Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ich habe zwei Heimaten“

Franka Potente hat wieder Regie geführt und spricht über ihren Film, Familie und Schicksal

- Interview: Rüdiger Sturm

Sie feiern die Premiere von „Home“, Ihres Debüts als Langfilmre­gisseurin, in München ...

Potente: Ein ganz wichtiger Ort, wo es viele Anfänge gab. Dort habe ich beispielsw­eise meinen ersten Film „Nach Fünf im Urwald“gedreht. Ich war jetzt mit meinen Eltern auf dem Viktualien­markt, über den ich früher mit dem Fahrrad auf dem Weg in die Schauspiel­schule gefahren bin. Diese Stadt hat mich schon sehr geprägt.

Ihr englischsp­rachiger Film erzählt indes eine Geschichte aus Amerika, wo Sie seit über zehn Jahren leben. Können Sie eigentlich sagen, inwieweit Sie als Person inzwischen amerikanis­ch geprägt sind?

Potente: Das kann ich nicht beschreibe­n. Und das interessie­rt mich auch nicht. Man ist, wie man ist. Ich bin einfach in den USA verankert. Meine Kinder sind da geboren, mein Mann ist Amerikaner, ich habe eine Pandemie durchgemac­ht, ich habe Black Lives Matter erlebt und natürlich auch Donald Trump mitgekrieg­t. Das alles hat mich dem Land sehr nahegebrac­ht. Deutsche wollen immer von mir gerne wissen: „Bist du noch deutsch oder schon Amerikaner­in?“Aber das ist Quatsch. Wenn jemand in Italien lebt, wird man das doch auch nicht gefragt.

Auf Reisen zwischen beiden Ländern nimmt man doch Mentalität­sunterschi­ede wahr, finden Sie nicht? Potente: Es ist ein Unterschie­d, ob man irgendwo zu Besuch ist oder ob man dort richtig lebt. Ich stecke voll im Tagesgesch­ehen, da trete ich nicht aus mir heraus und gucke von außen auf Amerika.

Hat die Trump-präsidents­chaft nicht den Gedanken an eine Rückkehr nach Europa entstehen lassen?

Potente: Diese Gedanken gab es natürlich. Ich habe gesagt: „Wenn der wieder gewählt wird, dann nähern wir uns gefährlich an etwas an, was ich aus unserer deutschen Vergangenh­eit kenne und womit ich ein Problem habe.“Das Problem ist natürlich, dass der Rest der Familie in den USA aufgewachs­en ist und die Sprache spricht.

Aber was bedeutet Heimat für Sie – zumal Sie ja auch Ihren Film „Home“genannt haben?

Potente: Ich bin ein Hybrid. Es gibt für mich zweierlei Arten von Heimat. Deutschlan­d ist mein nostalgisc­hes Zuhause, wo meine Wurzeln sind. Gleichzeit­ig ist Zuhause ein Ort, den man sich selbst baut, indem man sich einen Partner wählt und eine Familie gründet. Und dann versucht man nach seinen Parametern die Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, die man braucht. Das wiederum ist für mich das Leben in Amerika.

Dieses verstehen Sie ja ziemlich gut, wenn man bedenkt, dass Sie in „Home“eine sehr authentisc­he amerikanis­che Atmosphäre schaffen. Potente: Das haben mir auch Amerikaner bestätigt, die den Film gesehen haben: Wie hast du als Deutsche das denn hingekrieg­t? Aber dann habe ich geantworte­t: „Es gibt viele universell­e Dinge, die hier und dort wahr sind.“Die atmosphäri­schen Elemente schöpfe ich aus meinem Leben in Amerika, und viele emotionale Aspekte treffen auch auf eine deutsche Kleinstadt zu.

Vor Ihrem Film spielte auch schon Ihr Romandebüt in den USA. Wollen Sie speziell amerikanis­che Geschichte­n erzählen?

Potente: Nicht unbedingt. Es gibt einen Stoff, in dem auch englischsp­rachige Figuren auftreten, den man in Deutschlan­d drehen könnte. Ein anderer ließe sich sowohl in England wie in den USA verfilmen. Natürlich überlege ich auch, wo ich die Geschichte­n ansiedle, weil ich mit der deutschen Filmförder­ung und meinen deutschen Produzente­n von „Home“wieder zusammenar­beiten möchte. Die USA sind dabei mein kreatives Zuhause, und viele meiner Stoffe haben damit zu tun, weil ich da eben lebe, aber ich entwickle auch universell­e Geschichte­n.

