Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Deutsche Katholiken rütteln am Zölibat
Nach den Missbrauchsskandalen ringen Bischöfe und Laien um Reformen. Prominenteste Stimme kommt nun von Kardinal Marx.
Frankfurt am Main Die katholische Kirche in Deutschland steht durch die Serie von Missbrauchsskandalen und massenhafter Kirchenaustritte unter so großem Reformdruck wie wohl noch nie zuvor. Unter diesem deutlich gestiegenen Erwartungsdruck hat nun die dritte Synodalversammlung zur Reform der katholischen Kirche begonnen. Bis Samstag könnten in Frankfurt bereits erste konkrete Beschlüsse gefasst werden, betonte das Präsidium zum Start. Diskutiert werden unter anderem eine Lockerung des Zölibats, Segnungen für homosexuelle Paare und die Mitsprache von Gläubigen bei der Bischofswahl. Allerdings müssten jeder Reform in den heiß umstrittenen Fragen mindestens zwei Drittel der Bischöfe zustimmen.
Die Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens und die damit verbundene Falschaussage von Papst Benedikt haben in der Kirche eine Atmosphäre der Dringlichkeit erzeugt. „München hat die Situation noch mal ernster gemacht, als sie es längst schon ist“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, am Donnerstag. Unabhängige Gutachter hatten über Jahrzehnte Münchner Erzbischöfen und anderen Verantwortlichen Versagen beim Umgang mit sexuellem Kindesmissbrauch vorgeworfen.
Überraschend sprach sich der selbst unter Druck geratene Münchner Kardinal Reinhard Marx kurz vor Beginn der Synodalversammlung für die Abschaffung des Pflichtzölibats aus. „Es wäre besser für alle, die Möglichkeit für zölibatäre und verheiratete Priester zu schaffen“, sagte Marx der Süddeutschen Zeitung. „Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Nicht nur aus sexuellen Gründen, sondern weil es für ihr Leben besser wäre und sie nicht einsam wären.“Auch Bischofskonferenz-chef Bätzing schloss sich nun dem Vorstoß von Marx an. Er sei nicht gegen den Zölibat, sagte Bätzing, aber er sei dafür, dass es den Priestern freigestellt werde, ob sie ehelos leben wollten. „Das war immer meine Überzeugung: Ich kann nicht sehen, dass nicht die Ehe und das Priesteramt eine gemeinsame Bereicherung für diesen Dienst und für das gemeinsame Leben von Eheleuten geben könnte“, erklärt er.
Die innerkirchliche Debatte wird auch in der Politik aufmerksam verfolgt. Der neue Cdu-vorsitzende Friedrich Merz sagte in Berlin, er habe das Interview von Marx „mit großer Zustimmung“gelesen. „Ich begrüße das sehr, dass es diesen Prozess gibt.“
Die Abschaffung des Pflichtzölibats wäre nach Einschätzung des Kirchenrechtlers Thomas Schüller kein wirklicher Bruch mit den Grundsätzen der katholischen Kirche. „Das ist überhaupt nicht ketzerisch oder revolutionär“, sagte Schüller der „Der Pflichtzölibat ist kein Glaubenssatz, sondern eine disziplinäre Norm und kann geändert werden, ohne in den Glaubensschatz der katholischen Kirche einzugreifen.“Marx beschreibe nur, was in der Geschichte der katholischen Kirche viele Jahrhunderte gängige Praxis gewesen sei.
Auch die katholischen Laien machen Druck auf die Bischöfe. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetterkarp, sagte, dass insgesamt die reformorientierten Kräfte in der Synodalversammlung deutlich in der Mehrheit seien. Sie zeigte sich optimistisch, dass das auch für die Bischöfe gelte: „Wir als ZDK sind dankbar, dass wir schon jetzt klar sehen, dass eine größere Zahl reformwilliger Bischöfe entschlossen sind, wirkliche Veränderungen voranzutreiben.“Bischofskonferenzchef Bätzing signalisierte Bewegungsbereitschaft. „Wir wissen, um was es geht“, sagt er. „Es geht jetzt wirklich in die Zielgerade. Das heißt, erste Texte stehen zur Schlussabstimmung an. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Zweidrittelmehrheiten auch gewinnen werden.“
Der organisierte Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland wird als Synodaler Weg bezeichnet. Ausgelöst worden ist das Bemühen um Erneuerung durch die Missbrauchsskandale. Offiziell umfasst der Synodale Weg vier Punkte: die katholische Sexualmoral, die Position der Frau in der Kirche, den Umgang mit Macht und den Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit. Die Synodalversammlung ist das zentrale Beschlussgremium des Prozesses. Getragen wird der Synodale Weg von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also von Bischöfen und Laien gleichermaßen.
Kritiker bezweifeln die Macht der deutschen Versammlung. Letztlich könnten beim Synodalen Weg gar keine tief greifenden Reformen auf den Weg gebracht werden, weil der Vatikan in Rom immer das letzte Wort habe.