Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Tochter glücklich gemacht
Ovtcharov hat ein Bronze-mitbringsel
Tokio Als er das Medaillen-mitbringsel für seine Tochter Emma nach einer „emotionalen Achterbahnfahrt“sichergestellt hatte, ging Dimitrij Ovtcharov kurz in die Knie und presste seine Stirn gegen den Tisch. Mit einem Handtuch tupfte sich der 32-Jährige die Augen trocken und umarmte lange und innig Tischtennis-bundestrainer Jörg Roßkopf. Auf der Tribüne klatschte der deutsche Ioc-präsident Thomas Bach wohlwollend Beifall, Ovtcharovs Teamkollegen um Timo Boll sprangen begeistert von ihren Schalensitzen auf. Nach dem zweiten Wahnsinnsmatch in zwei Tagen und der Abwehr dreier Matchbälle bejubelte Ovtcharov die bronzene Plakette wie eine goldene.
„Gestern wollte ich aufhören mit Tischtennis. Mein Vater hat gesagt: „Wenn du heute gewinnst, Dima, sieht die Welt wieder ganz anders aus. Und er hat Recht gehabt“, sagte Ovtcharov nach seinem Sieg in 4:3 Sätzen (13:11, 9:11, 6:11, 11:4, 4:11, 15:13, 11:7) gegen Lin Yun-ju aus Taiwan.
Zum zweiten Mal nach 2012 in London kehrt der frühere Weltranglisten-erste mit Einzel-bronze von Olympia zurück. Im sechsten Satz stemmte sich Ovtcharov so oft gegen die drohende Niederlage, dass ihm später kein anderer Begriff einfiel als die „emotionale Achterbahnfahrt“, um seine Gemütslage zu umschreiben. Im Viertelfinale rang er nach einem 0:2-Satzrückstand noch den Brasilianer Hugo Calderano nieder („Da war ich schon mit anderthalb Beinen draußen.“), im Halbfinale lieferte er sich einen denkwürdigen Schlagabtausch mit Ma Long, der sich durch einen Finalsieg gegen Fan Zhendong Gold holte, und konnte nach der hauchdünnen Niederlage in der Nacht danach kaum schlafen. Doch alle Pein, Selbstzweifel und körperliche Qual waren an diesem Abend um kurz nach 21 Uhr Ortszeit im Tokyo Metropolitan Gymnasium verflogen. „Es ist kaum in Worte zu fassen, wie glücklich ich bin“, sagte Ovtcharov. „Ich bin jetzt wirklich wieder auf Wolke sieben.“
Dabei war die Vorbereitung auf das Spiel alles andere als optimal verlaufen. Ovtcharov konnte nicht wie sonst üblich in der Olympiahalle das Abschlusstraining absolvieren. Weil für den Vormittag nach Angaben des Deutschen Tischtennis-bundes vom Organisationskomitee „weder Sicherheitspersonal noch Volunteers eingeplant“werden konnten, stand die ehrwürdige Spielstätte nicht zur Verfügung. Ovtcharov verzichtete daher auf ein morgendliches Einspielen in der Halle – und musste grinsen, als er sagte: „Ich war ganz froh, das hätte mir wahrscheinlich Kraft genommen.“
So aber bestätigte er eindrucksvoll die Bewertung des früheren Weltklassespielers Jörg Roßkopf, der sagte: „Dafür ist Dima bekannt, er kämpft immer weiter, er kann solche Dinge abhaken.“Und wie. Mit Moral, Willen und physischer Stärke rang der Hamelner sein Gegenüber auf der anderen Seite des Tisches nieder. Damit erfüllte er nicht nur den Herzenswunsch seiner Tochter, die „sich wünscht, dass er ihr etwas mitbringt, am liebsten eine Medaille“, wie Roßkopf verriet.(dpa)