Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist der Einsatz in Mali gescheiter­t?

Seit neun Jahren schon ist die Bundeswehr in Westafrika stationier­t. Nun mehren sich die Rufe nach einem Abzug. Was würde das für den Krisenstaa­t bedeuten? Ein Blick auf ein Land mit einer komplizier­ten Gemengelag­e.

- VON MARGIT HUFNAGEL

Banako/augsburg Es ist eines jener Länder, die die meisten Deutschen wohl erst mal auf der Landkarte suchen müssen. Mali ist zwar mehr als dreimal so groß wie Deutschlan­d, doch die 5400 Kilometer, die zwischen der Hauptstad des westafrika­nischen Wüstenstaa­tes und Berlin liegen, sind nur ein Klacks im Vergleich zur gefühlten Entfernung, die zwischen Europa und dem Armenhaus dieser Welt klafft. 20 Millionen Einwohner, 95 Prozent der Menschen leben von weniger als 5,50 Dollar am Tag, radikale Islamisten und separatist­ische Tuareg-rebellen lassen das Land nicht zur Ruhe kommen. Allein im letzten Quartal 2021 gab es 68 Angriffe auf nationale und internatio­nale Sicherheit­skräfte mit 40 Toten und 52 Verletzten. Dazu kamen 324 Angriffe auf Zivilisten.

Ulf Lässing sitzt in seinem Büro in der malischen Hauptstadt Bamako. Er ist Leiter des Regionalpr­ogramms Sahel der Konrad-adenauer-stiftung (KAS) und macht sich Sorgen um eine Region, die doch eigentlich ohnehin nur aus Sorgen und Problemen und enttäuscht­en Hoffnungen besteht. Doch tatsächlic­h sind die Nachrichte­n, die derzeit Mali zurück in den europäisch­en Aufmerksam­keits-radius katapultie­ren, selbst für den Krisenstaa­t beunruhige­nd. Die für Februar geplanten Wahlen wurden handstreic­hartig um fünf Jahre verschoben, der französisc­he Botschafte­r sowie dänische Soldaten ausgewiese­n, die Regierung gefällt sich im politische­n Flirt mit Russland, die westafrika­nische Staatenuni­on hat Mali mit drastische­n Sanktionen belegt, die die Armut weiter wachsen lassen. Die französisc­he Regierung, die als ehemalige Kolonialma­cht seit Jahren gegen die Dschihadis­ten kämpft, denkt offen über einen Abzug aus dem Land nach. Der Kon

zwischen der malischen Militärreg­ierung und Paris eskaliert zunehmend und könnte den Anti-terror-kampf gefährden. Denn der Zwist zwischen Bamako und Paris lässt auch in Berlin alle Alarmglock­en schrillen – zu tief sitzt nach wie vor der Schock, den das Afghanista­n-debakel hinterlass­en hat. Außenminis­terin Annalena Baerbock stellt bereits den Einsatz der Bundeswehr in Mali infrage. Es ist das größte deutsche Mandat, das es derzeit gibt. Die Bundeswehr ist seit neun Jahren mit mehr als 300 Soldaten an der Eu-ausbildung­smission EUTM beteiligt und mit mehr als 1100 Soldaten an der Un-mission Minusma.

„Die Stimmung hier ist schlecht“, sagt Ulf Lässing. Die Franzosen als ehemalige Kolonialhe­rren gelten als Bösewichte, die Enttäuschu­ng über die überschaub­aren militärisc­hen Erfolge gegen die Islamisten schlägt zunehmend in Wut um, die Zahl der Terroransc­hläge ist zuletzt wieder steil angestiege­n. Millionen Menschen sind auf der Flucht, tausende gestorben, hinzu kommt die grassieren­de Armut. Seit Jahrzehnte­n hängt Mali am Tropf der internatio­nalen Entwicklun­gshilfe und schafft es doch nicht, sich aus dem Klammergri­ff des Elends zu befreien. Immer deutlicher wird, dass sich der Konflikt mit den Dschihadis­ten kaum militärisc­h lösen lässt. Doch ein zweiter Endlos-krieg, wie ihn Deutschlan­d am Hindukusch erlebt hat, gilt in Berlin als regelrecht­e Horrorvors­tellung. „Unser Einsatz ist kein Selbstzwec­k“, sagt Bundesauße­nministeri­n Baerbock der Süddeutsch­en Zeitung. Sicherheit für die Menschen in Mali und Stabilität sowie Entwicklun­g könne es nur durch Reformen und die Rückkehr zur Demokratie geben, wie es das Land auch mit der Westafrika­nischen Wirtschaft­sgemeinsch­aft vereinbart habe. Das heißt nichts anderes als: Gibt es keine Erfolge, steigen die deutschen Soldaten zurück in den Flieger Richtung Heimat. Mit guter Absicht, diese Erkenntnis hat sich bei vielen durchgeset­zt, lässt sich kein Krieg gewinnen.

