Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Überfliegerin
Die Nürnberger Generalmusikdirektorin verlässt aus mehreren Gründen 2023 das Staatstheater. Sorgen muss man sich um die gefragte Dirigentin nicht machen
Jung ist die Dirigentin Joana Mallwitz, 34 Jahre jung. Viele, sehr viele Stationen ihrer Ausbildung und ihrer Karriere absolvierte sie extrem früh: Klavierspiel schon im Alter von drei Jahren, Hochschulstudentin und Schülerin des ausgewiesenen Hannoveraner Klavierpädagogen-experten Karlheinz Kämmerling ab 14, Hochbegabten-klasse (übrigens zusammen mit Igor Levit), Dirigier-studium, Solo-repetitorin am Theater Heidelberg mit 19 Jahren, ein Jahr später Kapellmeisterin. Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Und so ging es weiter: 2014 startete Joana Mallwitz als seinerzeit jüngste Generalmusikdirektorin am Theater Erfurt, 2018 am größeren Staatstheater Nürnberg. Und im letzen Jahr frappierte sie mit einer Premiere bei den Salzburger Festspielen, quasi in der Höhle des Löwen:
Feingliedrig, sensibel brachte sie Mozarts „Così fan tutte“zum Schweben, Neuauflage in diesem Sommer ab 6. August.
Mittelfristig jedoch steht bei Joana Mallwitz eine Zäsur an: Sie wird das Staatstheater Nürnberg 2023 verlassen – und dies hat mehrere Gründe. Erstens erwartet sie im Herbst ein (erstes) Kind zusammen mit dem Tenor Simon Bode. Zweitens werde es, wie sie sagt, nach 18 Jahren eines festen Bühnenengagements Zeit für einen „Fokuswechsel“, drittens wolle Nürnberg aufgrund der Corona-pandemie das geplante neue Konzerthaus nicht mehr bauen. Enttäuschung schwingt da eindeutig mit; ursprünglich hatte sie bis zur Weihe des
Hauses Generalmusikdirektorin in Nürnberg bleiben wollen.
Ein vierter Grund aber liegt unausgesprochen auch auf der Hand: Kaum ein renommiertes Orchester, kaum ein weitblickender Intendant, kaum eine gesellschaftspolitisch denkende Kulturreferentin, der oder die jetzt nicht viel dransetzen werden, auch in publikums- und imagewirksamer Hinsicht Dirigentinnen einzusetzen, ja zu favorisieren. Man schaue die kommenden Spielpläne und deren Besetzungen durch. Spät, aber endlich greifend, erhalten Dirigentinnen Angebote über Angebote, auf dass sie ihr Talent, ihr Können, ihr reproduzierendes Einfühlungsvermögen
auch vor den traditionsverhafteten berühmten Orchestern demonstrieren. Der Umschwung geht so schnell, dass misstrauisch leider auch an Opportunismus hier und da zu denken ist, nicht nur an Intendanten-überzeugung.
Aber Joana Mallwitz, dazu die 43-jährige Oksana Lyniv, die gerade in Bayreuth erfolgreich debütierte, die 39-jährige Karina Canellakis, die 34-jährige Mirga Grazinyte-tyla, die 46-jährige Koreanerin Sung Shiyeon: Sie alle brauchen beziehungsweise bräuchten keine Festengagements mehr. Sie sind europaweit, ja weltweit aus sowohl professionellem als auch gesellschaftspolitischem Grund gefragt.
2019 und 2020 wurde die in Hildesheim geborene Joana Mallwitz vom Magazin Opernwelt zur Dirigentin des Jahres gekürt. Mal sehen, wie es weitergeht. Rüdiger Heinze