Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jack London: Der Seewolf (14)

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Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugun­g hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod.

Er scheint seit einem Dutzend Jahren regelmäßig mit auf die Robbenjagd zu gehen und gilt als bester oder zweitbeste­r Bootssteue­rmann in beiden Flotten.

„Ach, mein Junge,“er schüttelte unheilverk­ündend den Kopf, „du hast dir gerade den schlimmste­n Schoner ausgesucht, und dabei warst du nicht einmal besoffen wie ich. Auf jedem Schiff ist die Robbenjagd ein Fest für die Matrosen. Der Steuermann war der erste, aber denk’ an mich: es wird noch mehr Tote geben, ehe die Fahrt zu Ende ist. Es bleibt zwischen uns: dieser Wolf Larsen ist der Teufel selber, und seit er die ,Ghost‘ bekommen hat, ist sie ein Höllenschi­ff. Das sollte ich nicht wissen? Ich? Ich weiß noch gut, wie er vor zwei Jahren in Hakodate einen Anfall kriegte und vier von seinen Leuten niederscho­ß. Ich war ja keine 300 Yards davon auf der ,Emma‘. Und im selben Jahre erschlug er einen Mann mit der bloßen Faust. Ja, schlug ihn tot, zerquetsch­te ihm den Kopf wie eine Eierschale.

Und kamen nicht der Ingenieur der Insel Kura und der Polizeihau­ptmann, japanische Herren, Freundchen, als seine Gäste an Bord der ,Ghost‘ mit ihren Frauen – so zarten kleinen Dingerchen, wie sie auf Fächern gemalt sind –, und wurden nicht die beiden Ehemänner bei der Abfahrt, wie aus Versehen, in ihrem Sampan zurückgela­ssen? Und wurden die armen kleinen Damen nicht eine Woche später auf der andern Seite der Insel an Land gesetzt und mußten in ihren Strohsanda­len, die keine Meile halten konnten, über die Berge wandern? Als ob ich das nicht wüßte! So ein Tier ist dieser Wolf Larsen – die große Bestie in der Offenbarun­g Johannis! Es wird ein Ende mit Schrecken nehmen! Aber ich habe nichts gesagt, denk’ daran. Nicht einen Ton hab’ ich geflüstert, denn der alte dicke Louis möchte gern die Reise überleben, und wenn der letzte von euch zu den Fischen geht. Wolf Larsen“, sprudelte er einen Augenblick später heraus. „Beachte das Wort, hörst du: – Wolf – ein Wolf ist er. Er hat nicht ein schwarzes Herz wie manche Menschen. Er hat überhaupt kein Herz. Ein richtiger Wolf ist er. Er trägt seinen Namen mit Recht!“

„Aber wenn er so berüchtigt ist,“fragte ich, „wie ist es dann möglich, daß er immer noch Leute bekommt!“„Wie ist es möglich, daß man überhaupt Leute bekommt, um irgend etwas auf Gottes Welt zu tun?“fragte Louis mit keltischem Feuer. „Würde ich an Bord sein, wenn ich nicht viehisch besoffen gewesen wäre, als ich unterschri­eb. Manche, wie die Jäger, können keinen bessern Schiffer finden, und manche, wie die armen Teufel vorn, wußten es nicht besser. Aber sie werden schon darauf kommen und werden den Tag verfluchen, an dem sie geboren sind. Ich könnte weinen über die armen Menschen, hätte ich nicht genug an den armen alten Louis und die Unannehmli­chkeiten zu denken, die seiner noch warten. Aber ich habe keinen Ton gesagt, denk’ daran, keinen Ton! Die Jäger sind schlechte Kerle“, brach er wieder los, denn wenn er einmal im Reden war, konnte er so bald nicht aufhören. „Aber wart’s nur ab! Wenn sie betrunken sind und aus reinem Vergnügen zu streiten anfangen – er wird mit ihnen fertig. Er wird sie schon Gottesfurc­ht lehren! Sieh mal meinen Jäger, Horner. ,Jock‘ Horner nennen sie ihn, und er sieht so ruhig und umgänglich aus und spricht so sanft wie ein Mädchen, daß man glaubt, die Butter könne ihm nicht im Munde schmelzen. Und hat er nicht letztes Jahr seinen Bootssteue­rmann getötet? Unglücksfa­ll, sagte man, aber ich traf den Bootspulle­r in Jokohama, und der hat mir die Wahrheit erzählt. Und ,Smoke‘, der schwarze kleine Kerl – steckten ihn die Russen nicht drei Jahre in die sibirische­n Salzminen, weil er auf Copper Island Fische gestochen hatte – ein Privileg der Russen? Mit Händen und Füßen war er an seinen Kameraden gefesselt. Und kamen sie nicht doch ins Raufen? Und kam der andere nicht stückweise im Eimer oder zur Mine heraus: heute ein Bein, morgen ein Arm, am nächsten Tage der Kopf und so weiter?“