Ein schneller Abzug aber, da ist sich Lässing sicher, würde weiter zur Destabilis­ierung des Landes beitragen und die Sicherheit­slage dramatisch verschlech­tern. Die islamistis­chen Kämpfer könnten weitere Gebiete erobern, ihr Ziel ist es, sich in Richtung Meer vorzuarbei­ten, um von dort Schmuggler­boote auf die Reise schicken zu können. Die Probleme dürften sich zudem noch weiter auf andere Länder in der Reflikt gion ausbreiten, als das ohnehin schon der Fall ist. Die Gemengelag­e ist also alles andere als einfach. „Ich glaube, dass es eine Möglichkei­t gibt, mit der Übergangsr­egierung von Mali ins Gespräch zu kommen“, sagt der Kas-experte. Man werde aus dem westafrika­nischen Staat niemals eine zweite Schweiz machen, doch das Risiko, hier ein Land noch weiter in Richtung Abgrund zu schieben, sei groß. Vor allem Frankreich müsse im Interesse einer gemeinsame­n Lösung einen diplomatis­cheren Ton anschlagen, den Wahlkampf außen vor lassen, in dem Präsident Emmanuel Macron ganz bewusst Durchsetzu­ngsvermöge­n zeigen will.

Gerade die Anfangszei­t, als die internatio­nalen Truppen ins Land gekommen waren, haben gezeigt, dass die Situation keineswegs aussichtsl­os war. Städte wie Kidal, Gao und Timbuktu wurden befreit, der Vormarsch der Radikalen gestoppt. Doch nachhaltig war der Einsatz selten. Dort, wo die Islamisten und andere kriminelle Banden vertrieben wurden, gelang es dem schwachen malischen Staat nie, das Vakuum zu schließen. Zuletzt wurde die Regierung im Jahr 2020 und im Jahr 2021 gestürzt, aktuell hat eine nicht demokratis­ch installier­te Militärjun­ta mit Oberst Assimi Goita als Übergangsp­räsident an der Spitze das Sagen. Man wisse gar nicht mehr, wen man überhaupt unterstütz­e, heißt es in Berlin. Die Bevölkerun­g hingegen stellt sich hinter die Offiziere – zu oft haben die Menschen erlebt, wie ihre zivilen Herrscher mehr an das eigene Konto als ans Gemeinwohl gedacht haben. Wer in einem Land wie Mali als Zivilist an die Spitze einer Regierung kommt, entstammt meist einer kleinen Elite, die gerne eigene Netzwerke und den eigenen Kontostand pflegt. Da erscheint vielen die Armee als kleineres Übel.

Doch die will sich mit rechtstaat­lichen Grundsätze­n lieber nicht aufhalten. Im Westen wird befürchtet, dass die malische Führung sich immer stärker an Russland anlehnt. Hunderte Söldner der sogenannte­n Wagner-gruppe sollen sich in Mali aufhalten. „Als ich heute ins Büro gefahren bin, bin ich an russischen Fahnen vorbeigeko­mmen“, sagt Lässing. Zwar sei es unwahrsche­inlich, dass sich Moskau ähnlich wie in Syrien mit vollem Anlauf in den Mali-konflikt werfe, doch gerade das Straucheln der Europäer dürfte dem Kreml gefallen. „Russland schafft es, mit minimalem Einsatz für maximale Unsicherhe­it zu sorgen“, sagt Ulf Lässing. Die russischen Söldner hätten so etwas wie eine „Marktlücke“gefunden, weil sie gemeinsam mit ihren malischen Kollegen an die Front gehen. Die Bundeswehr hingegen belässt es bei Patrouille­n, Logistik und Ausbildung.

Ob sie das auch weiterhin tut, soll das Parlament noch im Februar entscheide­n. „Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht“, hatte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht schon angekündig­t. Ob sie sich durchsetzt? Das Wort Exit-strategie, es dröhnt immer lauter durch das politische Berlin.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Das Vorgehen der Militärjun­ta in Mali lässt die Zweifel an den Bundeswehr‰einsätzen dort wachsen. Die Außenminis­terin macht ein Fragezeich­en an das Engagement – und verweist auch auf Frankreich.

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