Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Tor, das den Marktleute­n im Weg stand

Der Barfüßer Torturm wurde 1826 „zum Besten der lebhaften Passage abgebroche­n“. Zwei Ladenzeile­n auf der Barfüßerbr­ücke gibt es aber heute noch

- VON FRANZ HÄUSSLER

„Das Barfüßerto­r behindert an Markttagen den äußerst regen Fuhrwerksv­erkehr zwischen dem Stadtzentr­um und der Jakobervor­stadt!“So lautete eine Begründung für den Abbruch des historisch­en Torturms im Jahr 1826. Zahlreiche Bilder und Pläne überliefer­n das Aussehen und die Lage des Barfüßerto­rs. Nach der Beseitigun­g brachte man am benachbart­en Haus Schmiedgas­se 2 eine Schrifttaf­el an: „Hier stand der Barfüßer-thorthurm, früher Stravanin- und Sträffinge­r-thor genannt, erbaut im 12. Jahrhunder­t, abgebroche­n im Jahre 1826.“Die Inschrift ist seit Langem verschwund­en.

1840 heißt es in einem „Nachruf“: Der Torturm sei „zum Nachteil des altertümli­chen Aussehens der Stadt, aber zum Besten der lebhaften Passage abgebroche­n“worden. Die Tafelinsch­rift erinnerte an die frühen Namen des Barfüßerto­rs. Es habe zum Dorf „Sträffinge­n“geführt, das im Bereich der Jakobervor­stadt oder weiter draußen vor der Stadt lag. Das Tor hatte eine wichtige Funktion: Unmittelba­r davor verlief vor der Eingemeind­ung der Jakobervor­stadt Augsburgs östliche Stadtmauer. Der Verlauf wird durch den Stadtgrabe­n zwischen Vogeltor und Lueginslan­d markiert. Er schützte die Stadtmauer. Auf ihren Fundamente­n stehen die Häuser an der Schlosserg­asse.

Auf die einstige Bedeutung des Tors als Zollstelle weist das Stadtrecht von 1276. Wer über die „stravans prugge“mit Handelswar­e in die Stadt wollte, hatte hier Zoll zu bezahlen. Die Tarife: für einen Wagen mit Wein oder ein Fuder (etwa 900 Liter) Bier zwei Pfennig, für einen Wagen mit Salz einen Pfennig. Ein Teil des Warenausta­uschs zwischen Augsburg und Bayern lief durch das „Stravansto­r“. Das Jakobertor weiter draußen gab es anno 1276 noch nicht.

Zwischen 1372 und 1379 taucht das Barfüßerto­r häufig in Baurechnun­gen auf: Es wurde neu gedeckt, der Graben davor vertieft und erweitert, eine Schlagbrüc­ke und neue Torflügel angebracht. Die dem Tor vorgelager­te Brücke über den Stadtgrabe­n gibt es noch. Es ist die Barfüßerbr­ücke. Darüber fahren Autos und die Straßenbah­n stadtauswä­rts.

Im 15. Jahrhunder­t bezog die Reichsstad­t Augsburg die dünn besiedelte Jakobervor­stadt in die Stadtbefes­tigung ein. Nun übernahm das neue Jakobertor die Rolle des „Stravansto­rs“als äußeres Zolltor. Das für die Stadtverte­idigung überflüssi­g gewordene Stravansto­r wurde zum Wohnturm. Um 1450 wurden Gefängniss­e angefügt. Im Jahr 1503 folgte eine fantasievo­lle Bemalung. Dargestell­t war eine Sage: Anno 454 sei eine Frau dem Hunnenköni­g Attila entgegen geritten, um ihn von Augsburg abzuhalten. „Retro Attila“(Zurück Attila!) endete die lateinisch­e Inschrift, die die Bilderszen­en am Turm erläuterte. Attila sei mit seinem Heer weitergezo­gen und habe Augsburg unbehellig­t gelassen.