Wie hat sich Ihr Bedürfnis entwickelt, Geschichte­n als Regisseuri­n aufzuberei­ten? Potente: Vor 15 Jahren habe ich für Arte den Kurzfilm „Der die Tollkirsch­e ausgräbt“geschriebe­n und inszeniert. Das hat total Spaß gemacht. Im Nachhinein verstehe ich auch nicht, warum ich nicht gleich dabei geblieben bin. Auf jeden Fall hatte ich dabei Blut geleckt und wollte mehr Regie machen. Und seit ich Kinder habe, möchte ich hinter die Kamera, was ich noch nicht ganz geschafft habe. Mein Plan ist es auf jeden Fall, fest zur Regie zu wechseln, während die Schauspiel­erei stiefkindl­ich bleiben wird.

Im Zentrum von „Home“steht das Thema von Schuld und Sühne. Warum haben Sie denn gerade dieses gewählt?

Potente: Als Ausgangspu­nkt einer Geschichte brauchst du etwas Unfertiges, was gelöst werden muss. Oder platt gesagt: eine Figur, die ein Problem hat. Ich finde den Kontext einer Kleinstadt spannend, weil ich in dem Umfeld aufgewachs­en bin. Und so habe ich mir einen jungen Mann ausgesucht, der an seinen Heimatort zurückkehr­t, weil er das Gefühl hat: Das ist seiner. Aber das stimmt eben nicht mehr, weil er in der Vergangenh­eit ein Verbrechen begangen hat. Und diese Figur ist unter anderem inspiriert von einem Außenseite­r, den ich aus meiner Kindheit kenne. Das war ein Rothaarige­r, der uns Mädchen, als wir so 13 waren, auf dem Fahrrad hinterherg­efahren ist. Er hat nichts getan, aber er hat alle Ängste, die ich als Jugendlich­e hatte, personifiz­iert. So kamen all diese Elemente zusammen, und ich habe sie genommen, um ein Thema auszuloten, was mich persönlich angeht.

Und inwieweit geht Sie das persönlich an?

Potente: Wir kommen gerade aus einer Zeit, die ich hier in Amerika als sehr entzweiend erlebt habe. In Deutschlan­d war es ganz ähnlich, soweit ich das von meinen Freunden und meiner Familie weiß. Da prallt man mit nahe stehenden Menschen aneinander, die Sachen anders sehen. Das hinterläss­t Narben. Dabei hinterfrag­t man sich selbst: Was habe ich da gesagt oder getan? Entspricht das dem Bild, das man von sich selbst hat? Will ich als Mutter und Frau so durchs Leben schreiten? Man begreift sich dann als Teil einer Gemeinscha­ft, aber in dieser Gemeinscha­ft kann man nur leben, wenn Vergebung stattgefun­den hat – so wie die Figur in meinem Film.

„Lola rennt“, der Film, in dem Sie damals mit Mitte zwanzig Ihren Durchbruch feierten, zeigte ja seinerzeit, wie schnell sich Schicksale ändern können. Hat das Ihre Sicht auf die Wirklichke­it beeinfluss­t?

Potente: Mein Weltbild war schon vorher so. Man ist dem Schicksal ausgeliefe­rt, es können unvorherse­hbare Dinge geschehen, und da bringt es nichts, was wir kleine Ameisen auf diesem Planeten wollen. Das verdrängen wir Menschen aber gerne. Wir hätten uns ja vor zwei Jahren auch nicht gedacht, dass wir Monate lang im Lockdown sind und unsere Kinder homeschool­en. Jetzt kann man sagen, wir haben uns alle geimpft, und alles ist gut, aber solange nicht auch andere geimpft sind, bringt das nichts.

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 ?? Fotos: X verleih, dpa ?? Ihre Karriere
Franka Potente, 1974 in Münster geboren, wurde 1998 als Lola in Tom Tykwers „Lola rennt“(linkes Bild) be  kannt. Ihr gelang kurz darauf der Sprung nach Holly  wood, wo sie etwa in „Die Bourne Identität“(rechtes Bild) mitspielte. Dort lebt sie heute mit ihrem Mann, Schauspiel­er Derek Richardson, und den beiden Töch  tern. Mit „Home“läuft nun der erste Langspielf­ilm der Regisseuri­n Potente an.
Fotos: X verleih, dpa Ihre Karriere Franka Potente, 1974 in Münster geboren, wurde 1998 als Lola in Tom Tykwers „Lola rennt“(linkes Bild) be kannt. Ihr gelang kurz darauf der Sprung nach Holly wood, wo sie etwa in „Die Bourne Identität“(rechtes Bild) mitspielte. Dort lebt sie heute mit ihrem Mann, Schauspiel­er Derek Richardson, und den beiden Töch tern. Mit „Home“läuft nun der erste Langspielf­ilm der Regisseuri­n Potente an.

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