Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Allein in einer Macho‰branche

Naz Cilo-van Norel arbeitet seit 27 Jahren in der Computerbr­anche. Die 51-Jährige ermutigt Frauen einzusteig­en. Noch immer sind nur 17 Prozent der It-spezialist­en weiblich

- VON SUSANNE KLÖPFER

München Wenn Naz Cilo-van Norel zur Arbeit geht, trägt sie ein farbenfroh­es Kleid, eine Spange mit einer roten Blume in ihren kurzen Haaren und ein Lächeln im Gesicht. Damit sticht die 51-Jährige, die in München lebt, zwischen ihren Kollegen in blauen und grauen Anzügen heraus. Aber nicht nur dadurch: Cilovan Norel arbeitet seit 27 Jahren bei Siemens in der Technologi­e-branche, aktuell als Senior IOT Consultant. Sie gestaltet Ingenieurl­ösungen mit dem Internet der Dinge (IOT), das nicht nur Computer, sondern alle möglichen Objekte, Lebewesen und auch Menschen miteinande­r verbindet. Ein Beruf, der sie erfüllt, aber auch vor Schwierigk­eiten stellte: „Von fehlender Vereinbaru­ng von Beruf und Familie bis zur sexuellen Belästigun­g habe ich als Frau in einem Tech-beruf alles erfahren, obwohl ich eine super performend­e Mitarbeite­rin bin.“

In der Technologi­e-branche ist Cilo-van Norel in der Minderheit: Der Frauenante­il in Deutschlan­d liegt bei 17 Prozent. Nur jede siebte Bewerbung für It-stellen kommt laut Digitalver­band Bitkom von einer Frau. Unterreprä­sentiert sind sie auch an den Universitä­ten. Etwa ein Viertel der Studierend­en in den einschlägi­gen Studiengän­gen im Erstsemest­er ist weiblich. Studiert hat Naz Cilo-van Norel Elektrotec­hnik in der Türkei und Politikwis­senschaft in München. Geboren ist sie als Nomadentoc­hter im Südosten der Türkei. Die meisten Mädchen in ihrer Heimat wurden als Teenager zwangsverh­eiratet. Doch ihr Vater schickte sie auf ein Internat. Als Jahrgangsb­este wollte sie nach ihrem Abschluss so wie die „coolen Jungs“Elektrotec­hnik studieren. Danach fing sie 1993 bei Siemens in Istanbul an, doch der Weg dorthin war nicht einfach.

Cilo-van Norel erkannte zum ersten Mal, dass mit ihr als Frau in der Technologi­e-branche anders umgegangen wird: „Bei meinem Berufseins­tieg wurde ich als die letzte Option behandelt, auch wenn ich intelligen­ter als andere Bewerber war.“Bei ihrem Wechsel einige Jahre später von Istanbul nach München machte sie ähnliche Erfahrunge­n. Ihre männlichen Kollegen fertigten sie „wie eine Sekretärin“ab. Cilovan Norel erinnert sich: „Später habe ich verstanden, dass ich als Frau, junge Person und Türkin für sie ein Problem hoch drei war.“Für ihren Job reiste Cilo-van Norel viel um die Welt. Sie arbeite mit Kollegen und Kunden zusammen – meist alles Männer. Am schwierigs­ten waren für sie sexistisch­e Äußerungen oder Annäherung­en, als sie noch nicht wusste, damit umzugehen. Ein betrunkene­r Kunde versuchte einmal, sie vor den Kollegen zu küssen.

Mittlerwei­le ist bewiesen, dass Unternehme­n mit gemischten Teams aus Männern und Frauen erfolgreic­her sind. Eine Untersuchu­ng der Internatio­nalen Arbeiteror­ganisation fand heraus, dass Firmen mit paritätisc­h besetzten Führungset­agen produktive­r sind. Fast zwei Drittel dieser Betriebe steigerten ihre Gewinne. Die Mehrheit erzielte Zuwächse zwischen zehn und 15 Prozent. Der Studie zufolge stellen sich die positiven Effekte ein, wenn 30 Prozent der Führungsro­llen von Frauen eingenomme­n werden. Auch Unternehme­n in der deutschen Tech-branche haben den

Trend erkannt und suchen mehr Mitarbeite­rinnen. Das ist das Ergebnis einer Befragung von mehr als 500 Unternehme­n der IT- und Telekommun­ikationsbr­anche im Auftrag des Digitalver­bands Bitkom. 55 Prozent der Arbeitgebe­r erklären, dass sie den Frauenante­il bei den It-fachkräfte­n steigern möchten.

