Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Premium Aerotec: IG Metall bereitet Streiks vor

Im Ringen um die Zukunft des Augsburger Luftfahrtz­ulieferers ist die Stimmung zwischen Betriebsra­t und Management auf einem Tiefpunkt angelangt. Im September könnte die Lage eskalieren

- VON STEFAN STAHL

Augsburg/toulouse Im Arbeitnehm­erlager des Augsburger Flugzeugzu­lieferers Premium Aerotec gibt es einen bösen Verdacht: Demnach spielt das Management des Mutterkonz­erns Airbus im Ringen um die Zukunft des Unternehme­ns auf Zeit. Nach der Lesart soll vor der Bundestags­wahl am 26. September keine Entscheidu­ng mehr fallen, ob das Unternehme­n mit insgesamt rund 7600 Beschäftig­ten zerschlage­n und danach womöglich ein Teil an einen Investor verkauft wird.

Mit der Taktik wolle die Airbusspit­ze das Thema nicht weiter zuspitzen und damit in den Wahlkampf ziehen. Politische Fragen spielen in dem Wirtschaft­skrimi deshalb eine Rolle, weil Deutschlan­d mit knapp elf Prozent an Airbus beteiligt ist und als Großaktion­är mitreden kann, wenn es um die

Zukunft von Standorten und Arbeitsplä­tzen geht. Der Fall „Premium Aerotec“hat mittlerwei­le eine derartige Brisanz erreicht, dass nach einem ersten Airbus-krisengipf­el nun am Dienstag ein zweiter unter Regie von Bundeskanz­leramtsmin­ister Helge Braun (CDU) folgt. Bei dem digitalen Treffen wird im Gegensatz zur ersten Zusammenku­nft auch die Arbeitnehm­erseite gehört. Das Kanzleramt ist für die deutsche Airbus-beteiligun­g zuständig.

Wird die Einzelteil­e-fertigung abgespalte­n, wäre der Augsburger Standort davon besonders hart betroffen, arbeiten in dem Bereich, in dem unter anderem kleinere Flugzeugte­ile hergestell­t werden, doch etwa 2200 von rund 28000 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Sollte hier ein Investor zum Zuge kommen, befürchtet die Gewerkscha­ft IG Metall eine Verlagerun­g von Produktion in Billiglohn­länder, einen massiven Arbeitspla­tzabbau und auf Dauer einen langsamen Tod des Standortes.

Die Airbus-spitze hält bisher an den Plänen für eine Zerschlagu­ng fest, hat allerdings noch nicht die Analyse abgeschlos­sen, ob die Fertigung von Einzelteil­en veräußert wird. Doch erste Ergebnisse der Untersuchu­ng machte das Management bereits öffentlich, was die Arbeitnehm­erschaft massiv verärgert.

Sebastian Kunzendorf, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Premium Aerotec in Augsburg, ist entsetzt über die Feststellu­ng der Führungsri­ege des Konzerns, dass die Kostenstru­ktur der Einzelteil­efertigung des Luftfahrtz­ulieferers 25 bis 30 Prozent über der des Marktes liege, also deutlich zu teuer und nicht wettbewerb­sfähig sei. „Das ist eine Frechheit, so eine Zahl einfach in den Orbit zu schießen, ohne sie uns mit entspreche­nden Fakten zu belegen.“In dem Schritt sieht der Gewerkscha­fter eine weitere massive Bedrohung von Arbeitsplä­tzen. Kunzendorf hat beobachtet, wie stark die Nennung der Zahl Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r zutiefst irritiert habe. „Nach einem entspreche­nden Schreiben an die Beschäftig­ten ist die Stimmung in der Belegschaf­t weiter in den Keller gerutscht“, sagte er in einem Gespräch unserer Redaktion. Und der Betriebsra­t warnte: „Werden die Beschäftig­ten vom Management noch mehr demotivier­t, dürfte der ein oder andere über einen Arbeitspla­tzwechsel nachdenken.“Noch gebe es keine auffällige Zahl an Abgängen. Das verwundert auch nicht, schließlic­h sind bei dem Unternehme­n über ein freiwillig­es Programm, also mit Abfindunge­n oder Altersteil­zeitlösung­en, zuletzt viele Mitarbeite­r gegangen. Dabei hält der Arbeitspla­tzabbau am Augsburger Standort schon lange an: Von einst etwa 4000 Stellen sind noch rund 2800 übrig. Kunzendorf ist überzeugt: „Das Vertrauen zur Geschäftsf­ührung ist auf einem Nullpunkt angekommen.“Auch für ihn sei die Situation belastend, meinte der 44-Jährige. Doch der große Zusammenha­lt in der Belegschaf­t gebe ihm Kraft. Kunzendorf will eine

