Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Lassen sich Migranten seltener impfen?
Das Robert-koch-institut hat die Frage untersucht und herausgefunden: Es kommt weniger auf die Herkunft an als auf Bildungsstand und Sprachkenntnisse.
Berlin Lassen sich Menschen mit Migrationshintergrund seltener gegen Corona impfen als Personen ohne Zuwanderungsgeschichte? Immer wieder wurde im Verlauf der Pandemie über diese Frage diskutiert, oft eher mit Anekdoten als mit Fakten unterfüttert und manchmal mit latent fremdenfeindlichem Unterton. Jetzt hat das staatliche Robert-koch-institut (RKI) die Frage wissenschaftlich untersucht. Befragt wurden dazu Ende 2021 jeweils 1000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.
Laut der Rki-wissenschaftlerin Elisa Wulkotte zeigte sich, dass die Impfquote bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mit 84 Prozent niedriger liegt als bei denen ohne, von denen 92 Prozent angaben, geimpft zu sein. Generell müsse bei beiden Werten von einer „Überschätzung“ausgegangen werden, was daran liege, dass Menschen, die etwa eine Impfung oder auch staatliche Institutionen völlig ablehnten, sich gar nicht erst an der Untersuchung beteiligt hätten. Aktuell gibt das RKI eine Erstimpfungsquote von knapp 76 Prozent an. Die Unterschiede, die in der Erhebung festgestellt wurden, seien aber verlässlich. Wulkotte betonte, es sei wichtig, nicht pauschal zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund zu unterscheiden. Vielmehr komme es auf die Faktoren an, die eine Impfentscheidung beeinflussten. Dabei sei nicht die Herkunft maßgeblich, sondern Bildung, Einkommen, Deutschkenntnisse oder auch das Alter. Bei den Teilnehmern mit den geringsten Deutschkenntnissen sei auch die Impfquote am niedrigsten gewesen, so Wulkotte. Menschen, die berichten, im Gesundheitssystem diskriminierende Erfahrungen gemacht zu haben, hätten ebenfalls eine geringer ausgeprägte Bereitschaft, sich impfen zu lassen.
Der Annahme, dass es unter Migranten generell eine höhere Impfunwilligkeit gebe, widerspricht auch Kay Bultmann. Er ist Amtsarzt in Bremen und dort für die erfolgreiche Impfkampagne mitverantwortlich. Der Stadtstaat im Norden ist das Bundesland mit der höchsten Impfquote und hat zugleich den höchsten Anteil von Migranten an der Bevölkerung. Bultmann berichtete, dass gerade auch in den sozial eher benachteiligten Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil gute Impfquoten erzielt worden seien. Informationsangebote in zahlreichen Sprachen habe es etwa für die Eltern von Kita-kindern, die Besucher der Lebensmittelausgabe der Tafeln oder bei Veranstaltungen in verschiedenen Glaubensgemeinschaften gegeben. Nicht selten seien die Referenten dabei auch mit Verschwörungsmythen oder anderen kursierenden Falschinformationen konfrontiert worden – dass die Corona-impfungen etwa bei Männern für Potenzprobleme sorgten oder bei Frauen Schwangerschaften verhinderten. Doch viele Sorgen hätten sich in den Gesprächen ausräumen lassen, so Bultmann. Mit Forscherin Wulkotte ist sich der Bremer Amtsarzt einig darin, dass die Impfbereitschaft eben keine Frage der Herkunft sei, sondern des Zugangs zu seriösen Informationen. Es komme auf die Ansprache von Menschen in ihrer jeweiligen Muttersprache an.
Dass die kein Ding der Unmöglichkeit ist, zeigt eine Initiative aus Berlin. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat zu Beginn der Impfkampagne Anfang 2021 ein Video verfasst und in insgesamt 15 Sprachen übersetzt. Zu sehen ist in den Kurzfilmen Patrick Larscheid, der Amtsarzt des Berliner Bezirks Reinickendorf. Der bärtige, auf seriöse Art fast langweilig wirkende Mann steht vor neutralem Hintergrund, das locker um den Hals geworfene Stethoskop zeigt schon ohne Worte jedem auf der Welt, dass es sich um einen Arzt handelt. Kurz ist Larscheid auf Deutsch zu hören, dann wird seine Stimme ausgeblendet und die einer Übersetzerin oder eines Übersetzers übernimmt. Nüchtern und sachlich berichtet der Mediziner über die Wirkungsweise der verschiedenen Impfstoffe und mögliche Nebenwirkungen, entkräftet mit wissenschaftlichen Fakten weitverbreitete Falschinformationen. Die Videos gibt es etwa auf Arabisch und Farsi, das etwa im Iran oder in Afghanistan gebräuchlich ist, in den beiden kurdischen Sprachen Sorani und Kurmandschi, Tigrinya, Somali und Amharisch aus der Region Ostafrika, Vietnamesisch, Türkisch, Urdu oder Russisch.
Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts, hat das Projekt mitentwickelt. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er: „In Romanes, der Sprache der Roma etwa, gibt es unseres Wissens außer unserem Video offenbar kein vergleichbares Angebot. Damit hätten wir nicht gerechnet.“Was als Informationsangebot für die knapp 20.000 in Berlin lebenden Geflüchteten gedacht gewesen sei, wird ihm zufolge in inzwischen 120 Ländern auf der ganzen Welt genutzt. Den Erfolg des Projekts erklärt sich der Amtssprecher so: „Deutschland hat in vielen Ländern einen guten, ehrlichen Ruf. Einem Amtsarzt aus Berlin, dem unterstellt eben niemand, dass er Lügen verbreitet oder eigene finanzielle Interessen verfolgt.“