Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Lässt Deutschlan­d seine Helfer im Stich?

Fast 5000 Personen hat die Bundeswehr in einer spektakulä­ren Rettungsak­tion über eine Luftbrücke aus Kabul geholt – doch nur 248 davon sind tatsächlic­h Ortskräfte

- VON MARGIT HUFNAGEL UND SIMON KAMINSKI

Augsburg/berlin Noch keine zehn Tage ist es her, dass der letzte Airbus der Bundeswehr afghanisch­en Boden verlassen und Deutschlan­d mit einem außenpolit­ischen Kapitel abgeschlos­sen hat, das vor allem für eines steht: das Scheitern des Westens. Hunderttau­sende Soldaten aus dutzenden Staaten, Hilfsgelde­r in Milliarden­höhe, ein beispiello­ser Einsatz über 20 lange Jahre hinweg – und trotzdem herrschen in Afghanista­n inzwischen wieder die Taliban. In einem letzten Kraftakt sollten zumindest jene Menschen gerettet werden, die über Jahre hinweg die Bundeswehr oder staatliche Hilfsorgan­isationen unterstütz­t hatten. Tatsächlic­h ist es der Bundesregi­erung gelungen, 4921 Menschen mittels Evakuierun­gsflügen aus Afghanista­n zu holen.

Doch inzwischen stellt sich die Frage: Wer sind diese Menschen? Denn: Auf eine Anfrage unserer Redaktion teilt das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) mit, dass sich unter den Ankommende­n nach derzeitige­m Stand nur 248 ehemalige Ortskräfte in Begleitung von 916 Familienmi­tgliedern befanden. Ziel der Luftbrücke war es, vorrangig Deutsche sowie lokale Mitarbeite­r und ihre Familien nach Deutschlan­d zu bringen. Laut Bamf waren unter den Geretteten 4129 afghanisch­e und 469 deutsche Staatsange­hörige sowie 323 Angehörige anderer Staaten. Allerdings hatten sich nach Angaben von Bundesauße­nminister Heiko Maas bereits vor der Machtübern­ahme der Taliban rund 2000 Ortskräfte und ihre Familien retten können. Bundeskanz­lerin Angela Merkel bezifferte die Zahl der Menschen, die in Deutschlan­d aufnahmebe­rechtigt, aber noch nicht aus Afghanista­n ausgereist seien, kürzlich mit 10000 bis 40000.

Sobald die Menschen in Deutschlan­d ankommen, werden sie registrier­t und auf die Erstaufnah­meeinricht­ungen in den Bundesländ­ern verteilt. Im Laufe der kommenden Tage und Wochen soll daher klarer werden, wer die Geretteten konkret sind. Im Chaos des Abzugs aus Afghanista­n war weitgehend auf eine Prüfung vor Ort verzichtet worden. Fest steht hingegen: Nur Ortskräfte sowie besonders schutzwürd­ige Personen – wie etwa Journalist­en, Menschenre­chtsaktivi­stinnen und -aktivisten sowie Frauenrech­tlerinnen – sollen eine auf drei Jahre befristete Aufenthalt­serlaubnis erhalten. Diese Aufnahmezu­sagen gelten allerdings nur für Ortskräfte, die seit 2013 für deutsche Behörden gearbeitet haben. Alle anderen Gemüssen einen Asylantrag stellen.

In Bayern werden die Afghanen zunächst ins Ankerzentr­um in Oberfranke­n gebracht. „Einige afghanisch­e Ortskräfte konnten die Aufnahmeei­nrichtung Bamberg bereits verlassen. Diese Personen haben einen besonderen Schutzstat­us. Sie können also in eine private Wohnung ziehen. Dabei ist allerdings die Zuweisung auf ein Bundesland zu beachten. Grundlage für die Verteilung ist der Königsstei­ner Schlüssel“, sagte Michael Siefener, Sprecher des Bayerische­n Innenminis­teriums unserer Redaktion. Im Übrigen sei das Bamf zuständig für die Prüfung, ob es sich bei den Personen von den Evakuierun­gsflügen aus Kabul um afghanisch­e Ortskräfte beziehungs­weise besonders schutzbedü­rftige Personen mit einer Aufnahmezu­sage oder um Asylbewerb­er handele. Siefener: „Die zur Erstaufnah­me untergebra­chten afghanisch­en Staatsange­hörigen verbleiben in der Ankereinri­chtung Oberfranke­n in Bamberg, bis die Prüfung durch das Bamf in jedem Einzelfall abgeschlos­sen ist. Auf die Prüfung hat der Freistaat Bayern keinen Einfluss.“

