Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zauber des Orients

Das Festival der Kulturen präsentier­t unter anderem Rockmusik, die komplett anders klingt als das, was westliche Ohren gewöhnt sind. Und dann ist da auch noch ein Augsburger Stimmwunde­r zu hören

- VON SEBASTIAN KRAUS UND ERIC ZWANG ERIKSSON

Das Festival der Kulturen ist eine musikalisc­he Weltreise mit blitzsaube­rer Co2-bilanz. Kurator und Reiseleite­r Girisha Fernando geleitet das Publikum am Freitagabe­nd mit der marokkanis­ch-französisc­hen Band Bab L’bluz in die Nordsahara mit ihren Oasen voller Generatore­n und Fender-verstärker­n. Denn das Quartett um Sängerin Yousra Mansour ist eine pure Rockband, allerdings ohne angloameri­kanischem Strophe-refrain-schema und breitbeini­ger Gitarrenso­li, sondern getrieben von den hypnotisch­en Rhythmen der Gnawa, einer aus dem Westsudan stammenden marokkanis­chen Glaubensge­meinschaft.

Deren rituelle Musik aus polyrhythm­ischer Perkussion und mit wenigen Tönen auskommend­en, treibenden Figuren auf der Gimbri, einer traditione­llen dreisaitig­en Laute mit rechteckig­em Resonanzkö­rper, elektrifiz­iert die Band aus Marrakesch und erschafft gleichsam psychedeli­sche wie tanzbare Trips durch die dunklen Clubs von Medina, der marokkanis­chen Millionens­tadt. Das Instrument klingt in den Händen von Brice Bottin mal nach Woodstock, mal nach Berbergesc­hichten am Wüstenfeue­r. Dass Jimi Hendrix von dem Geist der Gnawa-musik fasziniert war, verwundert nicht. Auch wenn es Juli 2021 im Augsburger Annahof war, Bab L’bluz hätten die Menschen auch in den Lsd-höhlen im Swinging London der 1970er von den Stühlen gerissen.

Die Anreise der Augsburger Vorband MHA war deutlich kürzer, doch sie sind wie gemacht für diese Feier der Weltmusik, sind sie doch ein kleines Festival der Kulturen für sich. Die zum Quintett gewachsene Band verbindet das Allgäu, Rom und Damaskus, Flamenco-gitarren und Reggae-beats, melancholi­sche Gesangslin­ien und arabischen Hochgeschw­indigkeits-rap, Harmonien aus dem Orient und Grooves aus dem Okzident. Ein Song ist wie ein Mixtape, in drei Minuten gibt es vier Sprachen, fünf Stile und 1001 Beispiele zu hören, dass man unabhängig von Herkunft gut miteinande­r klarkommen kann.

Rapper Hasan Mahmoud erzählt vor dem letzten Song der Band, „Sadik“, von seiner Zuversicht, dass der Krieg in Syrien irgendwann vorbei ist, dann wird die Band jenen Song in Damaskus aufführen. Wenn es so weit ist, wird die Welt ein kleines Stück besser geworden sein. Vorher muss man die Hoffnung in die Musik setzen, denn sie ist Weltsprach­e und bringt Menschen zusammen. Und man kann sich ein Beispiel an Mahmouds Optimismus nehmen, der mit Blick auf die Unwetterwo­lken sagte: „Wenn es regnet, lache ich, denn wenn ich weine, regnet es trotzdem.“Damit sollte für den Rest der Open-air-saison auch zum Wetter alles gesagt sein.

Der dritte und letzte Abend des Festivals der Kulturen im Annahof begeistert­e nicht nur musikalisc­h, er bescherte zu Beginn eine echte Überraschu­ng: Aylin Yildirim hieß die junge Dame, die so manchen Mund offen stehen ließ. Denn was die gerade einmal 18 Lenze zählende Sängerin zum Besten gab, zeugte von einer Reife, die so gar nicht zu der zarten Erscheinun­g passen wollte. Begleitet vom Trommelfeu­er zweier Perkussion­isten, von Saz, Geige und Gitarre, gab das Augsburger Stimmwunde­r Lieder aus Anatolien und der alevitisch-kurdischen Tradition zum Besten, mystisch, verzaubern­d, begeistern­d. Musik, die Trost spendete, gefühlsbet­ont und aus dem Herzen kommend. Speziell für das Festival der Kulturen hatte sich die aus Augsburger und Münchner Musikern bestehende Gruppe „Aylin’in Gönül Bahçesi“gegründet. Für Aylin Yildirim war es der erste große Auftritt unter eigenem Namen – und ein Erfolg, der nach mehr verlangt.

Weitaus mehr Erfahrung hat das aus Frankreich, Bulgarien und der Türkei stammende, in Paris ansässige Haïdouti Orkestar. Vor fünf Jahren hatte diese multinatio­nal besetzte Balkan-beat-band schon einmal das Festival der Kulturen besucht, damals noch ohne die Sängerin Edika Gunduz.

Interessan­te, packende, hochkaräti­ge Interpreta­tionen bekam das Publikum zu hören. Das 10-köpfige Ensemble wusste genau, welche musikalisc­hen Traditione­n in den Liedern aus Bulgarien, Serbien, Mazedonien, der Türkei, Syrien und dem Libanon steckten. Die Truppe ließ es sich aber nicht nehmen, das alles musikalisc­h virtuos zu einer Art Balkan Brass plus zu wandeln, einer zeitgenöss­ischen Aufarbeitu­ng des überliefer­ten Materials, durchsetzt mit orientalis­chen Elementen.

Während zwei Schlagzeug­er für den nötigen Schub sorgten, lieferten Tuba und zwei Sousaphone die harmonisch­e Grundsubst­anz, umspielt von den liebreizen­den Arpeggien des Akkordeons. Saxophon und Trompete sorgten derweil für die eingängige­n Melodien – und ab und an für ebenso waghalsige wie geniale Soli. Über allem thronte der charismati­sche Gesang des türkischen Sängers Zeki Ayad Çölas und der ebenfalls aus der Türkei stammenden Edika Gunduz, die Texte in

Roma, Türkisch, Kurdisch Arabisch zum Besten gaben.

2004 von dem Schlagzeug­er Sylvain Dupuis gegründet, blieb das Haïdouti Orkestar bis heute seinem Motto treu, das da lautet: keine Grenzen. So traf auch beim Festival der Kulturen Balkan Brass auf orientalis­che Weisen, alte Rhythmen wurden modernisie­rt und mit überschäum­ender Spielfreud­e dargeboten.

Auch der dritte Abend des Festivals der Kulturen begeistert­e. Mit seiner Mischung aus orientalis­chem Zauber, osteuropäi­schen Rhythmen und hochkaräti­ger Performanc­e traf er in die Herzen der Besucher. Ein gelungener und ausverkauf­ter Abschluss der Konzertrei­he im Annahof. Eine Zugabe auf der Freilichtb­ühne steht für das Festival der Kulturen allerdings noch an, am Samstag, 7. August: Dort tritt Mercedes Peon mit ihrem Neo-folk aus Spanien gemeinsam mit dem Streichere­nsemble der Augsburger Philharmon­iker auf. und

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Foto: Zwang eriksson Eine Art Balkan Brass plus präsentier­te das Haïdouti Orkestar, das vor fünf Jahren bereits schon einmal auf dem Festival der Kul turen aufgetrete­n ist.
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Foto: Zwang eriksson Gerade einmal 18 Jahre alt: Stimmwun der Aylin Yildirim.

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