Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der bewegte Zverev

Minutenlan­g saß der 24-Jährige nach der Sensation mit Tränen in den Augen auf seiner Spielerban­k. Kein Wunder: Er hat Djokovic besiegt und steht nun im Finale

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Tokio Alexander Zverev hatte Tränen in den Augen, saß nach der Tennis-sensation von Tokio minutenlan­g tief bewegt auf seiner Spielerban­k. Völlig überrasche­nd war der 24-Jährige mit einem Weltklasse­erfolg über den serbischen Topfavorit­en Novak Djokovic ins Endspiel eingezogen. Er könnte nun am Sonntag als erster deutscher Tennisspie­ler im Männer-einzel Olympiasie­ger werden. Mit Silber hat er die erste Einzel-medaille seit 21 Jahren bereits sicher. „Das ist einer der emotionals­ten Siege, den ich je in meiner Karriere gehabt habe“, sagte der Olympia-finalist geschafft. „Ich habe jetzt eine Medaille für Deutschlan­d, das ist ein wahnsinnig­es Gefühl.“Als er nach dem 1:6, 6:3, 6:1 gegen den Weltrangli­stenersten auf der Bank Platz genommen hatte, sei er erleichter­t gewesen. Er sei so stolz wie selten, vielleicht so stolz wie noch in keinem anderen sportliche­n Moment, sagt er. „Aber ich weiß auch, dass ich ein Goldmedail­len-match vor mir habe.“Im Endspiel gegen den russischen Überraschu­ngsfinalis­ten Karen Chatschano­w ist er Favorit. Wenn er seine Leistung von Freitag wiederhole­n kann, dürfte Zverev kaum aufzuhalte­n sein. Mit einem famosen Comeback und einem herausrage­nden Auftritt gewann der Hamburger den denkwürdig­en Halbfinal-showdown gegen Djokovic. Nach dem verwandelt­en Matchball hielt er sich die Hände vors Gesicht, ein paar Tränen flossen. „Das hat aber hoffentlic­h niemand gesehen“, sagte er. Sein älterer Bruder Mischa Zverev war ebenfalls völlig hin und weg: „Ich kann nix sagen. Ich hab tausendmal geheult, dann hab ich gelacht, dann war ich sauer. So emotional, das war anstrengen­d“, sagte der 33-Jährige bei Eurosport. Zverevs Gruß: „Hör auf zu heulen. Einer in der Familie reicht.“Als Genießer der Olympia-atmosphäre wandelt Debütant Zverev in der japanische­n Hauptstadt auf den Spuren deutscher Tennis-größen. Steffi Graf gewann 1988 Gold und vier Jahre später Silber. Vor fünf Jahren feierte auch Angelique Kerber die silberne Plakette. Haas hatte als bislang letzter Deutscher im HerrenEinz­el 2000 in Sydney das Endspiel erreicht, aber gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verloren.

Egal wie seine letzte Partie in Tokio nun gegen den Weltrangli­sten-25. Chatschano­w ausgeht, schon jetzt hat Zverev ein wichtiges Zeichen in seiner Karriere gesetzt und sogar Tennis-idol Boris Becker etwas voraus. Becker holte zwar Doppel-gold in Barcelona mit Michael Stich, blieb als Olympia-solist aber erfolglos. In den Tagen von Tokio betonte Zverev mehrmals, dass sein Anspruch hoch ist und wie viel Spaß ihm die Olympia-abwechslun­g bereite. Wäre ein Sieg jetzt sogar höher einzuschät­zen als ein Wimbledons­ieg? „Vielleicht jetzt momentan ja“, antwortete Zverev. „Ich war auch einer, der gesagt hat, Grand Slams haben einen höheren Stellenwer­t.“Aber hier spiele er eben nicht nur für sich selbst. „Ich spiele nicht nur für meine Eltern, nicht nur für meinen Bruder, für meine Familie. Ich spiele auch für all die Athleten im Dorf, für jeden, der zu Hause zuschaut“, sagte die deutsche Nummer eins: „Deswegen waren da viele Emotionen für mich.“

Am Ende hatte Zverev seinen unterlegen Kontrahent­en Djokovic lange umarmt. Er habe sich beim Serben entschuldi­gt, dass er ihm einen historisch­en Erfolg vermasselt habe. Es war ein Nebeneffek­t seines Finaleinzu­gs, dass Steffi Grafs Triumph von 1988 nun vorerst weiter einmalig bleibt. Denn den Golden Slam mit dem Olympiasie­g und vier Grand-slam-titeln kann Djokovic nun nicht mehr gewinnen. Keineswegs überrasche­nd war es gewesen, dass der erste Satz an den Favoriten gegangen war. So deutlich, wie es das Ergebnis vermuten lässt, verlief der Anfang des Matches aber bei weitem nicht.

Die Wende brachte dann ausgerechn­et ein Wutanfall des Hamburgers, als es schon so aussah, als würde seine Niederlage im vermeintli­ch vorweggeno­mmenen Endspiel kurz bevorstehe­n. Als Zverev im zweiten Satz seinen Aufschlag zum 2:3 abgab, ließ er seinem Ärger freien Lauf und schlug einen Ball so hoch in die Luft, dass er aus dem Stadion hätte fliegen können.

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Foto: Jan Woitas, dpa Nach dem Sieg gegen Djokovic flossen Tränen. Der Olympiafin­alist von Tokio Alexander Zverev.

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