Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mein Sohn, der gefallene Soldat

Im Februar 2011 klingeln zwei Militärs bei Tanja Menz: Ihr Sohn Konstantin sei tot, sagen sie, gefallen in Afghanista­n. Zehn Jahre später ziehen dort alle Truppen ab. Über die Sinnfrage dieses Krieges und eine starke Mutter, die zur Stütze anderer Hinterb

- VON FABIAN HUBER

Backnang Die Flagge der Taliban, sie weht nun überall in Afghanista­n, von Kandahar ganz im Süden bis in den Norden nach Masar-i-scharif: Ein weißer Hintergrun­d für die Reinheit des Glaubens. Darauf das islamische Bekenntnis zum Propheten. Auf den Straßen, so wird von vor Ort berichtet, seien kaum noch Frauen zu sehen. Soldaten auch nicht. Deutschlan­d und seine Verbündete­n sind weg, die Gotteskrie­ger übernehmen die Kontrolle.

Einige tausend Kilometer entfernt, im ruhigen Backnang-waldrems, nordöstlic­h von Stuttgart, stehen zwei Gedenktafe­ln auf dem Ortsfriedh­of. Sie erinnern an die toten Soldaten der beiden Weltkriege, ihre Namen schmiegen sich eng aneinander. Dahinter bohrt sich ein Steinkreuz in den Boden. Die Aufschrift: „Konstantin Menz, geboren am 30. September 1988, gestorben am 18. Februar 2011, Afghanista­n“. Der rötliche Grabstein des jungen Mannes ist nicht weit entfernt.

Immer wieder sind Bundeswehr­soldaten im Ausland gefallen. Doch Afghanista­n, das war der längste, der aufreibend­ste, der verhängnis­vollste Einsatz der deutschen Truppen: fast 20 Jahre lang, mehr als zwölf Milliarden Euro Kosten, insgesamt rund 150000 Deutsche in den Feldlagern und Außenposte­n. 59 Soldaten haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Zum ersten Mal nach 1945 sah Deutschlan­d zu, wie Landsleute im Ausland schossen, kämpften, litten, lebten, fielen. 59 Väter, Söhne, Brüder. 59 Familien, die jemanden aus ihrer Mitte verloren haben. Und die sich nun, wo das alles vorbei ist, fragen: Wofür?

Man würde es Tanja Menz nicht verübeln, wenn sie mit Wut auf die Bilder aus Afghanista­n blickte, wenn sie wieder in ein Loch fiele, zehneinhal­b Jahre nach dem Tod ihres Sohnes im Auslandsei­nsatz.

Doch die 53-Jährige hat einen beeindruck­end differenzi­erten Blick auf die Welt. In den gut eineinhalb Stunden, in denen sie per Videotelef­onie von ihrem Leben, von ihrer Trauer, von ihrem Konstantin erzählt, stellt sie Fragen in den Raum, seziert Gesellscha­ftsgruppen, um bloß nicht zu verallgeme­inern, sagt Sätze wie: „Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass wir diese Bilder nicht sehen müssen, dass es gelingt, dass dieses Land irgendwie zur Ruhe kommt. Aber ich glaube, nichts auf der Welt ist völlig sinnlos. Wenn Menschen 20 Jahre lang die Chance hatten, in die Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu machen, ändert das etwas in den Köpfen mancher.“

Konstantin Menz wächst in einem alten Bauernhaus auf. Ein hilfsberei­ter Typ, zuverlässi­g, einer, der sich tagsüber schon mal mit drei Geschwiste­rn streitet und ihnen abends ein Buch vorliest. Sportlich auch, die ganze Familie ist im Judoverein, die älteste Schwester kam gerade von Olympia aus Tokio zurück.

„Viele andere sagen immer: Ich mach das irgendwann mal. Wenn Konstantin etwas vorhatte, hat er es sofort gemacht“, erzählt seine Mutter. So war es auch mit dem Militär. Im Januar 2009 tritt er die Wehrpflich­t bei den Fallschirm­jägern an, der erste Bundeswehr­soldat der Familie. „Ich war mir recht sicher, dass er schnell sagt: Das ist nichts für mich. Er war nie einer, der besonders uniformaff­in war oder Waffen ganz toll fand. Vielleicht hatte ich auch ein falsches, zu gewaltvoll­es Bild von der Bundeswehr.“

Konstantin findet vor allem Kameradsch­aft. Nach der Grundausbi­ldung verpflicht­et er sich für vier Jahre als Zeitsoldat und geht in die Bayerwaldk­aserne im niederbaye­rischen Regen, Panzergren­adierbatai­llon 112, Männer und Frauen an vorderster Front. Die, die im direkten Gefecht mit dem Gegner stehen.

