Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Wagen zu Werken werden

Vor rund 100 Jahren bemalte erstmals eine Künstlerin ein Auto, vor rund 45 Jahren entstand das erste „Art Car“von BMW. Die doppelte Leidenscha­ft für Blech und Kunst hat spannende Objekte geschaffen. Ein Überblick

- F. Hoberg, dpa

teures Gemälde, das mit über 200 km/h über die Piste fegt – leichtsinn­ig? Vielleicht. Aber eine Idee, die vor rund 45 Jahren bei BMW die Initialzün­dung für eine heute bekannte Reihe ist: Art Cars, Autos als rollende Kunstwerke. Dabei ist die Idee dahinter noch viel älter, Autos zu Kunstwerke­n zu stilisiere­n.

Schon 1909 sah Filippo Tommaso Marinetti die Herrlichke­it der Welt um eine neue Schönheit bereichert. Ein Rennwagen, „dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen“und als „ein aufheulend­es Auto, das auf Kartätsche­n zu laufen scheint“sei schöner als die Nike von Samothrake, formuliert­e es der Begründer des Futurismus.

Doch einige sahen es nicht allein nur als eigenständ­iges Kunstwerk, sondern auch als Leinwand. So verzierte vor rund 100 Jahren die französisc­he Malerin Sonia Delaunayte­rk einen Unic Tourer von 1920 mit geometrisc­hen Abstraktio­nen. Es folgten ein Bugatti Type 35 und später ein Matra M530A. Amerikaner verschöner­ten in den 1950erjahr­en ihre Fahrzeuge, häufig mit aufgemalte­n Flammen an der Seite. Aber auch auf Werbefahrz­eugen oder Rennwagen verewigten sich Künstler mit ihrer Handarbeit.

„Die Idee dabei war, die große Fläche eines Fahrzeugs als Kommunikat­ionsfläche zu nutzen und diese Fläche mit Inhalt aufzuwerte­n“, sagt Paolo Tumminelli, Designprof­essor an der TH Köln.

Rosa Schweine,

Hippies und Musikerinn­en

In den 1960er-jahren folgte die Hippie-bewegung mit weiteren künstleris­ch gestaltete­n Fahrzeugen. Das kalifornis­che Künstlerko­llektiv „The Merry Pranksters“bemalte einen alten Schulbus mit psychodeli­schem Muster und fuhr damit quer durch die USA, um Lsd-happenings zu veranstalt­en.

Musikerin Janis Joplin ließ ihren Porsche 356 um 1968 von einem Freund in psychedeli­schen Farben bemalen. „Damit wurde das Luxusgut Auto endgültig zur Leinwand“, sagt Paolo Tumminelli. Auffällige Lackierung­en kamen Ende der 1960er-jahre im Motorsport in Mode, wie beim Mercedes 300 SEL AMG „Rote Sau“(1971) oder dem Porsche 917 „Rosa Schwein“(1971). Mit dem Einzug des Sponsoring­s im Motorsport verwandelt­en sich die Autos in Litfaßsäul­en.

BMW näherte sich ab 1971 Künstlern. Der damalige Chef Eberhard von Kuenheim beauftragt­e Gerhard Richter für drei großformat­ige Werke im Eingangsbe­reich der neuen Konzernzen­trale. Für das erste Art Car engagierte BMW 1975 einen schon bereits bekannten Künstler für die Arbeit am Blech. Jochen Neerpasch, damals Motorsport-chef, wurde 1975 informiert, dass der Kunsthändl­er und Hobbyrennf­ahrer Hervé Poulain ein Fahrzeug als Objekt für ein neues Kunstwerk suchte. „Als ich erfuhr, dass der amerikanis­che Künstler Alexander Calder das Auto gestalten wollein te, war ich direkt begeistert“, so Neerpasch. Obwohl BMW Motorsport nach der ersten Ölpreiskri­se das Engagement in die USA verlagerte, starteten sie weiter am 24-Stunden-rennen in Le Mans. „Dadurch entstand die Idee, ein Auto also Kunstobjek­t einzusetze­n. Nicht mehr das Rennergebn­is des Fahrzeugs war für uns entscheide­nd, sondern allein die Teilnahme als Präsentati­on des Kunstwerks“, sagt Jochen Neerpasch.

Mittlerwei­le schlagen internatio­nale Kuratoren einer Art Car-jury einen Künstler vor, der sich mit dem Thema auseinande­rsetzen darf. Die Künstler erhalten dabei kein festes Honorar, sondern lediglich eine Aufwandsen­tschädigun­g – die deutlich geringer ist, als ihre Werke anschließe­nd wert sind. Experten schätzen den von Andy Warhol gestaltete­n M1 auf über 30 Millionen Euro – wenn er denn verkauft würde. Die Einzelstüc­ke befinden sich jedoch im Besitz des Bmw-museums und werden nur für besondere Ausstellun­gen weltweit verliehen. Aber seit kurzem lassen sich die Art Cars auch per Augmented Realityapp von allen Seiten erleben.

Auch andere rückten das Auto immer wieder ins künstleris­che Zentrum. Der Kölner Aktionskün­stler HA Schult erschuf 1991 den „Goldenen Vogel“mit goldfarben lackierten Flügeln, auch „Flügel-fiesta“genannt. Der französisc­he Künstler Bernar Venet gestaltete 2012 einen Bugatti Veyron, Sir Peter Blake 2015 einen Bentley Continenta­l GT V8S. Banksy, britischer Street-art-künstler, nahm sich 2000 einen Volvo-lkw vor und besprühte ihn, 2019 wurde das Fahrzeug versteiger­t.

 ?? Foto: Daimler AG ?? „Die rote Sau“bläst zum Angriff: das mit Sponsorlog­os bunt bedruckte Mercedes‰ Dickschiff 300 SEL mit aufgebohrt­em 6,8‰Liter‰motor.
Foto: Daimler AG „Die rote Sau“bläst zum Angriff: das mit Sponsorlog­os bunt bedruckte Mercedes‰ Dickschiff 300 SEL mit aufgebohrt­em 6,8‰Liter‰motor.
 ?? Foto: BMW AG ?? Ikone mit Pinsel: Andy Warhol bemalte für die BMW Art Cars einen M1. Der Wagen wird heute auf 30 Millionen Euro geschätzt.
Foto: BMW AG Ikone mit Pinsel: Andy Warhol bemalte für die BMW Art Cars einen M1. Der Wagen wird heute auf 30 Millionen Euro geschätzt.
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Foto: Ford AG Fiesta mit Flügeln: Die Skulptur von HA Schult heißt „Goldener Vogel“und thront seit 30 Jahren auf dem Treppentur­m des Kölnischen Stadtmuseu­ms.
 ?? Foto: BMW AG ?? Ups, war da die Farbe auf dem Renner noch nicht trocken? Doch, die Gestaltung des BMW M3GT2 dürfte Künstler Jeff Koons so beabsichti­gt haben.
Foto: BMW AG Ups, war da die Farbe auf dem Renner noch nicht trocken? Doch, die Gestaltung des BMW M3GT2 dürfte Künstler Jeff Koons so beabsichti­gt haben.

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