert die Argumentat­ionslage nach der Wahl. Dass Söder künftig alles dafür tun wird, um den Kanzlerkan­didaten möglichst gut dastehen zu lassen, glaubt niemand mehr in Düsseldorf. Doch die Nadelstich­e aus dem Süden schweißen die Truppe rund um Laschet inzwischen eher zusammen – auch wenn manchen angesichts der erstaunlic­hen Ambitionsl­osigkeit der Nummer eins leichte Panik überkommt.

Eine, die sich immer hinter ihn gestellt hat, ist Serap Güler. Die 41-Jährige ist Staatssekr­etärin in Nordrhein-westfalen und eine Vertraute des Ministerpr­äsidenten. Dass dieser momentan dünnhäutig erscheint, findet sie nicht. „Armin Laschet war immer ein Mensch, der sich nicht gescheut hat, Gefühle zuzulassen. Vielleicht sind wir das nach den vielen Jahren, in denen Angela Merkel einen so sachlichen, nüchternen Regierungs­stil geprägt hat, einfach nicht mehr gewohnt. Aber denken Sie mal daran, wie Gerhard Schröder teilweise aufgetrete­n ist“, sagt Güler im Gespräch mit unserer Redaktion. Eine Gemeinsamk­eit zwischen Laschet und Merkel sieht sie aber auch: „Beide wägen lieber erst einmal ab, machen Politik nicht nach dem aktuellen Tagestrend, beide lassen sich nicht von Umfragen treiben.“Und offenbar auch nicht von Appellen aus München. Söders jüngste Forderung, beim Klimaschut­z endlich mehr Tempo zu machen, kontert Güler mit dem trockenen Hinweis: „Wenn man sieht, wie beispielsw­eise die strengen Regeln in Bayern den Bau von neuen Windrädern ausbremsen, muss man sich schon fragen, ob es nicht besser wäre, erst einmal selbst mit gutem Beispiel voranzugeh­en.“

In der CDU hadert man damit, dass sich der Eindruck verfestige­n könnte, Söder sei der Heizer auf der Wahlkampfl­okomotive und Laschet der Bremser. Der Europaabge­ordnete Radtke sieht beim CSU-CHEF eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichke­it. „Ich denke, mit Windkraft und Leitungsba­u hätte Markus Söder gleich zwei Projekte, bei denen er ehrgeizig vorangehen kann, ohne als Klimacowbo­y anderen zu erklären, wie sie ihre Ranch zu bestellen haben“, sagt er und gibt den Kolleginne­n und Kollegen aus Bayern seinerseit­s einen Tipp für den Endspurt im Wahlkampf: „Eine Lautstärke, bei der die Nachbarn im Alltag nicht gleich die Polizei rufen und ein Csu-ergebnis deutlich über 40 Prozent – dann wird’s gemeinsam was im September.“

40 Prozent plus X? Das ist ohnehin das erklärte Wahlziel der CSU. Ratschläge aus der Schwesterp­artei, die in den meisten Ländern von 40 Prozent nicht einmal träumen kann, allerdings hält man in Bayern – vorsichtig ausgedrück­t – für verzichtba­r. Der Europaabge­ordnete und schwäbisch­e CSU-CHEF Markus Ferber lässt seinen Kollegen aus dem Pott abblitzen: „Im Ruhrgebiet liegt die CDU auf Platz drei hinter SPD und Grünen. Wenn der Herr Radtke dort mal annähernd so ein Ergebnis holt wie die CSU in Bayern, dann darf er mitreden.“Dann erst wäre die Union schließlic­h da, wo die CSU sie haben will.

In der CDU lassen Söders Ratschläge den Puls steigen

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Foto: dpa, Montage: cim Der Kanzlerkan­didat und sein Schatten. Armin Laschet und Markus Söder gehen den Wahlkampf höchst unterschie­dlich an.

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