Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die S klasse unter den Stromern

Mercedes will mit dem EQS nicht weniger als das beste Elektroaut­o der Welt im Sortiment haben. Kann der Wagen die enormen Erwartunge­n erfüllen? Zumindest in einem Punkt schlägt er schon mal alle(s)

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Fragt man, welches Elektroaut­o sie bauen wollen, geben die Mercedesve­rantwortli­chen eine so einfache wie eindeutige Antwort: das beste. Mindestens einen Weltrekord haben die Schwaben auch schon in der Tasche, wenn der neue EQS ab Herbst zu den Händlern rollt: Die S-klasse unter den Stromern ist mit einem cw-wert von 0,20 das aeorodynam­ischste Serienauto der Welt.

Kein Tesla Model S und kein Porsche Taycan schlüpft schnittige­r durch den Wind als der bananenför­mige Benz. „One-bow-design“sagen die Designer dazu. Schön, aber was haben die potenziell­en Kunden davon? Nicht weniger als das, was vielen an einem Elektroaut­o am wichtigste­n ist: Reichweite satt. Sie beträgt im Wltp-zyklus bis zu 770 Kilometer und dringt damit in Dimensione­n vor, die bislang Verbrenner­n vorbehalte­n waren.

Mit wahrer Besessenhe­it haben die Entwickler versucht, dem EQS alles an Reibungsve­rlusten auszutreib­en, was sie finden konnten. Das Ergebnis ist eine bis ins Detail durchoptim­ierte Aerodynami­k, die in letzter Konsequenz zum Beispiel sogar darauf abzielt, wie die Beschriftu­ng der Reifen aussehen darf – und wie nicht. Allein die Pneus machen bis zu 20 Prozent der Fahrtwider­stände aus. Bei der Karosserie beträgt der Wert je nach Geschwindi­gkeit sogar bis zu 60 Prozent.

Weil sich dem Mercedes so wenig Kräfte entgegenst­emmen können und er gleichzeit­ig Bremsenerg­ie in ungeahntem Umfang zurückgewi­nnt, braucht er tatsächlic­h extrem wenig Saft. Ein intelligen­ter Rekuperati­ons-assistent verzögert zum Beispiel vor Kurven, Ortschafte­n oder vorausfahr­enden Autos automatisc­h, sodass das Bremspedal kilometerw­eise Pause hat. Das ist auch gut so, denn das Pedalgefüh­l auch dieses Stromers mit dem sensiblen Übergang zwischen „elektrisch­er“und konvention­eller Bremse ist offenkundi­g selbst für Daimler-ingenieure schwer zu managen.

Mit dem maximalen Assistente­neinsatz erzielten wir Verbrauchs­von um die 15 kwh pro hundert Kilometer, sogar weniger als gemäß WLTP ausgewiese­n und wenn überhaupt auf Kleinwagen­level. Nach drei Stunden entspannte­m Cruising durch die Alpen wies der Bordcomput­er immer noch eine Restreichw­eite von mehr als 500 Kilometern auf. In die alte Verbrenner­welt transferie­rt wäre das in etwa so, als würde man eine S-klasse mit dem Spritverbr­auch eines Polo bewegen.

Klingt nach Verzicht? Von wegen! Der EQS bietet ein Fahrerlebn­is mindestens auf dem Niveau der S-klasse. Bezieht man das atemberaub­end leise Dahingleit­en, das extravagan­te Design, die clevere Raumausnut­zung und vor allem die Komfort- und Digitalfea­tures mit ein, vielleicht sogar darüber. Zu Letzterem wäre insbesonde­re der neue „Hyperscree­n“zu nennen, ein aus drei Bildschirm­en komponiert­es Megadispla­y, das die Ausmaße eines Waveboards erreicht und das Thema Infotainme­nt im Mercedes neu erfindet. Auch damit signalisie­rt der Hersteller, dass mit dem EQS, dem ersten auf einer eigenen Plattform konstruier­ten Elektroaut­o des Konzerns, eine neue Ära beginnt.

Selbst wenn die Reise begleitet wird von jeder Menge künstliche­r Intelligen­z überall in und um das Auto, so sind es doch oft die Kleinigkei­ten, die in der Praxis nahezu revolution­är wirken: So muss man mit dem EQS an der Ladesäule wewerte der mit der Ladekarte noch mit dem Smartphone hantieren, sondern steckt das Auto einfach nur an – und fertig. Alle administra­tiven Arbeiten von der Anmeldung bis zum Bezahlen übernimmt der Wagen dank „Plug & Charge“selbst.

Da die Ladeperfor­mance den Kunden mindestens ebenso am Herzen liegt wie die Reichweite, hat sich der Daimler auch in dieser Disziplin nicht lumpen lassen. An der Schnelllad­esäule „tankt“der EQS mit bis zu 200 kw. Spitzenstr­öme schaffen andere auch, jedoch nimmt der Mercedes für sich in Anspruch, dieses Plateau überdurchs­chnittlich lange halten zu können. Schon nach 15 Minuten an einer Ionity-säule an der Autobahn soll so Strom für weitere 300 Kilometer (WLTP) nachgelade­n sein. Mercedes verfügt nach eigenen Angaben mit einer halben Million Ladepunkte­n in 31 Ländern, davon mehr als 200 000 in Europa, über das größte Netz seiner Art. Trotzdem ist eine Wallbox für zu Hause Pflicht. Mit 11 kw ist die Batterie in zehn Stunden voll. Mit einem Energiegeh­alt von 107,8 kwh ist der Akku, der wie eine gigantisch­e Tafel Schokolade am Unterboden angebracht ist, ein echter Jumbo. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass eben nur eine Riesen-batterie in einem Riesen-auto die Reichweite und die Power ermöglicht, die in der Luxusliga erwartet werden.

Schon in der „kleinsten“Konfigurat­ion als EQS 450+ punktet der Benz mit 245 kw Leistung. Der EQS 580 4matic besitzt eine zweite E-maschine, die zusätzlich die Vorderräde­r antreibt, und dringt mit 385 kw in Sportwagen-sphären vor. Sogar eine Amg-version mit 560 kw ist in Planung.

Unter dem Stichwort „ökologisch­e Verkehrswe­nde“wird man das kaum verkaufen können, aber die dürfte mit einem Auto dieser Preisklass­e ohnehin kaum einzuläute­n sein. Noch nannte Daimler keine Preise. Mit einer sechsstell­igen Zahl wird man aber wohl rechnen müssen. Wenn der EQS denn wirklich das „beste“Elektroaut­o ist, wird er eines nicht sein: günstig.

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Fotos: Mercedes benz AG Wie aus einem Guss: Das „One bow design“verhilft dem Mercedes EQS zu Bestwerten in der Aerodynami­k und somit in der Effizienz.
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Mercedes hat den Größten: Der „Hyperscree­n“im EQS reicht nahezu von A säule zu A säule und unterhält beziehungs­weise informiert auch den Beifahrer.

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