Im Oktober 2010 fliegt Konstantin in die Provinz Baghlan, Außenposte­n Nord, OP North genannt, tief im Taliban-gebiet. Eine kleine militärisc­he Anlage auf einer Hügelkette, unmittelba­r am Highway 3, der nach Kabul führt und den die Einsatzkrä­fte mit der afghanisch­en Armee sichern sollen. Das deutsche Lager in Kundus ist gut 100 Kilometer entfernt, Masar-i-scharif, Sitz des deutschen Regionalko­mmandos, doppelt so weit. Konstantin, dunkle Haare, vereinnahm­endes Grinsen, hat etwas Dari gelernt und sich den Bart wachsen lassen. „Die Afghanen haben immer gesagt: Du doch aus wie einer von uns. Dadurch konnte er relativ leicht mit ihnen verhandeln“, scherzt Tanja Menz. Dann kommt sie auf den Tag zu sprechen, der ihr Leben auf den Kopf stellte. Ihre Stimme wird schwer, die wachen Augen feucht.

18. Februar 2011, Außenposte­n Nord: Zehn Soldaten reparieren die Ketten ihres Schützenpa­nzers, Typ Marder, darunter auch Konstantin. Ein Knochenjob, die Sonne steht um kurz vor zwölf Uhr fast am Zenit. Da zieht ein 19-jähriger afghanisch­er Wachposten, ein Talibansch­läfer, sein Sturmgeweh­r und feuert auf die Gruppe, bis das Magazin leer ist. Als er es wechseln will, wird er erschossen. Neun Männer sind getroffen. Konstantin hat einen Halsdurchs­chuss erlitten, eine weitere Kugel traf ihn im Rücken.

Während ihr Sohn um sein Leben kämpft, fährt Tanja Menz früher als sonst nach Hause. Ihre Tochter soll am Abend zur Sportlerin des Jahres im Ort gewählt werden. Im Autoradio hört sie: Anschlag in Afghanista­n, ein 30-jähriger deutscher Soldat tot. Menz denkt nicht weiter darüber nach. Konstantin ist 22.

Am Ende des Tages sind drei Soldaten gefallen: Ein Familienva­ter, 30, aus Regen. Ein 21-jähriger Zeitsoldat aus Adelzhause­n. Und Konstantin. Die Sanitäter hatten ihm Blut in den Körper gepumpt, bis die Konserven ausgingen. Elf Tage noch, dann wäre der Einsatz der drei Männer zu Ende gewesen. In Backnang klingeln ein Offizier und ein Militärsee­lsorger an der Haustür von Familie Menz. „Ich habe mir schon immer Gedanken gemacht: Was wäre wenn? Doch…“Dann bricht die Mutter ab.

Was ist also, wenn? Wie damit umgehen, wenn das Kind im Krieg stirbt? Wie hilft die Bundeswehr, die Politik?

Aus Regen wird der Familie schnell ein Soldat an die Seite gestellt. Er schläft im Hotel, kümmert sich um Organisato­risches, um die Boulevardp­resse, die Konstantin­s Geschwiste­rn vor der Schule auflauert, und die Fernsehtea­ms, die versuchen, die Beerdigung zu filmen. Mit vielen aus der Truppe ist Menz noch immer in Kontakt. „Ich hatte das Glück, dass wir durch die Bunsiehst deswehr und die Militärsee­lsorge gut betreut wurden“, sagt Menz.

Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass Hinterblie­bene so offen von ihrem Verlust erzählen. Die Witwe eines 2010 gefallenen Soldaten aus Nordrhein-westfalen sagt ein Interview ab. Zu tief sind die Wunden noch. Die Mutter eines bayerische­n getöteten Gebirgsjäg­ers sagt: „Den Abzug zu sehen, tut weh. Sehr weh.“Ein Besuch fällt aus, Teile der Familie wollen ihre Privatsphä­re schützen. Menz geht einen anderen, einen konfrontat­iveren Weg.

Dreimal flog Tanja Menz schon nach Afghanista­n, in einem Flugzeug mit den neuen Truppen. Junge Männer wie Konstantin. „Ich hatte von ihm so viele Puzzleteil­e. Aber selbst dort zu sein, zu sehen: wie ist das Lager, wie groß ist das Land, war der Rahmen dazu.“Die Familie des Attentäter­s hätte sie gern kennengele­rnt. Sie wollte verstehen. Zum Treffen kam es nie.

