Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Gefragt in der ganzen Galaxis
Ohne sie geht fast nichts mehr: Programmierer, Coder, Softwareentwickler. Besonders gesucht sind sie in der deutschen Automobilindustrie, denn die hat bei der Digitalisierung viel nachzuholen. Auch in Ingolstadt arbeitet Cariad, die Softwareschmiede des V
Ingolstadt/wolfsburg Die Antwort, trotz ihres allumfassenden Anspruchs, lautet leider nicht 42. Diese berühmte Zahl spuckt der Supercomputer in Douglas Adams’ Science-fiction-klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“aus. Eben als Antwort auf die Frage nach dem „Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. 42. Der Supercomputer hat dafür ein paar Millionen Jahre rumgerechnet, aber so richtig zufrieden ist danach keiner.
Etwas konkreter formuliert – zum Beispiel für Personalentwickler in Unternehmen im Allgemeinen und in der Autoindustrie im Speziellen und ganz konkret im Fall von Cariad, der Softwareschmiede des Vw-konzerns – könnte die Frage so lauten: Wie viele Programmierer und It-fachkräfte brauchen wir dieses Jahr, damit der Laden weiter wächst und unser Geschäftsleben weiter einen Sinn ergibt?
42? Reicht natürlich nicht. Programmierer, „Coder“– wie die jungen Leute schon recht lange sagen – sind heute gefragter denn je. Gerade in der Automobilindustrie, die sich in Hochgeschwindigkeit digitalisieren muss und in der elektrische Autos immer mehr zu (selbst-)fahrenden Computern werden.
Das weiß Anna Trunk, Head of Employer Branding and Talent, bei Cariad. Sie ist dafür zuständig, dass die Talente bei Cariad landen. Sie sagt: „Wir müssen noch bekannter werden. In der Automobilbranche sind wir das, aber darüber hinaus noch nicht. Wir sind gerade dabei, die Marke in der IT- und Entwicklerwelt bekannt zu machen.“Was aber immer besser klappe.
Auch, indem man Programmierschulen unterstützt. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der Volkswagen-konzern und sein Software-haus gemeinsam mit Bayer, Microsoft, SAP und T-systems die Gründung einer zweiten „Codingschule“unterstützen. In Berlin. Die ersten Studierenden an der neuen „42 Berlin“sollen im Sommer 2022 loslegen. Bei VW weitet man das Engagement aus. Denn bereits mit der „42 Wolfsburg“hat man gute Erfahrungen gemacht.
Gunnar Kilian, Vw-personalvorstand, sagte vergangene Woche: „Bei Volkswagen setzen wir konsequent unseren Weg zum softwareorientierten Mobilitätskonzern weiter fort. Doch Transformation braucht insbesondere Qualifikation.“Digitale Kompetenzen und Itknow-how seien daher zentrale Elemente für den weiteren Erfolg und „Treiber“der Transformation. Neben der Weiterqualifizierung der eigenen Leute beschreite man neue Wege, „um Tech-talente für Volkswagen zu gewinnen“. Bis Ende des kommenden Jahres sollen auf der Wolfsburger Schule 600 Studierende zugelassen sein. Die Hoffnung ist, dass manche von ihnen ihre Karriere bei VW starten.
„Denn“, sagt Anna Trunk, „gerade die Softwareentwickler können sich die Jobs aussuchen.“Was viele der Coder reize, sei, eine traditionelle Marke weiterzuentwickeln, nachhaltiger zu machen.
Der Firmensitz ist in Wolfsburg eingetragen. Der größte Standort aber ist auf dem IN Campus in Ingolstadt. Weitere Dependancen sind in Berlin, Mönsheim (bei Stuttgart), Nürnberg und München. Allerdings sei der Standort in Corona-zeiten ohnehin weniger relevant geworden, weil immer mehr im Homeoffice arbeiten. „Wer bei Cariad anfangen möchte und mit seinen drei Kindern am liebsten irgendwo weiter weg der Standorte aufs Land ziehen möchte, kann das tun“, betont Trunk.