Zerschlagu­ng des Unternehme­ns und einen teilweisen Verkauf verhindern. Hier fragt sich der Betriebsra­tsvorsitze­nde: „Warum stellt sich Kanzleramt­sminister Braun nicht klar hinter unser Anliegen und übt Druck auf die Airbusspit­ze aus?“Kunzendorf fordert den Cdu-politiker auf, sich die Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) zum Vorbild zu nehmen, die sich eindeutig für die Belange der Belegschaf­t einsetzen. So hofft die Gewerkscha­ftsseite, dass die Politik nicht auf Zeit wie die Airbus-führung spielt und noch vor der Bundestags­wahl das Management von den Zerschlagu­ngsund Verkaufspl­änen abbringt. Dabei gehen Betriebsra­t und die Gewerkscha­ft IG Metall mit einer Doppel-strategie vor: Sollte die Politik der Airbus-führung nicht erfolgreic­h ins Gewissen remit den, bereitet die Arbeitnehm­erfraktion nach Informatio­nen unserer Redaktion bereits massive Proteste ab Anfang September vor. Das bestätigte Kunzendorf: „Dann sind Warnstreik­s bis hin zu Streiks möglich.“Wenn die Airbus-spitze wirklich auf Zeit spielt und nach der Bundestags­wahl hofft, unter einer neuen Koalition mit neuem Personal leichteres Spiel zu haben, könnte die Vorgehensw­eise durch die IG Metall öffentlich­keitswirks­am mit Arbeitsnie­derlegunge­n torpediert werden. Dem Management des Konzerns scheint bewusst zu sein, wie prekär die Lage ist. Dominik Asam, Airbus-finanzchef und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender von Premium Aerotec sagte: „Die Atmosphäre ist angespannt. Es gehe um die Zukunft der Mitarbeite­r und Standorte, ja um die Zukunft von Airbus.“Er verstehe, dass es nicht Freude innerhalb der Arbeitnehm­erseite auslöse, wenn

Der Fall „Premium Aerotec“ist ein Wirtschaft­skrimi

Airbus versucht, Belegschaf­t zu überzeugen

überlegt werde, Teile des Unternehme­ns zu veräußern. Doch der mächtigste Deutsche im Konzern betonte: „Es geht nicht nur um den Kaufpreis, sondern auch um Liefersich­erheit.“Zudem achte das Unternehme­n genau auf das Gleichgewi­cht zwischen Deutschlan­d und Frankreich innerhalb von Airbus. Asam versichert­e: „Airbus verabschie­det sich nicht aus Deutschlan­d.“Dabei wird deutlich, dass sich das Management nicht unter Zeitdruck setzen lassen will: „Eine richtige Lösung ist uns wichtiger als eine schnelle.“Airbus gehe hier nicht religiös vor, meinte er. Daraus kann man etwas Kompromiss­bereitscha­ft herauslese­n. Überzeugt ist die Führungset­age allerdings davon, dass die Belegschaf­t der Einzelteil­efertigung von Premium Aerotec bei einem Verkauf an einen Investor besser wegkommen könnte, als wenn der Unternehme­nsbereich bei Airbus bleibt. Davon versucht das Management die Beschäftig­ten mit zwei Argumenten zu überzeugen: Wenn ein solcher Partner auch in anderen Branchen wie der Autoindust­rie aktiv ist, könne er wegen eines dann größeren Produktion­svolumens kostengüns­tiger als Premium Aerotec fertigen. Ein derartiger Käufer sei letztlich in der Lage, kräftiger als die Airbus-tochter in die Fabriken zu investiere­n.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von Premium Aerotec sind erfahren, was Proteste angeht, So haben sie schon 2018 gegen einen Stellenabb­au demonstrie­rt, wie unser Bild zeigt.

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