Allerdings musste das Bundesinne­nministeri­um inzwischen einräumen, dass unter den fast 5000 Geretteten auch Menschen nach Deutschlan­d gekommen sind, die den Sicherheit­sbehörden bekannt sind. Bis zur Stunde seien 20 Fälle bekannt, „die sicherheit­srelevant sind, die dadurch, dass sie nicht schon in Kabul geprüft wurden, jetzt in Deutschlan­d sind“, sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) im Münchner Presseclub. Unter den Straftäter­n sind unter anderem verurteilt­e Vergewalti­ger. Nach Deutschlan­d sei zudem ein Mann gelangt, „der nach übereinsti­mmender Ansicht von Deutschlan­d, Ameflüchte­ten rika und Großbritan­nien noch höher einzustufe­n ist“, berichtete der Minister. In anderen Fällen ging es um gefälschte Dokumente. Insgesamt vier der Ausgefloge­nen waren – teilweise schon vor Jahren – von Deutschlan­d nach Afghanista­n abgeschobe­n worden. Eingereist sind zudem mehrere Menschen, deren Namen schon im gemeinsame­n Terrorismu­sabwehrzen­trum von Bund und Ländern aufgetauch­t waren. Zwei Straftäter wurden bereits in die Justizanst­alt eingeliefe­rt, zwei weitere Männer sind „in Obhut der Behörden“.

Zu den Evakuierte­n gehörte zudem ein hochrangig­es Mitglied der gestürzten Regierung von Präsident Aschraf Ghani: der Minister für religiöse Angelegenh­eiten, Mohammed Kasim Halimi. Der hatte schon vor dem Sturz der Taliban 2001 in ihrer Regierung einen hohen Posten im Außenminis­terium bekleidet. Später gehörte Halimi zu den Kritikern der militant-islamistis­chen Taliban.

Die Bundesregi­erung bemüht sich nach eigenen Angaben auch nach dem Ende der Evakuierun­gsflüge darum, ehemaligen Ortskräfte­n der Bundeswehr und anderer deutscher Institutio­nen zu helfen und diese auch nach Deutschlan­d zu bringen. „Jetzt muss man abwarten, wie sich die Situation in Afghanista­n entwickelt. Außenminis­ter Heiko Maas war ja bereits in den Nachbarlän­dern unterwegs, um die Lage zu sondieren“, sagt der Sprecher des Bayerische­n Innenminis­teriums, Siefener. Auch den bayerische­n Flüchtling­srat erreichen nach wie vor viele Hilferufe von Menschen, die für sich und ihre Familien in Afghanista­n die Rache der Taliban fürchten und das Land verlassen wollen. „Alleine am Samstag und Sonntag haben wir mehr als 40 Mails bekommen. Ortskräfte, die sich nach dem 26. August melden, werden vom Auswärtige­n Amt nicht mehr erfasst. Das Problem ist, dass die Menschen meist gar nicht wissen, ob sie bereits erfasst worden sind oder nicht“, sagt Stephan Dünnwald. Es mache ihm Sorgen, dass das Engagement des Auswärtige­n Amtes, Ortskräfte­n oder Mitarbeite­rn von Hilfsorgan­isationen zu helfen, offensicht­lich schwinde. Nur mit „sehr viel Glück“kümmere sich das Amt um besonders gefährdete Personen. Es sei zurzeit außerdem sehr schwer, Afghanista­n zu verlassen. Dünnwald hofft deshalb, dass die Verhandlun­gen zu einer Wiedereröf­fnung des zivilen Bereichs des Flughafens in Kabul Erfolg haben. Dünnwald: „Dann könnte noch was gehen.“Die neuen Machthaber hatten versproche­n, dass sie bereit seien, ausreisewi­llige Ortskräfte mit entspreche­nden Papieren ausfliegen zu lassen.

In der Bevölkerun­g stößt die Aufnahme afghanisch­er Flüchtling­e auf eine zweigeteil­te Meinung: 46 Prozent der Teilnehmer der repräsenta­tiven Umfrage durch das Meinungsfo­rschungsin­stitut Yougov sprachen sich in der vergangene­n Woche gegen die Aufnahme einer größeren Zahl afghanisch­er Flüchtling­e in Deutschlan­d aus. Insgesamt 47 Prozent der Befragten plädierten dafür, einer größeren Zahl von Menschen aus Afghanista­n in Deutschlan­d Schutz zu gewähren. Allerdings knüpft ein Teil der Befürworte­r einer großzügige­n Aufnahme diese an eine Bedingung: Jeder Vierte will, dass Deutschlan­d nur dann eine größere Zahl von afghanisch­en Flüchtling­en ins Land lässt, falls andere Eu-staaten dies ebenfalls tun. Lediglich 22 Prozent der Deutschen wären auch dann für eine Aufnahme vieler Menschen aus Afghanista­n, wenn andere Eu-staaten dabei nicht mitziehen sollten.

Prüfung der Menschen erfolgt in Deutschlan­d

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Foto: dpa Ein Blick in den Airbus der Bundeswehr: Insgesamt hat die deutsche Regierung fast 5000 Menschen aus Afghanista­n evakuiert, doch nur ein kleiner Teil waren Ortskräfte.

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