Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die S klasse unter den Stromern
Mercedes will mit dem EQS nicht weniger als das beste Elektroauto der Welt im Sortiment haben. Kann der Wagen die enormen Erwartungen erfüllen? Zumindest in einem Punkt schlägt er schon mal alle(s)
Fragt man, welches Elektroauto sie bauen wollen, geben die Mercedesverantwortlichen eine so einfache wie eindeutige Antwort: das beste. Mindestens einen Weltrekord haben die Schwaben auch schon in der Tasche, wenn der neue EQS ab Herbst zu den Händlern rollt: Die S-klasse unter den Stromern ist mit einem cw-wert von 0,20 das aeorodynamischste Serienauto der Welt.
Kein Tesla Model S und kein Porsche Taycan schlüpft schnittiger durch den Wind als der bananenförmige Benz. „One-bow-design“sagen die Designer dazu. Schön, aber was haben die potenziellen Kunden davon? Nicht weniger als das, was vielen an einem Elektroauto am wichtigsten ist: Reichweite satt. Sie beträgt im Wltp-zyklus bis zu 770 Kilometer und dringt damit in Dimensionen vor, die bislang Verbrennern vorbehalten waren.
Mit wahrer Besessenheit haben die Entwickler versucht, dem EQS alles an Reibungsverlusten auszutreiben, was sie finden konnten. Das Ergebnis ist eine bis ins Detail durchoptimierte Aerodynamik, die in letzter Konsequenz zum Beispiel sogar darauf abzielt, wie die Beschriftung der Reifen aussehen darf – und wie nicht. Allein die Pneus machen bis zu 20 Prozent der Fahrtwiderstände aus. Bei der Karosserie beträgt der Wert je nach Geschwindigkeit sogar bis zu 60 Prozent.
Weil sich dem Mercedes so wenig Kräfte entgegenstemmen können und er gleichzeitig Bremsenergie in ungeahntem Umfang zurückgewinnt, braucht er tatsächlich extrem wenig Saft. Ein intelligenter Rekuperations-assistent verzögert zum Beispiel vor Kurven, Ortschaften oder vorausfahrenden Autos automatisch, sodass das Bremspedal kilometerweise Pause hat. Das ist auch gut so, denn das Pedalgefühl auch dieses Stromers mit dem sensiblen Übergang zwischen „elektrischer“und konventioneller Bremse ist offenkundig selbst für Daimler-ingenieure schwer zu managen.
Mit dem maximalen Assistenteneinsatz erzielten wir Verbrauchsvon um die 15 kwh pro hundert Kilometer, sogar weniger als gemäß WLTP ausgewiesen und wenn überhaupt auf Kleinwagenlevel. Nach drei Stunden entspanntem Cruising durch die Alpen wies der Bordcomputer immer noch eine Restreichweite von mehr als 500 Kilometern auf. In die alte Verbrennerwelt transferiert wäre das in etwa so, als würde man eine S-klasse mit dem Spritverbrauch eines Polo bewegen.
Klingt nach Verzicht? Von wegen! Der EQS bietet ein Fahrerlebnis mindestens auf dem Niveau der S-klasse. Bezieht man das atemberaubend leise Dahingleiten, das extravagante Design, die clevere Raumausnutzung und vor allem die Komfort- und Digitalfeatures mit ein, vielleicht sogar darüber. Zu Letzterem wäre insbesondere der neue „Hyperscreen“zu nennen, ein aus drei Bildschirmen komponiertes Megadisplay, das die Ausmaße eines Waveboards erreicht und das Thema Infotainment im Mercedes neu erfindet. Auch damit signalisiert der Hersteller, dass mit dem EQS, dem ersten auf einer eigenen Plattform konstruierten Elektroauto des Konzerns, eine neue Ära beginnt.
Selbst wenn die Reise begleitet wird von jeder Menge künstlicher Intelligenz überall in und um das Auto, so sind es doch oft die Kleinigkeiten, die in der Praxis nahezu revolutionär wirken: So muss man mit dem EQS an der Ladesäule wewerte der mit der Ladekarte noch mit dem Smartphone hantieren, sondern steckt das Auto einfach nur an – und fertig. Alle administrativen Arbeiten von der Anmeldung bis zum Bezahlen übernimmt der Wagen dank „Plug & Charge“selbst.
Da die Ladeperformance den Kunden mindestens ebenso am Herzen liegt wie die Reichweite, hat sich der Daimler auch in dieser Disziplin nicht lumpen lassen. An der Schnellladesäule „tankt“der EQS mit bis zu 200 kw. Spitzenströme schaffen andere auch, jedoch nimmt der Mercedes für sich in Anspruch, dieses Plateau überdurchschnittlich lange halten zu können. Schon nach 15 Minuten an einer Ionity-säule an der Autobahn soll so Strom für weitere 300 Kilometer (WLTP) nachgeladen sein. Mercedes verfügt nach eigenen Angaben mit einer halben Million Ladepunkten in 31 Ländern, davon mehr als 200 000 in Europa, über das größte Netz seiner Art. Trotzdem ist eine Wallbox für zu Hause Pflicht. Mit 11 kw ist die Batterie in zehn Stunden voll. Mit einem Energiegehalt von 107,8 kwh ist der Akku, der wie eine gigantische Tafel Schokolade am Unterboden angebracht ist, ein echter Jumbo. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass eben nur eine Riesen-batterie in einem Riesen-auto die Reichweite und die Power ermöglicht, die in der Luxusliga erwartet werden.
Schon in der „kleinsten“Konfiguration als EQS 450+ punktet der Benz mit 245 kw Leistung. Der EQS 580 4matic besitzt eine zweite E-maschine, die zusätzlich die Vorderräder antreibt, und dringt mit 385 kw in Sportwagen-sphären vor. Sogar eine Amg-version mit 560 kw ist in Planung.
Unter dem Stichwort „ökologische Verkehrswende“wird man das kaum verkaufen können, aber die dürfte mit einem Auto dieser Preisklasse ohnehin kaum einzuläuten sein. Noch nannte Daimler keine Preise. Mit einer sechsstelligen Zahl wird man aber wohl rechnen müssen. Wenn der EQS denn wirklich das „beste“Elektroauto ist, wird er eines nicht sein: günstig.