Bevor es so weit ist, muss man ein Talent aber erst mal kriegen. Trunk sagt auch: „Bei guten Bewerbern muss man ganz schnell reagieren, denn sonst sind sie weg. Denn die können sich ihre Stellen nach wie vor aussuchen.“
Das Besondere an „42 Wolfsburg“oder „42 Berlin“ist das ungewöhnliche didaktische Konzept: Es gibt keine Lehrer oder Dozenten, keinen „Frontalunterricht“und keine Altersbeschränkungen. Das Studium ist eher wie ein Computerspiel organisiert, bei dem unterschiedliche Level erreicht werden. Das Konzept setzt darauf, dass die Studierenden in Lerngruppen arbeiten. Wer sich im Bewerbungsverfahren bei Logiktests sowie in einem mehrwöchigen Trainingslager bewährt, darf beginnen. Auch Anna Trunk betont, dass man bei Cariad ohne Abitur starten kann. Gut genug müsse man natürlich dennoch sein.
Denn Cariad ist für VW nicht irgendeine Tochter. Wenn Cariad nicht erfolgreich ist, bekommt VW im Rennen mit Tesla noch größere Probleme aufzuholen, als der Konzern ohnehin schon hat. Der zuletzt wieder heftig mit dem mächtigen Vw-betriebsrat aneinandergeratene Vw-boss Herbert Diess hat sich dem Wandel von Volkswagen verschrieben. Die Konkurrenz mit Tesla treibt ihn an. Vergangene Woche wurde auch bekannt, dass in Wolfsburg – neben dem alt-tradierten Stammwerk – eine neue eigene Fabrik für die E-fahrzeuggeneration „Trinity“geschaffen werden soll. Bis es steht, sollte der Chipmangel, der die Autoindustrie und VW bremst und für den auch Diess in der Kritik steht, behoben sein.
Und dann braucht es viele, viele Leute, die wissen, was sie mit denen anstellen. Insofern sind die Programmierschulen in Berlin und Wolfsburg von Bedeutung für Ingolstadt. Trunk: „Das hilft den Standorten in der Region ganz grundsätzlich.“Die europäischen Interessenten würden sich eher für Berlin oder München entscheiden, doch innerhalb Deutschlands seien inzwischen auch die ländlichen Regionen wie das Altmühltal wieder attraktiv. Gerade für Familien.
Aber der Wettbewerb ist nach wie vor groß. Laut einer Studie des Ifo-instituts berichteten im Oktober 36 Prozent der befragten Unternehmen in der Automobilbranche, dass ihnen Fachkräfte fehlen. In der Itbranche waren es sogar 53 Prozent. Klaus Wohlrabe vom Ifo-zentrum für Makroökonomik und Befragungen sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Insbesondere in Bereichen, wo viel spezialisiertes Wissen notwendig ist, wie zum Beispiel bei Programmierern, suchen die Unternehmen händeringend neues Personal.“Doch der Markt sei „leer gefegt“. Und der für Programmierer sei zudem eben international aufgestellt. „Die Konkurrenz für die Fachkräfte sitzt nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.“Kurzfristig gebe es auch keine Zeichen der Entspannung. Wohlrabe betont: „Daraus folgt, dass die Unternehmen kreativ sein müssen, um neues Personal zu rekrutieren. Aber auch höhere Löhne sind eine Stellschraube.“Und: „Mittelfristig wird sich der Fachkräftemangel nochmals verschärfen, denn die demografische Entwicklung wird gnadenlos zuschlagen.“
Es braucht also neue Ansätze, wie die von VW und Cariad mit Millionen Euro geförderte Programmierschule in Berlin. Die setzt das vom französischen Unternehmer Xavier Niel entwickelte Konzept „42“einer privaten, gemeinnützigen und gebührenfreien It-schule um. Weltweit arbeiten 36 weitere dieser Ausbildungsstätten in 20 Ländern nach dem besonderen Lernkonzept. Besser, es wären 42 mal 42 mal 42.
Denn der Fachkräftemangel hemmt den Fortschritt ungemein. Adél Holdampf-wendel, Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Arbeit 4.0 beim Digital-verband Bitkom, sagte unserer Redaktion, die Zahl unbesetzter Stellen in Deutschland bewege sich im langjährigen Vergleich auf einem „sehr hohen Niveau“. Zum Jahresende 2020 waren in der deutschen Wirtschaft 86000 Itstellen vakant. Auch in der Region fehlen laut IHK Schwaben Datenspezialisten, Softwareentwickler und Cloud-architekten. In allen Branchen. Wann der Mangel behoben ist? 2042?