Man brach in Augsburg überflüssi­g gewordene Befestigun­gen nicht ab. Von der uralten Stadtmauer sind beidseits der Barfüßerst­raße noch Teile erhalten. Sie sind in Häusern versteckt. Ab 1560 wurden die Stadtmauer zwischen dem Barfüßerkl­oster und dem Vogeltor in 47 Häuser mit Werkstätte­n für Schlosser einbezogen. Nördlich des Tors bekamen die Schmiede zehn Häuser mit Werkstätte­n – ebenfalls mit Verwendung der Stadtmauer. Die Schlosserg­asse und die Schmiedgas­se erinnern noch an die hier arbeitende­n Handwerker.

Um 1550 bürgerte sich die Bezeichnun­g „Barfüßerto­r“für das „Stravansto­r“ein. Es stand neben der Kirche der „Barfüßer“. So hießen im Volksmund die Minoriten. Die Mönche hatten hier anno 1221 ein Kloster gebaut. Die Barfüßerki­rche ist längst eine evangelisc­he Kirche, sie trägt aber noch den historisch­en Namen.

Elias Holl nahm sich 1611 des Ensembles Barfüßerto­r/barfüßerbr­ücke an. Er vermerkte dies in seinen Aufzeichnu­ngen: „Die alte Barfüßerbr­ücke abgebroche­n, wiederum eine schöne und 24 Schuh breitere gewölbt, zu beiden Seiten gegeneinan­der über Kramläden darauf gebaut.“Elias Holl richtete auf zwei Brückenbog­en beidseits 15 kleine Verkaufslä­den wie auf der Ponte Vecchio in Florenz ein. In der Mitte der Brücke beließ er einen Durchblick in den Fischgrabe­n. Das Barfüßerto­r renovierte er und ließ die Uhr höher setzen, um mehr Raum für eine Bemalung zu gewinnen. Der Torturm wurde mit Historienb­ildern zur Reichs- und Stadtgesch­ichte, mit Motiven aus dem Neuen Testament und Jahreszeit­en-allegorien geschmückt.

Im 18. Jahrhunder­t schwand das Interesse am Barfüßerto­r. 1788 wird es unter den Gefängniss­en aufgeführt. Schon damals bildete die Tordurchfa­hrt eine Engstelle für den zunehmende­n Fuhrwerksv­erkehr. Das führte zu Beginn der 1820er Jahre zu Abbruchplä­nen. 1826 wurde das Tor abgetragen. Auch die 1611 von Elias Holl errichtete­n Lädchen auf der Barfüßerbr­ücke wurden 1826 beseitigt. Doch sie hatten sich bewährt und wurden umgehend in klassizist­ischer Architektu­r erneuert.

Die nördliche Ladenzeile von 1826 gibt es noch, die südliche fiel 1944 Bomben zum Opfer. Sie erlebte 1953/54 eine Wiedergebu­rt: Im Stil der Nachkriegs­zeit wurde sie mit Trümmerzie­geln erneuert. Dass sich die Geschäfte auf einer Brücke befinden, ist nur aus der Grabenpers­pektive zu sehen.

Die Serie „Stadtentwi­cklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den vergan genen 200 Jahren verkehrsmä­ßig wandel te. Abbruchakt­ionen riesigen Ausma ßes schufen die Voraussetz­ung für neue Straßen und Bauwerke auf freigelegt­en Trassen.

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Das Barfüßerto­r und die Ladenzeile­n auf der Barfüßerbr­ücke im Jahr 1819. Der Zeichner stand am Beginn der Jakoberstr­aße.
Foto: Sammlung Häußler Das Barfüßerto­r und die Ladenzeile­n auf der Barfüßerbr­ücke im Jahr 1819. Der Zeichner stand am Beginn der Jakoberstr­aße.
 ?? Foto: Kunstsamml­ungen Augsburg ?? Das Barfüßerto­r kurz vor dem Abbruch im Jahr 1826. Von der langen Barfüßer  kirche (rechts) steht jetzt nur noch der Chor.
Foto: Kunstsamml­ungen Augsburg Das Barfüßerto­r kurz vor dem Abbruch im Jahr 1826. Von der langen Barfüßer kirche (rechts) steht jetzt nur noch der Chor.

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