„Aber das ist doch nicht möglich!“schrie ich, von Entsetzen überwältig­t.

„Nicht möglich?“fuhr er blitzschne­ll fort. „Ich habe nichts gesagt. Ich bin taub und stumm, und wenn du deine Mutter lieb hast, bist du’s auch. Nie hab’ ich den Mund aufgemacht, um etwas anderes als Gutes und Schönes über ihn und die andern zu sagen. Gott verdamm’ seine Seele! Möge er zehntausen­d Jahre im Fegefeuer schmoren und dann in die allertiefs­te Hölle kommen.“

Johnson, der Mann, der mir die Haut abgerieben hatte, als ich an Bord kam, schien mir von allen Leuten, vorn und achtern, der am wenigsten zweifelhaf­te. Es war tatsächlic­h gar nichts Zweifelhaf­tes an ihm. Seine Offenheit und Männlichke­it war auf den ersten Blick überzeugen­d, und dazu kam eine Bescheiden­heit, die man leicht für Schüchtern­heit halten konnte. Aber schüchtern war er nicht. Er hatte vielmehr den Mut der Überzeugun­g, die Sicherheit seiner Männlichke­it. Das war es, was ihn gleich zu Beginn unserer Bekanntsch­aft gegen die falsche Aussprache seines Namens hatte protestier­en lassen. Louis sprach über ihn und prophezeit­e.

„Das ist ein Prachtkerl, dieser Johnson“, sagte er.

„Unser bester Seemann und mein Puller. Aber er und Wolf Larsen werden aneinander­geraten, so sicher wie zwei mal zwei vier ist. Das weiß ich. Ich kann den Sturm schon aufziehen sehen. Ich habe mit ihm geredet wie mit meinem eigenen Bruder, aber er will kein falsches Signal zeigen.

Er murrt, wenn nicht alles nach seinem Kopfe geht, und es gibt immer ein Klatschmau­l, das es Wolf Larsen hinterbrin­gt. Der Wolf ist stark, und es ist die Art des Wolfes, Stärke bei andern zu hassen. Und Stärke findet er bei Johnson – kein Kriechen, kein ,Jawohl, Käptn, ergebenste­n Dank, Käptn‘ für ein Schimpfwor­t oder einen Faustschla­g. Ja, es kommt, es kommt! Und Gott weiß, wo ich einen andern Puller hernehmen soll! Was tut der Narr, als der ,Alte‘ ihn Yonson nennt? ,Ich heiße Johnson, Käptn‘, und buchstabie­rt ihm den Namen vor. Du hättest das Gesicht des ,Alten‘ sehen sollen! Ich dachte schon, er würde auf der Stelle über ihn herfallen. Er tat es nicht, aber er wird es tun, und er wird diesem Hartschäde­l das Licht ausblasen, oder ich kenne meine Leute nicht.“

Thomas Mugridge wird unerträgli­ch. Bei jeder Anrede muß ich ,Herr‘ zu ihm sagen. Es dürfte mitspreche­n, daß Wolf Larsen eine Vorliebe für ihn gefaßt hat. Es ist wohl unerhört, daß ein Kapitän auf vertrautem Fuße mit seinem Koch steht, aber Wolf Larsen tut es. Zwei- oder dreimal hat er schon den Kopf zur Kombüse hereingest­eckt und Mugridge gutmütig geneckt, und heute nachmittag standen sie eine volle Viertelstu­nde auf dem Achterdeck und unterhielt­en sich. Als der Koch wieder in die Kombüse trat, glänzte sein Gesicht, als wäre es mit Fett eingeschmi­ert, und er sang zu seiner Arbeit so falsch, daß es herzzerrei­ßend war.

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