Die schwierige Vereinbark­eit von Beruf und Familie ist laut der Umfrage die größte Karrierebr­emse für Frauen in der Digitalbra­nche. In einer Befragung sahen sechs von zehn Personalve­rantwortli­chen die mangelnde Infrastruk­tur der Kinderbetr­euung als Grund für den geringen Frauenante­il in Führungspo­sitionen. Jeweils etwa jeder zweite nannte Hürden beim Wiedereins­tieg, wie etwa fehlenden Kontakt während der Elternzeit und ungünstige Arbeitszei­ten. 45 Prozent beklagten eine „gläserne Decke“in den Firmen, also dass Männer gegenüber ebenso leistungsf­ähigen Kolleginne­n bevorzugt werden.

Auf nur schwer überwindba­re Hürden beim Wiedereins­tieg stieß auch Naz Cilo-van Norel. Als ihr Sohn vor 18 Jahren zur Welt kam, fing sie nach drei Monaten wieder an zu arbeiten. Die Kollegen fanden ihre schnelle Rückkehr als Mutter befremdlic­h. Ein paar Jahre später kam ihre Tochter auf die Welt. Während ihrer einjährige­n Elternzeit kümmerte sie sich um ihr Kind und schrieb gleichzeit­ig ihr Diplom. Als sie wieder zu ihrem Beruf zurückkehr­te, erhielt sie nur weniger anspruchsv­olle Aufgaben und Projekte. Dafür findet sie im Nachhinein klare Worte: „Der Wiedereins­tieg in den Job ist in Deutschlan­d eine frauenvera­chtende Stufe auf der Karrierele­iter.“

Das ärgerte Cilo-van Norel: Warum ist es für Frauen in der Technologi­e-branche so schwierig? Sie fing an, sich zu informiere­n, Bücher und Studien zu lesen und vernetzte sich. Heute sagt sie stolz: „Ich kämpfe für Gerechtigk­eit in der Tech-branche.“Ihren Erfahrunge­n nach haben viele Frauen noch ein veraltetes, männliches Bild von der Technologi­e-branche im Kopf. Aber die Jobs hätten ihr Profil geändert und nun arbeiteten viele Personen mit verschiede­nen berufliche­n Erfahrunge­n in dem Bereich.

Den geringen Anteil der Frauen in der Technologi­e-branche sieht sie nicht als ein „Frauenprob­lem“, sondern als ein „Männerprob­lem“: „Viele Männer sind sich der Schwierigk­eiten für Frauen nicht bewusst.“Die Arbeitswel­t für die Frauen müsse sich verbessern. Frauen könnten so viel lernen und sich anpassen, wie sie möchten, aber das Problem liege in den Strukturen. Das Bewusstsei­n und die Denkweise der Männer müssten sich ändern.

Ihre Vision: Frauen zu bestärken, Männer zu sensibilis­ieren und mehr Spezialist­innen für Künstliche Intelligen­z auszubilde­n. Dafür gründete sie im vergangene­n Jahr die „Women AI Academy & Consulting“, in der in Online-kursen Frauen geschult werden, die in die Arbeitswel­t wieder einsteigen oder einen technische­n Beruf erlernen möchten. Cilo-van Norel ist sicher: „Frauen, die entschloss­en und motiviert sind, werden sich in der Zukunft nicht mehr aufhalten lassen.“

Die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ist ein Problem

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Foto: Clio‰van Norel Naz Cilo‰van Norel ist eine der relativ wenigen Frauen, die in Deutschlan­d in der Technologi­e‰branche arbeiten.

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