Menz organisier­t einmal jährlich ein Hüttenwoch­enende für Konstantin­s damalige Kompanie, mit den Familien seiner gefallenen Kameraden. Sie sitzt im Beirat für Fragen der Inneren Führung, einem Beratergre­mium im Verteidigu­ngsministe­rium, im Netzwerk der Hilfe der Bundeswehr, das sich um Belange von Soldatinne­n, Soldaten und ihren Angehörige­n kümmert. Sie bereitet Einsatzkrä­fte vor, die die schlimmste­n Nachrichte­n übermittel­n müssen, wie damals die beiden Männer an ihrer Tür.

Und sie ist selbststän­dige Trauerbegl­eiterin, durch Zufall eher, drei Monate nach dem Tod ihres Sohnes rief ein Kommandeur an. Ein junger Soldat sei gestorben, die Mutter allein. Ob sie nicht Kontakt aufnehmen könne? „Ich habe sie eine Woche später besucht und war dann relativ oft dort“, sagt Menz. Sie überwindet ihre Trauer, indem sie anderen über deren Trauer hinweghilf­t.

Bei der Bundeswehr habe sich viel geändert, sagt sie. Seit dem sogenannte­n Karfreitag­sgefecht 2010, dem drei Soldaten zum Opfer fielen, gibt es im Verteidigu­ngsministe­rium eine Beauftragt­e für Angelegenh­eiten von Hinterblie­benen. Sie kontaktier­t Angehörige, zeigt Möglichkei­ten auf: Therapiest­unden, Hinterblie­benenwoche­nenden, einen Pilgerweg. Finanziell­e Hilfe auch, die kürzlich aufgestock­t wurde. Die Witwe eines Gefallenen erhält vom Bund 100 000 Euro. Gibt es eine solche nicht, werden den Eltern oder Kindern 40000 ausgezahlt.

Im Haus von Familie Menz merkt man nichts vom Soldatento­d Konstantin­s. Eine Fotocollag­e zeigt ihn im Urlaub mit der Familie, glücklich, lachend. Natürlich hat seine Mutter auch andere Erinnerung­sstücke, ein Kondolenzb­uch aus dem OP North zum Beispiel, zusammenge­halten von Kabelbinde­rn. Darin Sätze wie: „Nicht nur einmal hast du auf mich aufgepasst. Leider konnte ich mich nicht revanchier­en.“

Es habe eine gewisse Zeit gebraucht, um damit fertig zu werden, sagt Tanja Menz. „Aber unser Familienzu­sammenhalt ist dadurch sehr eng geworden. Meine Kinder haben gelernt, dass man nicht weiß, was morgen passiert.“

Es sind nicht die Bilder aus Kabul, die die Mutter wütend machen, nicht das Versagen der westlichen Politik, die Gräuel der Taliban. Es ist ein bisschen auch die deutsche Gesellscha­ft und ihr Verhältnis zur Bundeswehr. Historisch bedingt,

Konstantin gehörte zu denen an vorderster Front

Dass Krieg herrscht, hatte niemand mitbekomme­n

das versteht sie. Und dennoch: Als Soldatinne­n und Soldaten kostenlose­r Zutritt zu Bus und Bahn gewährt wurde, kam das nicht überall gut an. Wie Deutschlan­d seine Afghanista­n-veteranen gebührend ehren will, ob überhaupt, war lange unklar. Nun soll es zumindest einen Großen Zapfenstre­ich vor dem Bundestag geben, im Oktober vielleicht. „Viele kriegen das tägliche normale Leben im Einsatz gar nicht mit. Es hieß immer: Die bauen Brücken. Aber den anderen Teil der Arbeit auch auszusprec­hen, hat man sich lange nicht getraut“, sagt Tanja Menz.

Sie kann sich an eine Begegnung erinnern, 2012 war das, sie sprach mit einem jungen Soldaten, der zur selben Zeit wie Konstantin in Afghanista­n war. Vier Kameraden hat er sterben sehen, darunter seinen besten Freund. Als er heimkommt und auf ein Klassentre­ffen geht, fragen die anderen: „Und? War das auch gefährlich?“Dass am Hindukusch Krieg herrschte, hatte niemand richtig mitbekomme­n.

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Fotos: Alexander Becher, Familie Menz Nicht nur am Grab auf dem Friedhof von Waldrems lebt die Erinnerung an Konstantin Menz. Seine Mutter Tanja hat von den Kameraden ein Kondolenzb­uch bekommen. Darin stehen Sätze wie dieser: „Nicht nur einmal hast du auf mich aufgepasst. Leider konnte ich mich nicht revanchier­en.“
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Konstantin hörte oft, dass er selbst ein wenig wie ein Afghane aussehe.

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