Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mit dem Kickbike zum Nordkap
Der Augsburger Bernd Beigl hat eine Pionierleistung erbracht: Er radelte von Kap zu Kap. Einen Moment gab es, da hätte er fast aufgegeben
Der Extremsport-fan Bernd Beigl kam Mitte dieser Woche nach einer eigenwilligen Reise zurück nach Augsburg: In 30 Tagen mit dem Tretroller zum Nordkap, das dürfte eine recht einmalige Aktion sein. Dass er auf diese skurrile Idee kam, hat eine Vorgeschichte. 2017 radelte Beigl im Rahmen der Tour d’ Afrique von Kairo bis Kapstadt – für ihn der Startschuss in eine Abenteuerlust, die ihn nie mehr losließ. Und der Beginn der Inkubationszeit, bis die aktuelle Herausforderung für den Sport-junkie heranreifte. Quasi das letzte Puzzleteil für das extremsportliche Gesamtbild: Der 53-Jährige wollte vom afrikanischen Kap bis zum Nordkap reisen, allein per Muskelkraft.
Einen guten Teil der Strecke hatte er bereits in den vergangenen Jahren zurückgelegt – unter anderem auf einem alten Damenfahrrad ohne Gangschaltung in drei Wochen von Augsburg nach Sizilien oder zu Fuß durch ganz Deutschland. Von Oberstdorf bis Flensburg durchquerte er 2020 das Land. Nur ein letzter Schritt fehlte also noch, um dem Traum von der Verbindung von Kap zu Kap wahr werden zu lassen: Er startete vor knapp einem Monat da, wo die letzte Reise geendet hatte: in Flensburg, an der Grenze zu Dänemark. Von dort ging es auf dem Tretroller durch Skandinavien – Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen bis zum Nordkap. Ursprünglich plante er die Tour mit Rollskiern, doch nach einem Monat Training stufte er diese ungeeignet ein. Auch ein Hochrad stand für ihn kurz zur Diskussion, bevor die Wahl auf das Kickbike fiel.
Besondere Fahrzeuge waren auf seinen Reisen schon immer Bernd Beigls Anspruch. „Ich bin in allen Lebenslagen sehr individuell und suche die Herausforderung, ohne zu wissen, was morgen ist oder übermorgen, und ohne zu wissen, ob das Vorhaben überhaupt funktionieren kann.“Als „Abenteurer“bezeichnet er sich dennoch ungern: „Ich sehe das eher unter dem sportlichen Aspekt.“Den sportlichen Ehrgeiz bewies er unter anderem mit einem Weltrekord im Nordic Walking in 24 Stunden oder einer Rennradtour quer durch Deutschland. „Ich habe schon als Sechsjähriger manisch versucht, so hoch wie möglich zu springen“, erinnert sich Bernd Beigl.
Der neueste „Hochsprung“war die Reise zum Nordkap per Tretroller, neudeutsch Kickbike. 2650 Kilometer, 10.000 Höhenmeter, immer wieder ausgebremst von Regen, Schneeregen und Gegenwindböen von bis zu 70 Stundenkilometern. „Wenn einem ein Regenvorhang mit 50 Stundenkilometern entgegenkommt, ist man binnen Minuten klitschnass“, berichtet Beigl. Auch wenn man, so wie der Extremreisende, eine spezielle Regenhose, Socken und Regensocken übereinander trägt. „Wenn es nur drei Grad hat, kann man in so einer Situation maximal fünf Minuten fahren, bevor man so fertig ist, dass nichts mehr geht.“Es gab einen Moment, in dem der 53-Jährige deshalb fast hätte. Eine schmerzhafte Rippenzerrung durch eine ungeschickte Bewegung auf dem Roller, einige Tage bevor er den Polarkreis erreichte, machte das Unterfangen nicht leichter. Ab Lappland stand Beigl vor einem ganz anderen Problem als der Witterung: Viele der ohnehin spärlich gesäten Versorgungsmöglichkeiten wie Kioske, Boutiquen und Campingplätze waals ren coronabedingt geschlossen. Da er nur mit leichtem Gepäck rollen konnte, brachte ihn diese Proviantknappheit bisweilen in heikle Situationen. „Ab der Mitte von Schweden ist nur alle 40 Kilometer ein Ort, wo man etwas essen kann – ich konnte aber auch nicht fünf Kilo Proviant mit mir herumschleppen.“Täglich rund 90 Kilometer, dafür brauche man Energie, so Beigl. Dieaufgegeben se in menschenverlassenen Gegenden rechtzeitig zu bekommen empfindet er rückwirkend als die größte Herausforderung des Unterfangens. Übernachtet hat er oft im eigenen Zelt, doch auch spontan in Unterkünften in Gärten, wie sie in Skandinavien angeboten werden – quasi eine Art Airbnb in Open-air-variante.
Auf seinen Reisen ist Bernd Beigl immer allein, da er überzeugt ist, dass er keine passenden Weggefährten finden würde, die derlei Strapazen mitgehen würden. Strapaziös war auch sein Privatleben vor einigen Jahren. „2016 stand ich vor einem Scherbenhaufen“, spricht er von der Insolvenz der Kulturküche, für die er als Geschäftsführer haftbar war, sowie einer Trennung. Die Afrika-reise war der Fluchtplan: „Ich halte viel aus, aber irgendwann ist der Scherbenhaufen zu groß – ich musste einfach weg.“Die letzten fünf Jahre waren nicht leicht, sagt Beigl, doch führten sie auch zur Erkenntnis, dass alles möglich ist, wenn man alles dafür einwirft. „Für ein wunderbares Leben braucht man nicht die große Kohle, sondern Vertrauen in sich und darin, dass nichts Zufall ist.“Letzteres werde ihm auf Reisen wie der zum Nordkap immer wieder vor Augen geführt.
Derzeit arbeitet Beigl als Stadtführer in Augsburg und im Quartiersmanagement, doch ist es keine große Überraschung, dass der Rastlose bereits die nächsten skurrilen Pläne ausheckt. Einer davon ist eine Fahrt mit dem Tretboot über den Atlantik.