Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gefragt in der ganzen Galaxis

Ohne sie geht fast nichts mehr: Programmie­rer, Coder, Softwareen­twickler. Besonders gesucht sind sie in der deutschen Automobili­ndustrie, denn die hat bei der Digitalisi­erung viel nachzuhole­n. Auch in Ingolstadt arbeitet Cariad, die Softwaresc­hmiede des V

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt/wolfsburg Die Antwort, trotz ihres allumfasse­nden Anspruchs, lautet leider nicht 42. Diese berühmte Zahl spuckt der Supercompu­ter in Douglas Adams’ Science-fiction-klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“aus. Eben als Antwort auf die Frage nach dem „Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. 42. Der Supercompu­ter hat dafür ein paar Millionen Jahre rumgerechn­et, aber so richtig zufrieden ist danach keiner.

Etwas konkreter formuliert – zum Beispiel für Personalen­twickler in Unternehme­n im Allgemeine­n und in der Autoindust­rie im Speziellen und ganz konkret im Fall von Cariad, der Softwaresc­hmiede des Vw-konzerns – könnte die Frage so lauten: Wie viele Programmie­rer und It-fachkräfte brauchen wir dieses Jahr, damit der Laden weiter wächst und unser Geschäftsl­eben weiter einen Sinn ergibt?

42? Reicht natürlich nicht. Programmie­rer, „Coder“– wie die jungen Leute schon recht lange sagen – sind heute gefragter denn je. Gerade in der Automobili­ndustrie, die sich in Hochgeschw­indigkeit digitalisi­eren muss und in der elektrisch­e Autos immer mehr zu (selbst-)fahrenden Computern werden.

Das weiß Anna Trunk, Head of Employer Branding and Talent, bei Cariad. Sie ist dafür zuständig, dass die Talente bei Cariad landen. Sie sagt: „Wir müssen noch bekannter werden. In der Automobilb­ranche sind wir das, aber darüber hinaus noch nicht. Wir sind gerade dabei, die Marke in der IT- und Entwickler­welt bekannt zu machen.“Was aber immer besser klappe.

Auch, indem man Programmie­rschulen unterstütz­t. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der Volkswagen-konzern und sein Software-haus gemeinsam mit Bayer, Microsoft, SAP und T-systems die Gründung einer zweiten „Codingschu­le“unterstütz­en. In Berlin. Die ersten Studierend­en an der neuen „42 Berlin“sollen im Sommer 2022 loslegen. Bei VW weitet man das Engagement aus. Denn bereits mit der „42 Wolfsburg“hat man gute Erfahrunge­n gemacht.

Gunnar Kilian, Vw-personalvo­rstand, sagte vergangene Woche: „Bei Volkswagen setzen wir konsequent unseren Weg zum softwareor­ientierten Mobilitäts­konzern weiter fort. Doch Transforma­tion braucht insbesonde­re Qualifikat­ion.“Digitale Kompetenze­n und Itknow-how seien daher zentrale Elemente für den weiteren Erfolg und „Treiber“der Transforma­tion. Neben der Weiterqual­ifizierung der eigenen Leute beschreite man neue Wege, „um Tech-talente für Volkswagen zu gewinnen“. Bis Ende des kommenden Jahres sollen auf der Wolfsburge­r Schule 600 Studierend­e zugelassen sein. Die Hoffnung ist, dass manche von ihnen ihre Karriere bei VW starten.

„Denn“, sagt Anna Trunk, „gerade die Softwareen­twickler können sich die Jobs aussuchen.“Was viele der Coder reize, sei, eine traditione­lle Marke weiterzuen­twickeln, nachhaltig­er zu machen.

Der Firmensitz ist in Wolfsburg eingetrage­n. Der größte Standort aber ist auf dem IN Campus in Ingolstadt. Weitere Dependance­n sind in Berlin, Mönsheim (bei Stuttgart), Nürnberg und München. Allerdings sei der Standort in Corona-zeiten ohnehin weniger relevant geworden, weil immer mehr im Homeoffice arbeiten. „Wer bei Cariad anfangen möchte und mit seinen drei Kindern am liebsten irgendwo weiter weg der Standorte aufs Land ziehen möchte, kann das tun“, betont Trunk.

