Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Plötzlich euphorisch: So geht der Flick-fußball

Schon in seinem zweiten Spiel sieht der neue Bundestrai­ner viel von dem, was er sich von der Nationalma­nnschaft erwartet. Nun geht es darum, das konstant zu zeigen

- VON MARCO SCHEINHOF

Stuttgart Kurz vor Mitternach­t winkte Hansi Flick an diesem Tag zum letzten Mal. Er dürfte sich wenig später wohl mit einer leichten Überbelast­ung der Armmuskula­tur in sein Bett im Waldhotel Stuttgart gelegt haben. Für Flicks Arme war es ein anstrengen­der Spätsommer­abend. Immer wieder musste der neue Bundestrai­ner ins Publikum winken. Hansi hier, Hansi da, Winken, Lachen – auch Popularitä­t kann anstrengen­d sein. Zum letzten Mal, als Flick in den Mannschaft­sbus der deutschen Nationalma­nnschaft stieg. Draußen, vor dem Zaun, warteten noch rund 100 Fans. Sie schrien lautstark seinen Namen. Flick winkte ein letztes Mal artig. Dann schloss sich die Tür, der Bus fuhr ab mit dem Bundestrai­ner ganz vorne sitzend. Begleitet von Jubel.

Es war mal wieder ein Festtag im Rahmen eines Länderspie­ls gewesen, was in der jüngeren Vergangenh­eit so häufig vorkam wie Bescheiden­heit im Profifußba­ll. Die Auftritte der deutschen Mannschaft waren immer mit viel Skepsis begleitet worden. Spaß und Euphorie waren verdrängt gewesen. An diesem Sonntagabe­nd aber im Stuttgarte­r Stadion brach die ganze Freude aus dem Team und den Fans heraus. 6:0 gegen Armenien, ein Fußballfes­t gegen den bisherigen Tabellenfü­hrer der Wm-qualifikat­ionsgruppe J. La Ola schwappte über die Tribüne, das hatte es lange nicht mehr gegeben. „Die Atmosphäre heute war außergewöh­nlich. Das war wie Balsam auf der Seele“, sagte Leon Goretzka. Die Entfremdun­g zwischen Mannschaft und Fans scheint vorerst gestoppt. Auch das ist ein Verdienst von Flick.

Beim 6:0-Erfolg war viel von dem zu sehen, was Flick mit seiner Mannschaft entwickeln möchte. Der Fußball soll rasant sein, mit direkten Kombinatio­nen und schnellem Abschluss. Flick möchte sein Team früh attackiere­n lassen, Ballverlus­te sollen umgehend behoben werden. Der Gegner soll keine Zeit haben, sich zu sortieren. Armenien

das mit aller Wucht gespürt. Von der ersten Minute an waren die Gäste überforder­t. Auch Henrikh Mkhitaryan schaffte es nicht, Ruhe und Ordnung ins Spiel des Tabellenfü­hrers zu bringen. So waren die sechs Tore durch Serge Gnabry (6., 15.), Marco Reus (35.), Timo Werner (45.), Jonas Hofmann (52.) und Karim Adeyemi (90.+1) eine logische Folge.

Flick stand am Spielfeldr­and und klatschte immer wieder. Anders noch als bei seinem Debüt gegen Liechtenst­ein, das mit einem zähen 2:0-Erfolg geendet hatte, war er nun rundum zufrieden. „Wir hatten uns zwei Dinge vorgenomme­n. Erstens, dass wir mit einem Sieg die Tabellenfü­hrung holen. Und zweitens, dass wir den nächsten Schritt machen und Fußball spielen, der begeistert und Freude auf mehr macht“, sagte der Bundestrai­ner. Beides ist gelungen. Flick weiß aber auch, dass „das nun der Maßstab ist. Da haben wir nun einiges vor“. Weiter geht es bereits am Mittwochab­end mit Teil drei der Qualifikat­ionsphase in Island. Flick richtete seinen Blick schon am Sonntagabe­nd voraus. „Das Spiel ist beendet, jetzt schauen wir weiter auf die neuen Aufgaben“, sagte Flick.

Womöglich war sogar er selbst von der Rasanz der Entwicklun­g überrascht. Nach den Eindrücken vom Donnerstag­abend in Liechtenst­ein war nicht unbedingt mit einer solchen Tor-gala zu rechnen. „Natürlich hatten wir uns den Start schon am Donnerstag so vorgestell­t“, sagte Leon Goretzka, der neben Joshua Kimmich der Dominahat tor im Mittelfeld war. „Jetzt geht es darum, konstant auf diesem hohen Level zu spielen.“

Flick wies noch einmal darauf hin, dass gegen Liechtenst­ein viele Dinge dabei gewesen seien, die nicht gepasst hätten. Gegen Armenien war das gänzlich anders. „Wir wollten zeigen, dass wir tollen Fußball spielen können“, sagte der Bundestrai­ner. Gegen Liechtenst­ein habe noch das Vertrauen in die eigenen Stärken gefehlt. Durch die frühe Führung aber war am Sonntagabe­nd der Glaube schnell zurück. Die Präzision im Abschluss war beinahe optimal, wenngleich noch zwei, drei Tore mehr möglich gewesen wären. Das aber wäre wohl des Guten zu viel gewesen. Die deutsche Elf muss sich schließlic­h noch einige Entwicklun­gsschritte aufheben.

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 ?? Foto: dpa ?? Manuel Neuer (links) und Leon Goretzka bedanken sich bei den Fans für die Unterstütz­ung. Das 6:0 gegen Armenien war beein‰ druckend, ist nun aber auch ein neuer Maßstab.
Foto: dpa Manuel Neuer (links) und Leon Goretzka bedanken sich bei den Fans für die Unterstütz­ung. Das 6:0 gegen Armenien war beein‰ druckend, ist nun aber auch ein neuer Maßstab.

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