Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zauber des Orients
Das Festival der Kulturen präsentiert unter anderem Rockmusik, die komplett anders klingt als das, was westliche Ohren gewöhnt sind. Und dann ist da auch noch ein Augsburger Stimmwunder zu hören
Das Festival der Kulturen ist eine musikalische Weltreise mit blitzsauberer Co2-bilanz. Kurator und Reiseleiter Girisha Fernando geleitet das Publikum am Freitagabend mit der marokkanisch-französischen Band Bab L’bluz in die Nordsahara mit ihren Oasen voller Generatoren und Fender-verstärkern. Denn das Quartett um Sängerin Yousra Mansour ist eine pure Rockband, allerdings ohne angloamerikanischem Strophe-refrain-schema und breitbeiniger Gitarrensoli, sondern getrieben von den hypnotischen Rhythmen der Gnawa, einer aus dem Westsudan stammenden marokkanischen Glaubensgemeinschaft.
Deren rituelle Musik aus polyrhythmischer Perkussion und mit wenigen Tönen auskommenden, treibenden Figuren auf der Gimbri, einer traditionellen dreisaitigen Laute mit rechteckigem Resonanzkörper, elektrifiziert die Band aus Marrakesch und erschafft gleichsam psychedelische wie tanzbare Trips durch die dunklen Clubs von Medina, der marokkanischen Millionenstadt. Das Instrument klingt in den Händen von Brice Bottin mal nach Woodstock, mal nach Berbergeschichten am Wüstenfeuer. Dass Jimi Hendrix von dem Geist der Gnawa-musik fasziniert war, verwundert nicht. Auch wenn es Juli 2021 im Augsburger Annahof war, Bab L’bluz hätten die Menschen auch in den Lsd-höhlen im Swinging London der 1970er von den Stühlen gerissen.
Die Anreise der Augsburger Vorband MHA war deutlich kürzer, doch sie sind wie gemacht für diese Feier der Weltmusik, sind sie doch ein kleines Festival der Kulturen für sich. Die zum Quintett gewachsene Band verbindet das Allgäu, Rom und Damaskus, Flamenco-gitarren und Reggae-beats, melancholische Gesangslinien und arabischen Hochgeschwindigkeits-rap, Harmonien aus dem Orient und Grooves aus dem Okzident. Ein Song ist wie ein Mixtape, in drei Minuten gibt es vier Sprachen, fünf Stile und 1001 Beispiele zu hören, dass man unabhängig von Herkunft gut miteinander klarkommen kann.
Rapper Hasan Mahmoud erzählt vor dem letzten Song der Band, „Sadik“, von seiner Zuversicht, dass der Krieg in Syrien irgendwann vorbei ist, dann wird die Band jenen Song in Damaskus aufführen. Wenn es so weit ist, wird die Welt ein kleines Stück besser geworden sein. Vorher muss man die Hoffnung in die Musik setzen, denn sie ist Weltsprache und bringt Menschen zusammen. Und man kann sich ein Beispiel an Mahmouds Optimismus nehmen, der mit Blick auf die Unwetterwolken sagte: „Wenn es regnet, lache ich, denn wenn ich weine, regnet es trotzdem.“Damit sollte für den Rest der Open-air-saison auch zum Wetter alles gesagt sein.
Der dritte und letzte Abend des Festivals der Kulturen im Annahof begeisterte nicht nur musikalisch, er bescherte zu Beginn eine echte Überraschung: Aylin Yildirim hieß die junge Dame, die so manchen Mund offen stehen ließ. Denn was die gerade einmal 18 Lenze zählende Sängerin zum Besten gab, zeugte von einer Reife, die so gar nicht zu der zarten Erscheinung passen wollte. Begleitet vom Trommelfeuer zweier Perkussionisten, von Saz, Geige und Gitarre, gab das Augsburger Stimmwunder Lieder aus Anatolien und der alevitisch-kurdischen Tradition zum Besten, mystisch, verzaubernd, begeisternd. Musik, die Trost spendete, gefühlsbetont und aus dem Herzen kommend. Speziell für das Festival der Kulturen hatte sich die aus Augsburger und Münchner Musikern bestehende Gruppe „Aylin’in Gönül Bahçesi“gegründet. Für Aylin Yildirim war es der erste große Auftritt unter eigenem Namen – und ein Erfolg, der nach mehr verlangt.
Weitaus mehr Erfahrung hat das aus Frankreich, Bulgarien und der Türkei stammende, in Paris ansässige Haïdouti Orkestar. Vor fünf Jahren hatte diese multinational besetzte Balkan-beat-band schon einmal das Festival der Kulturen besucht, damals noch ohne die Sängerin Edika Gunduz.
Interessante, packende, hochkarätige Interpretationen bekam das Publikum zu hören. Das 10-köpfige Ensemble wusste genau, welche musikalischen Traditionen in den Liedern aus Bulgarien, Serbien, Mazedonien, der Türkei, Syrien und dem Libanon steckten. Die Truppe ließ es sich aber nicht nehmen, das alles musikalisch virtuos zu einer Art Balkan Brass plus zu wandeln, einer zeitgenössischen Aufarbeitung des überlieferten Materials, durchsetzt mit orientalischen Elementen.
Während zwei Schlagzeuger für den nötigen Schub sorgten, lieferten Tuba und zwei Sousaphone die harmonische Grundsubstanz, umspielt von den liebreizenden Arpeggien des Akkordeons. Saxophon und Trompete sorgten derweil für die eingängigen Melodien – und ab und an für ebenso waghalsige wie geniale Soli. Über allem thronte der charismatische Gesang des türkischen Sängers Zeki Ayad Çölas und der ebenfalls aus der Türkei stammenden Edika Gunduz, die Texte in
Roma, Türkisch, Kurdisch Arabisch zum Besten gaben.
2004 von dem Schlagzeuger Sylvain Dupuis gegründet, blieb das Haïdouti Orkestar bis heute seinem Motto treu, das da lautet: keine Grenzen. So traf auch beim Festival der Kulturen Balkan Brass auf orientalische Weisen, alte Rhythmen wurden modernisiert und mit überschäumender Spielfreude dargeboten.
Auch der dritte Abend des Festivals der Kulturen begeisterte. Mit seiner Mischung aus orientalischem Zauber, osteuropäischen Rhythmen und hochkarätiger Performance traf er in die Herzen der Besucher. Ein gelungener und ausverkaufter Abschluss der Konzertreihe im Annahof. Eine Zugabe auf der Freilichtbühne steht für das Festival der Kulturen allerdings noch an, am Samstag, 7. August: Dort tritt Mercedes Peon mit ihrem Neo-folk aus Spanien gemeinsam mit dem Streicherensemble der Augsburger Philharmoniker auf. und