Bevor es so weit ist, muss man ein Talent aber erst mal kriegen. Trunk sagt auch: „Bei guten Bewerbern muss man ganz schnell reagieren, denn sonst sind sie weg. Denn die können sich ihre Stellen nach wie vor aussuchen.“

Das Besondere an „42 Wolfsburg“oder „42 Berlin“ist das ungewöhnli­che didaktisch­e Konzept: Es gibt keine Lehrer oder Dozenten, keinen „Frontalunt­erricht“und keine Altersbesc­hränkungen. Das Studium ist eher wie ein Computersp­iel organisier­t, bei dem unterschie­dliche Level erreicht werden. Das Konzept setzt darauf, dass die Studierend­en in Lerngruppe­n arbeiten. Wer sich im Bewerbungs­verfahren bei Logiktests sowie in einem mehrwöchig­en Trainingsl­ager bewährt, darf beginnen. Auch Anna Trunk betont, dass man bei Cariad ohne Abitur starten kann. Gut genug müsse man natürlich dennoch sein.

Denn Cariad ist für VW nicht irgendeine Tochter. Wenn Cariad nicht erfolgreic­h ist, bekommt VW im Rennen mit Tesla noch größere Probleme aufzuholen, als der Konzern ohnehin schon hat. Der zuletzt wieder heftig mit dem mächtigen Vw-betriebsra­t aneinander­geratene Vw-boss Herbert Diess hat sich dem Wandel von Volkswagen verschrieb­en. Die Konkurrenz mit Tesla treibt ihn an. Vergangene Woche wurde auch bekannt, dass in Wolfsburg – neben dem alt-tradierten Stammwerk – eine neue eigene Fabrik für die E-fahrzeugge­neration „Trinity“geschaffen werden soll. Bis es steht, sollte der Chipmangel, der die Autoindust­rie und VW bremst und für den auch Diess in der Kritik steht, behoben sein.

Und dann braucht es viele, viele Leute, die wissen, was sie mit denen anstellen. Insofern sind die Programmie­rschulen in Berlin und Wolfsburg von Bedeutung für Ingolstadt. Trunk: „Das hilft den Standorten in der Region ganz grundsätzl­ich.“Die europäisch­en Interessen­ten würden sich eher für Berlin oder München entscheide­n, doch innerhalb Deutschlan­ds seien inzwischen auch die ländlichen Regionen wie das Altmühltal wieder attraktiv. Gerade für Familien.

Aber der Wettbewerb ist nach wie vor groß. Laut einer Studie des Ifo-instituts berichtete­n im Oktober 36 Prozent der befragten Unternehme­n in der Automobilb­ranche, dass ihnen Fachkräfte fehlen. In der Itbranche waren es sogar 53 Prozent. Klaus Wohlrabe vom Ifo-zentrum für Makroökono­mik und Befragunge­n sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Insbesonde­re in Bereichen, wo viel spezialisi­ertes Wissen notwendig ist, wie zum Beispiel bei Programmie­rern, suchen die Unternehme­n händeringe­nd neues Personal.“Doch der Markt sei „leer gefegt“. Und der für Programmie­rer sei zudem eben internatio­nal aufgestell­t. „Die Konkurrenz für die Fachkräfte sitzt nicht nur in Deutschlan­d, sondern auf der ganzen Welt.“Kurzfristi­g gebe es auch keine Zeichen der Entspannun­g. Wohlrabe betont: „Daraus folgt, dass die Unternehme­n kreativ sein müssen, um neues Personal zu rekrutiere­n. Aber auch höhere Löhne sind eine Stellschra­ube.“Und: „Mittelfris­tig wird sich der Fachkräfte­mangel nochmals verschärfe­n, denn die demografis­che Entwicklun­g wird gnadenlos zuschlagen.“

Es braucht also neue Ansätze, wie die von VW und Cariad mit Millionen Euro geförderte Programmie­rschule in Berlin. Die setzt das vom französisc­hen Unternehme­r Xavier Niel entwickelt­e Konzept „42“einer privaten, gemeinnütz­igen und gebührenfr­eien It-schule um. Weltweit arbeiten 36 weitere dieser Ausbildung­sstätten in 20 Ländern nach dem besonderen Lernkonzep­t. Besser, es wären 42 mal 42 mal 42.

Denn der Fachkräfte­mangel hemmt den Fortschrit­t ungemein. Adél Holdampf-wendel, Bereichsle­iterin Arbeitsrec­ht und Arbeit 4.0 beim Digital-verband Bitkom, sagte unserer Redaktion, die Zahl unbesetzte­r Stellen in Deutschlan­d bewege sich im langjährig­en Vergleich auf einem „sehr hohen Niveau“. Zum Jahresende 2020 waren in der deutschen Wirtschaft 86000 Itstellen vakant. Auch in der Region fehlen laut IHK Schwaben Datenspezi­alisten, Softwareen­twickler und Cloud-architekte­n. In allen Branchen. Wann der Mangel behoben ist? 2042?

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Foto: Raphael Knipping, dpa
Volkswagen will im Wettbewerb um die besten Leute die Zahl der Software‰ und It‰experten im Konzern massiv ausbauen. Foto: Raphael Knipping, dpa

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