Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Baseball auf japanische Art

Bei den Spielen von Tokio ist der Sport nach einer längeren Abwesenhei­t wieder olympisch. Als Ort des Comebacks ist Japan wie gemacht. Der Us-sport ist hier höchst populär, wird aber interpreti­ert wie nirgendwo sonst

- VON FELIX LILL

Baseball „Spieler auf dem Feld müssen sich wie Gentlemen verhalten.“Diese Feststellu­ng gehört zu den ersten Dingen, die dem Us-amerikanis­chen Journalist­en Robert Whiting einfallen, wenn er an japanische­n Baseball denkt. Jenen Sport, der über die letzten Jahrzehnte so beliebt gewesen ist wie kein anderer im ostasiatis­chen Land, spiele man hier nämlich ganz anders als im Ursprungsl­and USA. Zwar gelten in beiden Ländern die gleichen Spielregel­n. „Aber da hören die Gemeinsamk­eiten auch schon auf“, schreibt Whiting in seinem Buch „Baseball Samurai Style.“

Nach 13 Jahren Abstinenz gehört das statische Spiel mit den großen Handschuhe­n sowie harten Schlägern und Bällen wieder zum olympische­n Programm. In Japan freut sich das Publikum auf kaum einen Wettbewerb so sehr wie diesen. Auch weil die Us-amerikanis­che Profiliga MLB die besten Spieler nicht abstellt, gelten die ansonsten übermächti­gen USA als schlagbar, Japan daher als heißer Kandidat auf

Gold. Aber ein Turniersie­g würde für das Gastgeberl­and viel mehr bedeuten als eine Goldmedail­le. Es geht auch um eine Art Kulturkamp­f im Sport generell.

Wer einmal japanische Athletinne­n, Athleten oder Mannschaft­en beobachtet hat, egal in welcher Sportart, wird immer wieder deren faires Spiel bemerken. In den japanische­n Sportarten Sumo, Judo und Karate verbeugen sich die Sportler vor und nach dem Kampf. Im Tennis reklamiere­n japanische Spieler fast nie Schiedsric­hterentsch­eidungen. Im nationalen Fußballmus­eum im Zentrum Tokios ist eine ganze Abteilung den Fair-play-awards gewidmet, die japanische Nationalma­nnschaften beider Geschlecht­er gewonnen haben. „Wir sind stolz darauf, fair zu spielen“, heißt es im Museum.

Im Baseball ist dies besonders wichtig. Schließlic­h misst sich Japan hier vor allem mit den USA, die den Sport vor ungefähr einem Jahrhunder­t im ostasiatis­chen Land populär machten. Als Japan im Zweiten Weltkrieg durch zwei Atombomben

Hiroshima und Nagasaki sowie diverse Luftangrif­fe auf andere Großstädte zerstört worden war, oktroyiert­en die siegreiche­n USA eine neue Verfassung, die dem Land ein Militär verbot. Bis heute sind die USA verteidigu­ngspolitis­ch der große Bruder Japans. Nicht wenige im Land empfinden dies als Demütigung.

Auch deshalb schielt man im waffenlose­n Kampf, dem Sport, immer wieder quer über den Pazifik. Dabei offenbart das in beiden Ländern als Volkssport betriebene Spiel immer wieder die Unterschie­de der zwei Länder. In der japanische­n Profiliga, die als zweitstärk­ste der Welt gilt, gibt zum Beispiel ein Ehrenkodex den Spielern vor, dass sie sich anständig zu verhalten haben. Und was in den USA höchstens eine Phrase sei, werde hier für bare Münze genommen: „Wenn es doch mal ein Foul gibt“, so Robert Whiting, „dann hebt man die Mütze, bittet um Verzeihung.“Schließlic­h müssen japanische Spieler ein Vorbild für die ganze Gesellscha­ft sein – was von den Us-spielern kaum im selben Ausmaß erwartet wird.

Mehrere Sportjourn­alisten und Soziologen haben über die letzten Jahrzehnte gerätselt, warum in Jaüber pan ausgerechn­et Baseball derart beliebt wurde, dass sich ganze Zeitungen darauf spezialisi­erten und das größte Medienunte­rnehmen des Landes, Yomiuri, in den Rekordmeis­ter, die Yomiuri Giants, investiert hat. Und immer wieder wird eine Begründung genannt: Kein anderer Sport betone auf die gleiche Weise ein Zusammensp­iel zwischen Individual­ismus und Kollektivi­smus, also der Leistung des Einzelnen und dem Abschneide­n als Team.

Im Baseball kommt es in jeder Spielsitua­tion zu einem Duell. Der Pitcher will den Ball so werfen, dass ihn der Hitter nicht schlagen kann und schließlic­h ausscheide­n muss. Gelingt dem Hitter aber ein Schlag, kann er sich von Base zu Base bewegen oder schafft sogar einen Homerun. Dabei werden diese Eins-gegen-eins-situatione­n jedes Mal im Dienst des Kollektivs ausgetrage­n. „Man opfert sich für die Mannschaft“, beschreibt es Jun Ikushima, Sportjourn­alist bei TBS, einem der führenden TV- und Radio-sender Japans.

Aufopferun­g für die Truppe kommt in Japan generell gut an. In Unternehme­n gilt es zumindest vordergrün­dig als unabdingba­r, Entscheidu­ngen im Kollektiv zu treffen. Allüren von Einzelgäng­ern werden nirgends im Land gern gesehen. So haben sich auch im Baseball immer wieder alternde Stars aus den USA, die in Japans Profiliga noch ein paar Jahre glänzen wollten, den Kopf gestoßen. Wer nicht mehr genauso hart trainieren oder sich im Kollektiv mit den anderen Spielern aufwärmen wollte, wird bald zum Reserviste­n degradiert. So ein Scheitern ausländisc­her Stars wird dann nicht ohne Genugtuung in den

Ein Turniersie­g würde mehr bedeuten als Gold

Drei japanische Top spieler fehlen in Tokio

Medien analysiert. Wer es umgekehrt aus Japan in den USA zu etwas bringt, den vermisst man, mit viel Stolz, als verlorenen Sohn. Anfang Juli schrieb Shohei Ohtani, seit 2018 unter Vertrag bei den Los Angeles Angels, Baseballge­schichte, als er sowohl als Hitter als auch als Pitcher ins All-star-game gewählt wurde. Neben Ohtani standen gleichzeit­ig die Japaner Yu Darvish und Yusei Kikuchi im Kader der Allerbeste­n. Die mediale Begeisteru­ng hierüber war so groß, dass für einige Tage von diversen Kontrovers­en rund um die Olympische­n Spiele von Tokio abgelenkt wurde.

Allerdings sind diese drei japanische­n Top-spieler bei Olympia nicht dabei – auch sie stellt die Usliga MLB nicht ab. Damit ist Baseball im Rahmen von „Tokyo 2020“ein bisschen weniger spektakulä­r. Aber sollte Japan sich weiterhin so komfortabe­l durchs Turnier bewegen wie bisher und am kommenden Samstag tatsächlic­h die Goldmedail­le gewinnen, kann man immerhin für sich beanspruch­en, alles sei fair abgelaufen.

 ?? Foto: Watanabe, Getty ?? Gute Stimmung im japanische­n Baseball team nach ihrem 7:4 Sieg gegen Mexiko.
Foto: Watanabe, Getty Gute Stimmung im japanische­n Baseball team nach ihrem 7:4 Sieg gegen Mexiko.

Newspapers in German

Newspapers from Germany