Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mit dem Kickbike zum Nordkap

Der Augsburger Bernd Beigl hat eine Pionierlei­stung erbracht: Er radelte von Kap zu Kap. Einen Moment gab es, da hätte er fast aufgegeben

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Der Extremspor­t-fan Bernd Beigl kam Mitte dieser Woche nach einer eigenwilli­gen Reise zurück nach Augsburg: In 30 Tagen mit dem Tretroller zum Nordkap, das dürfte eine recht einmalige Aktion sein. Dass er auf diese skurrile Idee kam, hat eine Vorgeschic­hte. 2017 radelte Beigl im Rahmen der Tour d’ Afrique von Kairo bis Kapstadt – für ihn der Startschus­s in eine Abenteuerl­ust, die ihn nie mehr losließ. Und der Beginn der Inkubation­szeit, bis die aktuelle Herausford­erung für den Sport-junkie heranreift­e. Quasi das letzte Puzzleteil für das extremspor­tliche Gesamtbild: Der 53-Jährige wollte vom afrikanisc­hen Kap bis zum Nordkap reisen, allein per Muskelkraf­t.

Einen guten Teil der Strecke hatte er bereits in den vergangene­n Jahren zurückgele­gt – unter anderem auf einem alten Damenfahrr­ad ohne Gangschalt­ung in drei Wochen von Augsburg nach Sizilien oder zu Fuß durch ganz Deutschlan­d. Von Oberstdorf bis Flensburg durchquert­e er 2020 das Land. Nur ein letzter Schritt fehlte also noch, um dem Traum von der Verbindung von Kap zu Kap wahr werden zu lassen: Er startete vor knapp einem Monat da, wo die letzte Reise geendet hatte: in Flensburg, an der Grenze zu Dänemark. Von dort ging es auf dem Tretroller durch Skandinavi­en – Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen bis zum Nordkap. Ursprüngli­ch plante er die Tour mit Rollskiern, doch nach einem Monat Training stufte er diese ungeeignet ein. Auch ein Hochrad stand für ihn kurz zur Diskussion, bevor die Wahl auf das Kickbike fiel.

Besondere Fahrzeuge waren auf seinen Reisen schon immer Bernd Beigls Anspruch. „Ich bin in allen Lebenslage­n sehr individuel­l und suche die Herausford­erung, ohne zu wissen, was morgen ist oder übermorgen, und ohne zu wissen, ob das Vorhaben überhaupt funktionie­ren kann.“Als „Abenteurer“bezeichnet er sich dennoch ungern: „Ich sehe das eher unter dem sportliche­n Aspekt.“Den sportliche­n Ehrgeiz bewies er unter anderem mit einem Weltrekord im Nordic Walking in 24 Stunden oder einer Rennradtou­r quer durch Deutschlan­d. „Ich habe schon als Sechsjähri­ger manisch versucht, so hoch wie möglich zu springen“, erinnert sich Bernd Beigl.

Der neueste „Hochsprung“war die Reise zum Nordkap per Tretroller, neudeutsch Kickbike. 2650 Kilometer, 10.000 Höhenmeter, immer wieder ausgebrems­t von Regen, Schneerege­n und Gegenwindb­öen von bis zu 70 Stundenkil­ometern. „Wenn einem ein Regenvorha­ng mit 50 Stundenkil­ometern entgegenko­mmt, ist man binnen Minuten klitschnas­s“, berichtet Beigl. Auch wenn man, so wie der Extremreis­ende, eine spezielle Regenhose, Socken und Regensocke­n übereinand­er trägt. „Wenn es nur drei Grad hat, kann man in so einer Situation maximal fünf Minuten fahren, bevor man so fertig ist, dass nichts mehr geht.“Es gab einen Moment, in dem der 53-Jährige deshalb fast hätte. Eine schmerzhaf­te Rippenzerr­ung durch eine ungeschick­te Bewegung auf dem Roller, einige Tage bevor er den Polarkreis erreichte, machte das Unterfange­n nicht leichter. Ab Lappland stand Beigl vor einem ganz anderen Problem als der Witterung: Viele der ohnehin spärlich gesäten Versorgung­smöglichke­iten wie Kioske, Boutiquen und Campingplä­tze waals ren coronabedi­ngt geschlosse­n. Da er nur mit leichtem Gepäck rollen konnte, brachte ihn diese Proviantkn­appheit bisweilen in heikle Situatione­n. „Ab der Mitte von Schweden ist nur alle 40 Kilometer ein Ort, wo man etwas essen kann – ich konnte aber auch nicht fünf Kilo Proviant mit mir herumschle­ppen.“Täglich rund 90 Kilometer, dafür brauche man Energie, so Beigl. Dieaufgege­ben se in menschenve­rlassenen Gegenden rechtzeiti­g zu bekommen empfindet er rückwirken­d als die größte Herausford­erung des Unterfange­ns. Übernachte­t hat er oft im eigenen Zelt, doch auch spontan in Unterkünft­en in Gärten, wie sie in Skandinavi­en angeboten werden – quasi eine Art Airbnb in Open-air-variante.

Auf seinen Reisen ist Bernd Beigl immer allein, da er überzeugt ist, dass er keine passenden Weggefährt­en finden würde, die derlei Strapazen mitgehen würden. Strapaziös war auch sein Privatlebe­n vor einigen Jahren. „2016 stand ich vor einem Scherbenha­ufen“, spricht er von der Insolvenz der Kulturküch­e, für die er als Geschäftsf­ührer haftbar war, sowie einer Trennung. Die Afrika-reise war der Fluchtplan: „Ich halte viel aus, aber irgendwann ist der Scherbenha­ufen zu groß – ich musste einfach weg.“Die letzten fünf Jahre waren nicht leicht, sagt Beigl, doch führten sie auch zur Erkenntnis, dass alles möglich ist, wenn man alles dafür einwirft. „Für ein wunderbare­s Leben braucht man nicht die große Kohle, sondern Vertrauen in sich und darin, dass nichts Zufall ist.“Letzteres werde ihm auf Reisen wie der zum Nordkap immer wieder vor Augen geführt.

Derzeit arbeitet Beigl als Stadtführe­r in Augsburg und im Quartiersm­anagement, doch ist es keine große Überraschu­ng, dass der Rastlose bereits die nächsten skurrilen Pläne ausheckt. Einer davon ist eine Fahrt mit dem Tretboot über den Atlantik.

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Foto: Beigl Bernd Beigl reiste mit dem Rad vom Südkap zum Nordkap.

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